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„Umpolitisierung”? Ja - leider!

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Jänos Nemes, der Chefredakteur der deutschsprachigen Wochenzeitung „Budapester Rundschau”, hat mich einer „Polemik” gewürdigt, die mich jetzt erst erreichte. Er bezieht sich auf meinen Artikel „Die Altmeister der Moderne treten ins Rampenlicht” in der FURCHE (Nr. 52/53 vom 25. Dezember 1976). Nemes wirft mir „Umpolitisierung” vor und meint mit diesem Ausdruck eine „Kinderkrankheit”, an der er vor drei Jahrzehnten auch gelitten habe: daß man nämlich versucht, „alles und jeden .umzupolitisieren”“, also politische Aspekte auch dort hineinzutragen, wo sie nicht hingehören.

Ich stimme Herrn Nemes zu: man soll Politik herauslassen, wo sie nichts zu suchen hat. Aber so ganz scheint er seine Kinderkrankheit selbst noch nicht überwunden zu haben. Denn er geht darauf, was mein Artikel eigentlich sagen wollte, überhaupt nicht ein. Gesagt werden sollte, daß es heute in Budapest möglich ist, eine Ausstellung moderner Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland zu zeigen und normal zu propagieren. Herr Nemes wird sich daran erinnern, daß man noch vor einigen Jahren die spärlichen Manifestationen des Kulturaustausches zwischen Ungarn und der Bundesrepublik in Budapest eher unauffällig zeigte. (Meine diesbezügliche Anspielung ließ er unbeanstandet) Ich wollte außerdem und vor allem auf einige ungarische Künstler der älteren Generation aufmerksam machen, die trotz ihrer hohen Qualität im deutschsprachigen Raum noch so gut wie unbekannt sind.

An diesen zentralen Themen geht die Polemik vorbei. Herr Nemes ist eben ein erfahrener politischer Journalist und mit der Kunst doch eher ne benbei befaßt. So jagt er fein säuberlich am Rand entlang und spießt politische Randbemerkungen auf.

„… in Ungarn .wäre das vor drei Jahren noch nicht möglich gewesen”, hört man viele Leute sagen.” Diesen Satz beanstandet der Kollege. Ich hätte nicht den Leuten glauben, sondern „in den Kalendern oder Katalogen der Kunsthalle und anderer Ausstellungsräume … zurückblättern” sollen. Nun, ich habe nicht den Leuten geglaubt, ich habe sie zitiert. Allerdings habe ich die Äußerungen wert gefunden, zitiert zu werden. Nemes hält mir vor, es seien in den letzten Jahren „Chagall, Picasso, Kokoschka, Amerigo Tot, Vasarely und viele andere” ausgestellt worden. Das ist nun eine bunte Gesellschaft, von der einige Künstler als „Wagnis” überhaupt aus- scheiden. Chagall mag einmal ein Wagnis gewesen sein, aber aus ganz anderen Gründen als der einstige „Formalist” Klee. Vergleichbar ist eigentlich nur Vasarely, dem in der Tat an gleicher Stelle 1969 eine große Ausstellung gewidmet wurde. Aber das gehört wohl eher in den Rahmen der öfter zu beobachtenden Bestrebungen, prominente Auslands-Ungarn, die in alten Zeiten die Heimat verlassen haben, weil sie dort keine optimalen Arbeitsbedingungen fanden, mit großen Ehren „heimzuholen”.

Nun habe ich mich auch an dem achtzigjährigen Bildhauer Päl Pätzay „vergangen”. Seine Leistungen in der Vergangenheit (zu denen auch das von Nemes abgebildete Reiterstandbild von Szekesfehervär von 1937 gehört) sind unbestritten. Daß Bildhauer auf öffentliche Aufträge angewiesen sind und sich ein wenig den jeweils Herrschenden anpassen müssen, ist nichts

Neues. Die Petöfi-Plakette, die Pätzay „1942 auf Wunsch der halblegalen Ungarischen Historischen Gedenkkommission” schuf, habe ich leider weder in der Ausstellung noch im Katalog entdeckt. Dagegen empfehle ich Herrn Nemes die Betrachtung des „Szt Ist- vän” von 1938, der sein kreuzförmiges Schwert so dräuend emporreckt, als ob er das ganze christliche Abendland vor den Barbaren (aus welcher Richtung man sie damals auch immer erwartete) beschützen wollte. Ich rede nicht von der künstlerischen Qualität.

Aber in einem anderen Punkt bin ich wieder einig mit Herrn Nemes: Uber das Lenin-Denkmal wollen wir nicht diskutieren. Den besten Gag hat er sich allerdings für den Schluß seiner Polemik aufgehoben. Kädär-Porträts gibt es nicht, behauptet er. Nun, vielleicht hat er die Ausstellung gar nicht gesehen oder nur die zweite, verkürzte Auflage des Katalogs erwischt. In der ersten Auflage ist die Kädär-Büste von 1970 ganzseitig abgebildet. Das ist ja keine Schande, und wer wird da gleich an Personenkult denken?

Übrigens bin ich durchaus der Meinung, daß auch der größte Künstler in seinem achten Lebens-Jahrzehnt nicht mehr auf der Höhe seiner Meisterschaft stehen muß. Man wird dann auch dem Mißlungenen den Respekt nicht versagen dürfen. Aber warum man mit so einem Malheur wie der Brunnenfigur, die jetzt im Burgviertel steht („Küt” 1974) gleich ein Stadtviertel verunzieren muß, dessen weltweit beachtete Restaurierung in den letzten Jahren den ungarischen Staat (oder darf man sagen „den Steuerzahler”?) viele Milliarden gekostet hat, das begreift der Außenstehende schwer.

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