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Ungarns „Mini- Kapitalisten“
Während die Polpn bei ihrer geplanten Wirtschaftsreform immer wieder das ..ungarische Modell" als beispielhaft erwähnen, sind die Magyaren - auch dank des politischenWindschattens", den die Ereignisse im Land an der Weichsel erzeugen - schon wieder einen Schritt weiter: Privatbetriebe, die bis zu hundert Beschäftigte haben können, sollen möglich werden, Privatbauern gefördert werden.
Während die Polpn bei ihrer geplanten Wirtschaftsreform immer wieder das ..ungarische Modell" als beispielhaft erwähnen, sind die Magyaren - auch dank des politischenWindschattens", den die Ereignisse im Land an der Weichsel erzeugen - schon wieder einen Schritt weiter: Privatbetriebe, die bis zu hundert Beschäftigte haben können, sollen möglich werden, Privatbauern gefördert werden.
Das kleine Espresso, das intime Restaurant, wo der Importkaffee hervorragend, die Küche erlesen und die Bedienung rasch und freundlich ist - das war schon bisher im roten Magyarenland ein untrügliches Kennzeichen für einen Privatbetrieb. Auch der kleine Schuster, die Schneiderei, das winzige Installateurunternehmen, das immer über die notwendigen Rohstoffe und Ersatzteile verfügt und - anders als die staatlichen Unternehmen - rasch und zuverlässig arbeitet, ist natürlich in privaten Händen.
Insgesamt 3 Prozent der ungarischen Betriebe gehörten bisher den „Privaten“, den „Mini-Kapitalisten“- und auf den letzten Parteitagen der „Ungarischen Vereinigten Arbeiterpartei“ war jedesmal sowohl das Bekenntnis abgelegt worden, diesen kleinen privatwirtschaftlichen Sektor zu erhalten als auch, ihn nicht größer werden zu lassen.
In aller Stille und Unauffälligkeit scheint man nun in Budapest von diesem letzten Prinzip abgehen zu wollen.
In der Fachpresse ist seit Monaten eine breite Diskussion im Gang, die diesen Schluß zwingend nahelegt. Die Wirtschaftszeitung „Figyelo“ hat folgende Ausweitung des, Privatsektors im „sozialistischen“ Ungarn zur Diskussion gestellt:
? Kleine Privat-Kooperativen, deren Beschäftigtenzahl allerdings nicht über 100 Personen hinausgehen soll und wo die Arbeiter einen direkten Einfluß auf die Entscheidungen des Privat-Unternehmers haben sollen.
? Branchenbetriebe in privater Hand sollen ebenfalls nicht mehr als lOÖ Beschäftigte umfassen und als „autonome“ Wirtschaftseinheiten größerer Staatsbetriebe geführt werden können, wobei allerdings Buchführung, Preisgestaltung und Gewinnermittlung unabhängig erfolgen können. Der „Mutterbetrieb“, also der größere staatliche Betrieb, der vom privaten Branchenbetrieb etwa nur Zulieferungen erhält, kann inso- ferne die „Autonomie“ einschränken, als er Kapital vorstrecken, gewisse Produktionswünsche äußern kann USW.'
? „Wirtschaftsvereinigungen“ von Privateigentümern sollen nicht mehr als 30 Personen (und müssen mindestens 2) umfassèn. Die „kollektive Verantwortlichkeit“ soll dadurch gegeben sein, daß die Mitarbeiter ihr Einkommen und ihr gesamtes persönliches Vermögen sozusagen dem Betrieb verpfänden und dadurch ihn als „Gruppeneigentum“ besitzen.
Allen drei neu vorgeschlagenen Typen der Privatbetriebe ist gemeinsam, daß sie nicht unter staatlichem1 Einfluß oder planwirtschaftlichen Direktiven stehen, daß sie auch kein Kapital vom Staat selbst, sondern von den Privatpersonen, die in dem Betrieb sind, erhalten.
Sie sollen damit sehr flexibel reagieren können und sind nur durch die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen (Arbeitschutz, Steuer, Sozialversicherung etc.) begrenzt.
Auch in der Landwirtschaft soll offenkundig dem Privaten noch mehr Spielraum und Möglichkeiten eingeräumt werden.
14 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in Ungarn,
von Privaten bearbeitet, haben schon bisher 35 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion hervorgebracht. Allein diese Ziffer zeigt die überragende Bedeutung der privaten Hofländer für eine gesicherte Lebensmittelversorgung.
Die interessante Entwicklung dabei, erhoben vom ungarischen Agrarforschungsinstitut, ist allerdings: Nur noch 15 Prozent dieser kleinen privaten Landwirtschaften werden auch von „echten“ Bauern bearbeijet, die restlichen 85 Prozent verteilen sich auf Industriearbeiter, Angestellte oder Rentner, die das private Hofland im Nebenerwerb und als Hobby betreuen.
Offenbar davon ausgehend - und um diese Hobby-Bauern bei der Stange zu halten - wurden nun von Regierungseite einige wichtige Zugeständnisse gemacht und Neuregelungen getroffen:
• Die steuerlichen Abgaben für die privaten Hofwirtschaften werden weiterhin niedrig gehalten, während die Ankaufspreise für landwirtschaftliche Produkte, die vor allem von den Hofländern erzeugt werden, angehoben wurden.
• Anstatt die staatlichen Hilfen für die materiell-technische Ausstattung zu reduzieren, wie das bei den Genossenschaftsbetrieben und Staatsgütern der Fall war, wurden sie für die kleinen Privatwirtschaften entweder erhöht oder zumindest unverändert belassen.
• Um die Haltung von Milchkühen zu forcieren, zahlt der Staat denjenigen Privatbauern, die zwei oder mehr Tiere haben, pro Stück einen Zuschuß von 6000 Forint pro Jahr, anstatt bisher nur 5000.
• Die Zinsen für Kredite, die nachweislich für Futteranlagen, Maschinen, Zuchttierankauf usw. verwendet werden, wurden gesenkt, der Kreditrahmen von bisher 50.000 auf 100.000 Forint ausgeweitet.
Noch ist es zu früh, um zu sagen, ob sich die offenbar angestrebte Erweiterung des privatwirtschaftlichen Sektors in Ungarn auch tatsächlich durchsetzen wird oder das alles nur am Papier bleibt.
Als Hindernisse stehen entgegen: .
• Gewisse gesetzliche Regelungen für diese Privatbetriebe sind noch offen oder nicht umfassend geregelt - etwa in der Sozial- und Pensionsversicherung, im Steuer- und Ankaufssystem usw.
• Gewisse soziale Spannungen - die Privatbetriebe haben sich bisher mehrheitlich als „Goldgruben“ erwiesen und im Vergleich zum Durchschnittslohn hohe Einkommen garantiert - könnten auftreten, die den Staat zu einer Zurücknahme seiner jetzigen Konzessionen zwingen könnten.
Dennoch: Daß Ungarn erneut versucht, unbelastet von Ideologie, im Interesse der Versorgung und des Konsumenten, dem verpönten Privateigentum mehr Raum zu schaffen, ist ein ebenso stiller wie bemerkenswerter Reformschritt.
Die witzigen Magyaren haben auch dafür schon ihren Aphorismus: „Normalerweise ist Kommunismus der Sieg der Ideologie über den gesunden Menschenverstand. Wir versuchen das umzukehren.“
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