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Teures Osteuropa

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Sämtliche Länder Osteuropas haben mit Jahresbeginn die Preise drastisch erhöht. In den offiziellen Verlautbarungen wird meist als Grund die Preissteigerung im Westen und die entsprechende Verteuerung der Importe angegeben. Ein Beispiel mag aber genügen, um diese Theorie zu durchlöchern: Filme werden in, Ungarn um 12 Prozent teurer, Photopapiere sogar um 36 Prozent. Beide Produkte aber stammen, wie der Kenner des Landes weiß, ausschließlich aus der DDR.

Osteuropa wird also teurer, nicht erst teuer. Das war es schon immer. Lediglich die ziemlich stabil gebliebenen Preise für Lebensmittel sind von einer weiteren Teuerung vorerst verschont — sie werden aber auch nicht, wie man hoffte, herabgesetzt. Von den Grundnahrungsmitteln Brot, Milch, Butter, Fleisch und anderem abgesehen, ist alles, was eine tschechische, ungarische, polnische oder gar rumänische Hausfrau für die Küche braucht, nach wie vor teuer. Das Sortiment ist gering, Frischgemüse rar und oft unerschwinglich, die Nahrung insgesamt viel zu kalorienreich. Wer Vitamine in Form von Zitronen oder Orangen braucht, muß je Kilo das Doppelte eines durchschnittlichen Stundenlohnes hinlegen.

Die neue Teuerungswelle begann schlagartig mit der Benzinpreiserhöhung vor einem halben Jahr, meist gleich um 100 Prozent. Auch die Sowjetunion, Hauptlieferant in Erdöl sämtlicher Oststaaten, wollte den Arabern nicht nachstehen. Da der Comecon noch nicht wie die EWG langfristige Preisabsprachen seiner Mitglieder kennt, kam diese Verteuerung buchstäblich über Nacht. Ihr folgten Industriewaren — vom Nagel bis zur Wasserarmatur, vom Fahrradmantel bis zum Motorradschlauch. Die Erhöhungen schwanken zwischen 10 und 20 Prozent. Waschmaschinen, Staubsauger, Motorräder und Pkws wurden dagegen nicht teurer. Ihre Preise sind ohnehin astronomisch. Als Beispiel möge der vielbelächelte und doch viel gekaufte „Trabant“ aus der DDR gelten: In sämtlichen osteuropäischen Ländern kostet er etwą, den Gegenwert von 15 Monatsverdiensten.

Am schwersten wird den Menschen Osteuropas die Verteuerung qualifizierter Kleidung fallen: Wollene Stoffe kosten zukünftig etwa 20 Prozent mehr und waren bisher schon teuer genug. Gleiches gilt von den Schuhen, wo nur noch solche aus Kunststoff zu den alten, im Verhältnis zur Qualität gleichfalls weit überhöhten Preisen weiterverkauft werden. Im Durchschnitt muß ein Normalverdiener von Ost-Berlin bis Sofia für ein Paar solide Lederschuhe mehr als einen bis eineinhalb Wochenlöhne hinlegen.

Hinzu kommt, daß die Wechselkurse für Devisen zugunsten der jeweiligen Landeswährung stark verändert werden. Wer Freunden drüben einen Hunderter schenkt, muß damit rechnen, daß die Empfänger bis zu 20 Prozent weniger an Ostmark, Kronen, Forint oder Lei dafür einwechseln können.

Insgesamt also: den Leuten wird etwas reichlicher verdientes Geld rasch aus den Händen fließen. Eben dies dürfte auch die Absicht der neuen Regulierungen sein, von denen sich am wenigsten Ungarn mit seinem elastischeren Wirtschaftssystem ausnimmt. Ausdrücklich wird in manchen einschlägigen Verlautbarungen übrigens darauf hingewiesen, daß jene Produkte, die nicht teurer werden, zukünftig stärker subventioniert werden müssen. Auf dem Umweg über die Steuern kommt also auch diese Teuerung den Bürgern Osteuropas — teuer zu stehen.

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