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Digital In Arbeit

Verliert die Kirche die Arbeiterjugend?

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Seit 20 Jahren arbeite ich als Priester unserer Kirche in unserer Kirche - ich sage es gleich vorweg - sehr gerne. Zehn Jahre davon arbeite ich in einem katholischen Verband, dem Kolpingwerk. Ich habe die Kirche am Ort, in der Pfarrgemeinde, in ihren Gliederungen und Strukturen kennengelernt. Ich war Dekanats- und Gebietsseelsorger der katholischen Arbeiterjugend, und ich erlebe „Kirche“ in einem Verband.

Wenn Sie mich nun fragen, was mir als engagiertem Christen ein persönliches Anliegen ist, dann kann ich hur antworten: die Verbandsarbeit. Das haben Sie erwartet-gut, aber ich will versuchen, Ihnen zu sagen, warum.

Ich sehe tagtäglich einmalige Chancen für unsere Sozial- und Bildungsarbeit im Sinne der Kirche wie kaum anderswo. Ich sehe aber auch, wie unbeholfen diese Kirche - nicht nur nach dem Krieg - mit den Verbänden umgegangen ist und umgeht. Daß ich nicht falsch verstanden werde: der Freiheitsraum ist groß genug - damit aber auch die innere Distanz: Ihr vom Kolpingwerk - wir von der Kirche.

„Wenn ich als Bischof jemandem den Vorzug geben müßte - der Caritas oder Kolping, dann - bitte, verstehen Sie mich nicht falsch -dann ist mir die Caritas halt doch näher.“ Ich verstehe nicht falsch; ich verstehe überhaupt nicht! Man verzeihe mir: hat nicht jeder seine Gaben und seine Aufgaben? Muß da gleich gegeneinander ausgespielt, gemessen, gewogen und gezählt werden. Womöglich Geld gezählt werden?

Im Kolpingwerk arbeiten etwa 60 Priester in den Kol-pinghäusern und in den meisten Fällen wohnen sie auch dort. 7500 Mädchen und Burschen kommen damit in den Nahbereich der Kirche, auf dem Weg über ein soziales Angebot, das gar nicht stark genug herausgestrichen werden kann. Ich sage Ihnen auch warum: Wir vom Kolpingwerk machen den jungen Leuten das Angebot, bei uns zu wohnen, wobei uns ein sehr einfaches, aber wichtiges Wort des Kirchenlehrers Clemens von Alexandrien immer Leitgedanke war: Auf die Frage „Was tust du, wenn du jemand für Christus gewinnen willst?“ sagte er: „Ich lasse ihn ein Jahr in meinem Hause wohnen.“

Diese Gesinnung verlangt unsere letzten Kräfte und verlangt ein qualifiziertes Zeugnis für Christus - Tag und Nacht. Das klingt großspurig, ist es aber nicht. Das wissen wir deshalb so gut, weil wir am Unvollendeten, an den Halbheiten erkennen, was zu tun wäre, welche Möglichkeiten und Erwartungen offen bleiben.

„Es gibt so viele Laientheologen!“ hören wir immer wieder - ja müssen denn die alle in die Schule gehen? Sieht man in der außerschulischen Jugendbildung immer nur das Hobby einiger Außenseiter? Ist der Lehrling und junge Arbeiter immer noch das unbekannte Wesen, dessen Sprache man nicht versteht, dessen Interessen man nicht kennt, den man am besten seine Wege gehen läßt?

Studentenheime haben ihre Pastoralassistenten -Kolpingheime haben keine. Das hegt weniger am Geld, glaube ich. Liegt es vielleicht daran, daß sich Studierte lieber mit Studierenden abgeben, weil ihnen die Arbeit mit den Nichtstudierten zu minder ist?

Der Kirche hält man vor, sie hätte im vorigen Jahrhundert die Arbeiter verloren. Hat sie in diesem Jahrhundert die Arbeiterjugend verloren? Was ist aus der KAJ geworden? Der Neid könnte einen fressen, wenn man von einem polnischen Bischof hört: „Wir waren immer eine Kirche der Arbeiter - und damit eine Kirche des einfachen Volkes.“

Ich halte das Kolpingwerk nicht für den allein seligma-chenden Verband, aber am Kolpingwerk erlebe ich, was man heute mit jungen Lehrlingen und Arbeitern alles machen kann. Aber das weiß ja außer uns kaum jemand. Das interessiert nur wenige, und das ist eigentlich das schlimmste. Es berührt mich ein wenig eigenartig, wenn ich bei den verschiedenen Treffen, Empfängen, Symposien und Tagungen immer demselben Paradearbeiter begegne, so als halte man sich so ein Exemplar zum Herzeigen. Das klingt bissig, ist aber nicht böse gemeint.

Jedenfalls freue ich mich, daß ich mein Anliegen gerade in einer Zeitung aussprechen durfte, deren Leserkreis sicher in der Lage ist, zu beurteilen, was es bedeutet, wenn Lehrlinge und junge Arbeiter als Randgruppe der Kirche „links“ liegen bleiben.

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