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Tägliches Leben im Vordergrund

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FURCHE: Was sind Ihre aktuel- len Eindrücke von der Situation der Frauen in der UdSSR?

JOHANNA DOHNAL: Diese Reise des Bundesfrauenkomitees der SPÖ nach Moskau und Kiew Anfang April war nicht unser er- ster Kontakt, im November des vergangenen Jahres fand beispiels- weise ein österreichisch-sowjeti- sches Frauenseminar in Wien statt. Unsere russischen Partnerinnen sind sehr an Kontakten interessiert, an Informationen über Strukturen, Organisation, aber auch über so- ziale Leistungen für Frauen im Westen. Meinem Eindruck nach ändert sich in der Sowjetunion jetzt das Bild von der schwer arbeiten- den Frau zur Frau als Mutter, als Behütende.

Die Form des Seminars scheint mir sehr gut geeignet für einen of- fenen Austausch und Gespräche, die es so früher nicht gegeben hat. Das Schlagwort von der bereits erreichten Gleichberechtigung der Frau in der Sowjetunion, das von uns westlichen Frauen schon im- mer angezweifelt wurde, wird jetzt auch von den sowjetischen Frauen in Frage gestellt. Wenn Frauen nun offener über ihre Probleme reden, kann man das allerdings nicht mit westlichen Maßstäben messen. In erster Linie geht es ihnen um Er- leichterungen des konkreten Lebens im Alltag.

Seit drei Jahren etwa gibt es in den Betrieben Frauenräte, ver- gleichbar unseren Gewerkschaf- ten, auch lokale Frauenräte. Sie be- schäftigen sich in erster Linie mit sozialen Problemen, mit der Wohn- situation, mit der Lebensmittelver- sorgung. Sie bemühen sich darum, daß Frauen in den Betrieben ein- kaufen können. Alltagssorgen ste- hen im Vordergrund und es wäre überheblich, hier Vergleiche mit unserem westeuropäischen Be- wußtseinsstand zu ziehen.

Mit der Leiterin des neu gegrün- deten Frauenausschusses im Ober- sten Sowjet habe ich über die grund- sätzliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen, über die Rechte von Alleinerzieherinnen, geschiedenen Frauen, über Gewalt gegenüber Frauen und Kindern - bis hin zur sexuellen Gewalt. Diese Themen werden von den verant- wortlichen Frauen nicht selbst angesprochen. Noch 1980 bei der Weltfrauenkonferenz haben Frau- en aus der Ukraine behauptet: Bei uns werden Frauen nicht geschla- gen.

FURCHE: Gibt es auch für die Alltagsprobleme Hilfsangebote aus Österreich?

DOHNAL: Der beste Zugang ist, mit möglichst vielen Frauen Ge- spräche zu führen. Es ist dies auch die am wenigsten überhebliche Art - auch wir können von diesen Frau- en etwas lernen.

FURCHE: Was beispielsweise?

DOHNAL: Etwa die Organisa- tion der Kinderbetreuung, in Form der Betriebskindergärten, der Kin- dergärten der Gemeinden.

FURCHE: Für Frauen ist die Quotenregelung ein Stichwort. Wie steht's heute um die Vertretung der Frauen auf den verschiedenen poli- tischen Ebenen, an den Universitä- ten?

DOHNAL: Bei der Wahl der Mit- glieder fürs Politbüro, fürs Zen- tralkomitee, für den Obersten Sowjet ist die Vertretung teilweise schlechter als im Westen. Im Ober- sten Sowjet war der Frauenanteil etwas höher, aber dort fallen j a nicht die Entscheidungen. Politbüro und Zentralkomitee sind reine Männer- gremien. In den Teilrepubliken haben die Wahlen zu einem Rück- gang des Frauenanteils geführt - das wird mit dem Aufkommen der Bürgerbewegungen erklärt, in de- nen in erster Linie Männer gewählt werden.

FURCHE: Eine Verankerung bestimmter Frauenquoten gibt es also nicht?

DOHNAL: Nachdem es keine Frauenbewegung in unserem Sinn gibt, die für eine solche stärkere Vertretimg der Frauen eintritt, gibt es auch keine Quotenforderungen. Eine Frauenbewegung existiert seit kurzem in der DDR, aber in der Sowjetunion gibt es höchstens ein- zelne Frauen, die diese mangelnde Vertretung beklagen.

FURCHE: Auch der Frauenaus- schuß im Obersten Sowjet setzt sich nicht für eine stärkere Vertretung von Frauen ein?

DOHNAL: Nein. Dazu ist Be- wußtseinsbildung, das heißt ein langwieriger Prozeß notwendig, der beispielsweise auch damit zusam- menhängt, welche Literatur zu- gänglich gemacht wird. Auch bei uns hat das fünfzehn, zwanzig Jahre gedauert.

FURCHE: An den Universitäten studieren ja viele Mädchen, aber wie steht's um die Lehrenden?

DOHNAL: Die Verteilung ist ähnlich wie in Österreich: es gibt nur wenige Professorinnen.

FURCHE: Welche Aufstiegschan- cen haben Frauen in den Betrieben? Müßten sie mit ihren beruflichen Qualifikationen nicht auch in lei- tende Positionen aufrücken?

DOHNAL: Die Ausbildung ver- läuft fast so geschlechtspezifisch wie bei uns. In der Sowjetunion werden beispielsweise Friseurin, Kleidermacherin oder Tätigkeiten in der Modebranche als „techni- sche Berufe" verstanden, dadurch entsteht bei allen Zahlenangaben eine begriffliche Verwirrung. „Es gibt eben Männer- und Frauenbe- rufe!", erklärte mir die Betriebslei- terin einer Textilfabrik.

In der UdSSR geht es heute in er- ster Linie darum, die Schwerarbeit von Frauen zu erleichtern - eine Arbeit, die bei uns meist weder Männer noch Frauen erledigen, sondern Maschinen. 76 Stunden arbeiten berufstätige Frauen mit Familien in der Sowj etunion durch- schnittlich. Etwa 40 Prozent der Frauen sind noch in der Bauwirt- schaft beschäftigt, füllen beispiels- weise händisch Betonmischmaschi- nen. Wir im Westen wollen Frauen Zugang zu Männerberufen eröff- nen, aber eben Männerberufen anderer Art.

FURCHE: Was sind Ihre Eindrük- ke von der Mitarbeit der Männer im Haushalt, in der Kindererzie- hung?

DOHNAL: Dazu gibt es in der Sowjetunion keine Erhebungen, das ist kein Thema. Es ist falsch anzunehmen, daß es im Kommu- nismus sowjetischer Prägung eine emanzipatorische Politik gab. Von der offiziell bereits einkalkulier- ten Arbeitslosigkeit werden zuerst Frauen betroffen sein - noch dazu mit dem Hinweis, daß es sich bei der Nicht-Berufstätigkeit um eine Verbesserung für die Frauen hand- le. Die Gefahren einer solchen Entwicklung werden von manchen Frauen schon gesehen.

FURCHE: Es scheinen viele ver- schiedene Bewußtseinsbildungs- prozesse parallel zu laufen... Wir- ken nicht auch vor-kommunisti- sche traditionelle Frauenbilder jetzt stärker mit, die ja auch von religiösen Vorstellungen geprägt sind.

DOHNAL: Ja, gerade die unter- schiedlichen Religionen, Katholi- zismus, Orthodoxie, Islam wirken in den weiten ländlichen Gebieten stärker als in den Städten. Auch die unterschiedlichen Nationalitä- ten spielen für das Bild der Frau eine wichtige Rolle. Gewisse fun- damentalistische Entwicklungen in den Religionen werden jedenfalls beklagt. Die aktuelle Tendenz zur stärkeren Wertung der Frau als Mutter hängt sicher mit neueren fundamentalistischen Entwicklun- gen zusammen.

FURCHE: Welche nächsten Schritte gibt es im Kontakt zu den Frauen der Sowjetunion?

DOHNAL: Nachdem Verände- rungen in den Geschlechterrollen nur möglich sind, wenn die Men- schen selbst dafür eintreten, sie erkämpfen, liegt ein Schwerpunkt der weiteren Zusammenarbeit im Gedankenaustausch. Auch die Bundesländer und die Teilrepubli- ken sollen einbezogen werden, die Delegationsmitglieder sollen wech- seln. Wir wollen die neu eröffneten Chancen nutzen.

Mit Staatssekretärin Johanna Dohnal sprach Leonore Rambosek.

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