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Undurchschaubar

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Ergründbar und für die sezierenden Blicke der Forschung durchschaubar war der Mensch des frühen und hohen Mittelalters mit dem Höhenflug seiner hinreißenden Spiritualität, den Tiefen seiner kindlichen Grausamkeit und der Souveränität seiner Verachtung des Nützlichen. Undurchschaubar und doppelbödig hingegen bleibt für uns Heutige immer noch der Renaissancemensch, der universale, dem allerdings das fühlende Herz fehlt, der enthemmte, allerdings auch leidenschaftlich verbohrte, der alles greifend begreifenwollende, allerdings auch dem Nächtlichen verfallene, der lächelnde, allerdings gefährliche.

Dem Renaissancemenschen Leonardo da Vinci ist eine Fernsehserie gewidmet, die von den Italienern unter Assistenz halb Europas gestaltet wurde, und die uns

FS 2 nunmehr in Abständen auf den Bildschirm bringt.

Die Technik, einen Erzähler in moderner Kleidung zwischen die kostümierten Schauspieler zu stellen, ist nicht neu. Sacha Guitry hat sie vor vielen Jahrzehnten erfunden, um solcherart die Knallfrösche seines Witzes mitten hinein in die historischen Geschehnisse und dem Publikum zwischen die Beine schleudern zu können.

Weniger geistvoll als die Franzosen, jedenfalls auch weniger spielerisch als der seinerzeit immer am Rande des Kabaretts wandelnde Sacha Guitry, stellen nun die Italiener dem undurchschaubaren Leonardo inmitten seiner turbulenten, farbenfrohen Umwelt als grauen Schatten einen kommentierenden modernen Professor zur Seite, dem es zwar gelingt, manche Vasari-Legende zu widerlegen, dem es aber dennoch niemals gelingen kann, die letzten Schleier von diesem T ^br>n. vor

allem von diesem komplizierten Charakter zu heben.

Arg genug freilich, was die deutsche Übersetzung aus dem Text des Erzählers gemacht hat. Da gibt es keines der zeitgenössischen Klischees, das nicht unbefangen den Verhältnissen rund

um das Jahr 1500 aufgeklebt würde. Da sind die italienischen Duodezfürsten der Renaissance auf jeden Fall blutrünstige Tyrannen, die dem Volk die ursprüngliche Freiheit geraubt haben. Daß in Wahrheit das genaue Gegenteil der Fall war und die Alleinherrschaft der Medici, Sforza, Gonzaga und wie sie alle hießen, das Volk der Städte von den guelfisch-ghibellinischen Ausrot-

tungsfehden der republikanischen Oligarchen befreite (man lese nach bei Dante) und den kulturellen sowohl wie den wirtschaftlichen Aufschwung jener Tage überhaupt erst ermöglichte — wer fragt schon danach?

Und warum sind deutsche Sprecher außerstande, was österreichische können: nämlich ausländische Namen dem Original ganz einfach nachzusprechen? Dann würde aus Meister Verroc-chio ganz gewiß kein „Ferro-tschioh““. (Aber, wer fragt schon danach?)

Erstaunlich hingegen, wie es den italienischen Autoren gelungen ist, Landschaftsausschnitte, ja sogar vereinzelte Winkel in toskanischen Städten aufzustöbern, die von den zerstörenden Greueln unseres technischen Zeitalters noch unberührt blieben. Erstaunlich auch die Leistung der Masken- und Kostümbildner, die hier den Nachweis erbringen, daß

Renaissancewämse, wenn richtig geschnitten, genauso fallen müssen, wie sie auf den alten Fresken fallen, daß Falten, verwendet man die richtigen Stoffe, sich so spreizen müssen, wie sie sich auf alten Gemälden und Statuen spreizen. Im Gegensatz zu den meisten, heillos der Konfektion verfallenen Nordvölkern haben die Lateiner im Süden und im Westen eben das Schneidern noch nicht verlernt.

Erstaunlich auch, wie diskret im Laufe der Handlung an die einzelnen (erhaltenen) Werke Leonardos erinnert wird. An die gefährlich lächelnden Madonnen, die doch eher femininen Männer, die immer perfekten und bezaubernden Engelsknaben ... und an den unüberschaubaren Kosmos der Skizzen, in denen sich der grübelnde, maßlose Genius des Leonadro recht eigentlich erst enthüllt.

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