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Termitenstaat Farum

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Auf den Straßenkarten Dänemarks ist die Stadt Farum nicht leicht zu finden. Ältere Konversationslexika, wie der Große Herder, Auflage 1933, nennen sie überhaupt nicht, weil es sie damals noch nicht gab. Es könnte aber sein, daß man sie bald nicht mehr wird übersehen können, zumal die sozialistische dänische Minderheitsregierung nicht müde wird, ihre Bedeutung herauszustellen und das Dänische Nationalinstitut (Det Danske Selskab), das eine hervorragende informierende Tätigkeit über Dänemark entfaltet, eigene Propagandaschriften darüber herausgibt und die dänische Regierung für Teilnehmer internationaler Tagungen über Städteplanung dorthin auch zu Besichtigungen einlädt.

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Auf den Straßenkarten Dänemarks ist die Stadt Farum nicht leicht zu finden. Ältere Konversationslexika, wie der Große Herder, Auflage 1933, nennen sie überhaupt nicht, weil es sie damals noch nicht gab. Es könnte aber sein, daß man sie bald nicht mehr wird übersehen können, zumal die sozialistische dänische Minderheitsregierung nicht müde wird, ihre Bedeutung herauszustellen und das Dänische Nationalinstitut (Det Danske Selskab), das eine hervorragende informierende Tätigkeit über Dänemark entfaltet, eigene Propagandaschriften darüber herausgibt und die dänische Regierung für Teilnehmer internationaler Tagungen über Städteplanung dorthin auch zu Besichtigungen einlädt.

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Farum liegt zwischen Kopenhagen und Hiller0d. Es hat nichts von der Schönheit alter dänischer Städte wie K0ge, oder Roskilde mit seinem berühmten Dom und den Gräbern der dänischen Könige, oder Aarhus. Denn mit Ausnahme des kargen alten Stadtteils ist Farum eine Stadt aus der Retorte, wie es sie in Europa kaum anderswo gibt. Farum, das heute 15.000 Einwohner zählt und durch weiteren geometrischen Zubau auf 25.000 Einwohner kommen soll, ist eine sozialistische Planstadt der Zukunft, die schon Gegenwart geworden ist. Sie wäre nicht denkbar gewesen, wenn Dänemark nicht eine besondere Art der Dezentralisierung der Verwaltung und des Städtebaues entwickelt hätte. Diese Dezentralisierung (lokale Selbstverwaltung) hat in mancher Hinsicht dem sehr begrüßenswerten Gedanken der Re-gionalisierung zum Durchbruch verhelfen, fast könnte man von einem Erfolg des Systems des Subsidiari-tätsprinzips sprechen, wenn es tatsächlich das christliche Subsidiari-tätsprinzip wäre, das da vorgestellt wird. Die Schaffung von drei Mu-ster-Provinzialgebieten mit großen Städten als Zentren — Aalborg, Odense, Aarhus — bei gleichzeitiger Errichtung von 82 neuen Örtlichen Behördengruppen mit je 5000 Ein^ wohnern, alle unter einem eigenen Bürgermeister, ging der allgemeinen Dezentralisierung voran. Dann folgte die Dezentralisierung des Raumes um Kopenhagen, das eine unübersichtliche Millionenstadt geworden war. Kopenhagen wurde als Grafschaft zwar erhalten, jedoch in zwei zentrale Körperschaften öffentlichen Rechts unterteilt.

Soweit wäre die versuchte Dezentralisierung nur zu loben. Aber in Farum hat man sich dazu entschlossen, eine neue Stadt zu schaffen, in der vor allem junge Leute (nur Ehepaare und T?aare — die Eheschließung spielt in Dänemark keine überragende gesellschaftliche Rolle wie bei uns) wohnen, die früher zu schlechten Wohn- und Einkommensbedingungen in der Großstadt Kopenhagen lebten und zum Teil auch gerne ein sozialdemokratisches Experiment — als solches wird es auch formell bezeichnet — mitmachen wollten.

Da die Bildung von Wohnungsei-gentum oder überhaupt von Privateigentum an Grund und Boden einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zuwiderläuft, können in Farum die Wohnunigen nur gemietet, nicht gekauft werden. Das mag für die Bewohner seinen Vorteil haben, obwohl die Mieten hoch sind, denn die meisten verlassen nach einigen Jahren die seelenlose Stadt wieder, obwohl in deren Umkreis eine Reihe von kleinen Industrie- und Gewerbebetrieben' geschaffen wurde, die ausreichende Beschäftigung bei keineswegs niedrigen Einkommen bieten. Das Hauptproblem ist die Ausbildung einer Termitenstadt, Das beginnt bei der Architektur. Die Stadt ist zwar ohne jedes Hochhaus erbaut worden. Hochhäuser würden auch in die liebliche flache Landschaft nicht passen. Aber die Häuser in Farum sind in endlosen, flachen, aneinandergereihten Zeilen mit zwei, maximal drei Geschossen erbaut, dies mit Durchnumerierung von eins bis zweihundert und mehr. Der Baustoff ist angerosteter Schwedenstahl in schweren Platten. Man hat zwar ein Verfahren angewendet, demzufolge der Rost bei Berührung nicht abfärbt, doch hat diese Präparierung wenig genützt. Auch die wie Käfige in die Fronten eingelassenen Balko-ne haben eiserne Brüstungen und Seitenwände. Ob Rostbraun die Farbe der Zukunft ist, wie man hört, mag füglich dahingestellt sein.

Die einzelnen „Häuser“, die in ihrer Monotonie mehr an eine moderne Geflügelfarm größerer Dimension erinnern, sind naturgemäß genormt und geplant, wie die Zimmer in den Holidays Inn's über die Welt hin. Das muß sicherlich so sein. Es müßte aber nicht sein, daß der Blockwart je eines Blocks allwöchentlich die Blockbewohner zur Diskussion in den Gemeinschaftsraum einberuft, wo über die gesellschaftlichen Änderunigen und die (sozialistische) Zukunft gesprochen wird.

Die Paare sind berufstätig und tagsüber außerhalb des Hauses. Für die Kinder gibt es käfigartige Kindergärten mit Türen, deren Klinken so hoch sind, daß die Kinder nicht herauskönnen, außer die Kindergärtnerin hat mit ihnen einen Kurzausflug auf den Kinderspielplatz vor. Alles natürlich blitzsauber, Ordnung in Reinkultur, aber steril und trostlos.

Die örtliche Verwaltung hat der Ortsrat inna, der direkt gewählt wird. (21 Mitglieder bei Siedlungen über 10.000 Einwohner, darunter abgestuft.) Das nennt sich „Hausgenossen-Demokratie“. Neben dem allgemeinen Rat des örtlichen Gemeinwesens gibt es eine Reihe von Komitees, deren Statuten vom Innenminister genehmigt sein müssen. Alle wichtigen Fragen werden in den Komitees diskutiert.

Kirche gibt es in dieser Stadt selbst keine, doch kann man die weit entfernte alte Dorfkirche besuchen. Mitten durch die Stadt führt eine Autobahn, deren Uberquerung für Fußgänger nur auf den dafür bestimmten Überführungen möglich ist, was die Stadt noch kommunikationsfeindlicher macht.

Sehr merkwürdig muten die lieblosen Geschäfte an. Man erreicht sie am besten per Fahrrad, denn die endlosen Gebäudezeilen ermüden den Fußgänger. Wenigstens ist der Boden nicht aus Stahl.

Man fragt sich bei all dem, ob „1984“ eine Utopie war oder nicht.

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