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„Überall Enttäuschung“

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Spektakuläre Vorgänge wie die Entführung deutscher Experten im kolumbianischen Urwald während des Besuchs des deutschen Bundespräsi- denten Heinemann in Bogota haben bei der Diskussion über die Entwicklungshilfe das politische Risiko in den Vordergrund gerückt. Deutsche Entwicklungshelfer sehen jedoch die wesentlichste Problematik in der Frage, ob einige Fachleute, gut gezielt an „neuralgischen Punkten der Unterentwicklung“ eingesetzt, die beabsichtigte Verbesserung der sozialen Situation einschließlich Bildungsund Gesundheitswesen überhaupt herbeiführen können.

Obwohl die Zahl der deutschen Entwicklungshelfer in Ekuador von 60 auf 40 gesenkt wurde, ist ihr Aufgabenkreis (technische Schulausbildung, handwerkliche und organisatorische Hilfe im Rahmen der Agrarreform, medizinischer Einsatz bei einem gefährdeten Indianerstamm) ebenso weitgesteckt wie die Reaktion auf ihr Tun aufschlußreich. Unbestritten ist die ungünstige Berufsstruktur, gleichzeitig Ursache und Folge der industriellen Unterentwicklung. Einer kleinen, reichen Oberschicht, deren Kinder gern Jura oder Medizin und weit seltener naturwissenschaftliche und technische Fächer studieren, steht eine riesige Masse ungelernter Arbeitskräfte gegenüber. Techniker mittleren Niveaus fehlen. So haben die US- und die bau von 29 „Colegios Teenicos“ mitgewirkt, von denen aber nur sieben eine genügende technische Ausrüstung haben. Um die Ausbildung anziehend zu machen, sind diese Berufsschulen als „technische Gymnasien“ eingestuft, deren Abschlußprüfung, das Abitur, den Weg zu allen Fakultäten öffnet.

Dabei ergab sich die groteske Situation, daß die meisten Absolventen, -vor allem aus Mangel an Arbeitsplätzen, dann üoch wieder Anwälte, Ärzte oder Lehrer wurden, also die ganze technische Ausbildung sich als überflüssig erwies. Die daraufhin, jetzt diesen Abiturienten den humanistischen Bildungsweg verschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob die technischen Gymnasien, die einen besonders guten Ruf haben, jetzt weniger frequentiert werden.

Die deutschen Lehrkräfte, deren Verträge von der Bundesrepublik nicht verlängert werden, haben sich inzwischen auf Fortbildungskurse für Erwachsene umgestellt, mit denen sie vor allem bei Radiotechnikern beachtliche Erfolge erzielen.

Es fehlt eine Schicht, die an gehobenen handwerklichen Tätigkeiten interessiert ist. Dem steht bei der Oberschicht das Sozialprestige und bei der Masse der ungenügende. Bildungsstand und die finanzielle Situation im Wege. So weit die Oberschicht überhaupt interessiert ist, weil Techniker mittleren Ranges in Lateinamerika häufig als Ingenieure betrachtet werden, fehlt eine genügende Nachfrage nach solchen Arbeitskräften in Ekuador ebenso wie in den meisten anderen Pazifikstaaten.

Nicht minder enttäuschend sind die Erfahrungen der Landwirte, Zimmerleute, Maurer und Krankenschwestern, die vom ekuadorianischen „Institut für Agrarreform und Kolonisation“ angefordert wurden. Finanziert von der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Berliner „Aktionsgemeinschaft für die Hungernden“ werden Waldhufendörfer angelegt, wobei in der Regel 60 Familien auf je 50 Hektar angesiedielt werden. Bei dieser Dorfentwicklung werden Wege, Brücken und Schulen gebaut.

Dabei handelt es sich nicht um eine Agrarreform durch Teilung des Großgrundbesitzes, sondern um Kolonisation auf Staatsland. Das Heer, in dessen Auftrag eine israelische Expertengruppe die Ausbildung von „Bauernsoldaten“ leitet, vergibt Be- sitzibitel an Offiziere und Mannschaften, unglücklicherweise ist ein Teil der Grundstücke schon eigenmächtig in Besitz genommen worden. Leute aus der Stadt, auch kleine Angestellte, haben ferner Scheingenossenschaften gebildet, um sich ihre 50 Hektar zu sichern. 40 bis 50 Prozent des sogenannten Siedlungslan- des gehören bereits Eigentümern in der Stadt, die das Land an ausge- beutete Indios verpachten oder als Wochenendaufenthalt zweckentfremden.

Die interessanteste Aufgabe erfüllen zwei Landwirte und ein Team von zwei Ärzten und drei Krankenschwestern beim Indianerstamm der Shuaras: etwa 20.000 Menschen in der Provinz Morona-Santiago, im Einzugsgebiet des Amazonas. Sie waren bis vor 30 Jahren Halbnomaden und wurden von Salesianern und evangelischen Missionaren mit zum Teil recht autoritären Methoden angesiedelt, also, wie Kulturbringer sagen, „zivilisiert“. Das hatte vernichtende Folgen für ihre Gesundheit, da sie nicht mehr jagen, fehlt ihnen Wild, und damit Protein. Eine Masernepidemie forderte 1967 viele Tote, Der Kampf gegen die Tbc ist die Hauptaufgabe des medizinischen Teams. Die Agrarexperten bemühen sich um die Verbesserung der Viehzucht.

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