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Wahlkampf stoppt Reform

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Das erste Etappenziel wurde am 20. Jänner erreicht: An diesem Tag endete das Begutachtungsverfahren zum „Bundesgesetz über die Behandlung jugendlicher Rechtsbrecher 1983“.

Kurz die Vorgeschichte (FURCHE 41/1982): Geplant war eigentlich nur die Novellierung des aus dem Jahr 1961 stammenden Jugendgerichtsgesetzes (JGG). Die 14. Jugendrichtertagung Anfang Oktober 1982 in Ossiach und eine Enquete mit österreichischen Jugendorganisationen am 8. Oktober des Vorjahres in Wien brachten jedoch so zahlreiche Änderungsvorschläge, daß man sich zu einer vollständigen Neugestaltung des Jugendstrafrechtes entschloß.

Der Gesetzesentwurf passierte nun den Ministerrat und wird „aller Voraussicht nach dem parlamentarischen Justizausschuß zugewiesen werden“, meint Sepp Rieder, Justizminister Brodas Sprachrohr und zuständiger Beamter für die Angelegenheiten des JGG.

Ob es in dieser Gesetzgebungsperiode noch zu einer parlamentarischen Beratung kommt, weiß Rieder nicht: „Sie wissen, der Nationalratswahlkampf hat begonnen.“

In der Reihe der Gesetze, die unter Langzeit-Minister Christian Broda beschlossen wurden, ist

das JGG 1983 „sehr hoch einzustufen“ (Rieder). Daß von allen an der Diskussion Beteiligten fast nur positive Stimmen zu hören waren, verwundert nicht, „denn eine sinnvolle Weiterentwicklung oder Adaption des JGG wurde bisher noch nicht vorgenommen“ (Udo Jesionek, Präsident des Jugendgerichtshofes Wien).

Für Ministerialrat Rieder ist das neue JGG „kein ideologisches

Phantom“, sondern eines jener Gesetze, in dem alle für ihn wichtigen Gesetzeskomponenten Vorkommen: „Feste Grundsätze, eine Modernisierung der alten Rechtsmaterie, große Bedeutung für die Praxis und sogar Ent-, und nicht Belastungen für die durchführenden Beamten.“

Eine breite Diskussion beim neuen JGG hat es um den Paragraphen 20 gegeben: Das Gericht kann das Strafverfahren gegen einen Jugendlichen für eine Pro

bezeit von einem bis zu drei Jahren oder unter der Bedingung der Erfüllung einer Auflage einstellen. Folgende Auflagen sind nun vorgesehen:

• einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zahlen;

• die unentgeltliche Erbringung von gemeinnützigen Leistungen in der Freizeit;

• die unentgeltliche Erbringung von Leistungen gegenüber dem durch die Tat Geschädigten. Die „gemeinnützigen Leistungen“ sollen — so heißt es im Gesetz — „beispielsweise die Mithilfe bei Einrichtungen der Jugend-, Behinderten- und Altenbetreuung“ sein.

Und da gab und gibt es die Probleme. „Das Gesetz ist ja gut und es war auch schon notwendig“, meint Wolfram Anders von den Pfadfindern Österreichs, „aber unsere Funktionäre haben Bedenken, wie das in die Praxis umgesetzt werden soll und was passieren kann, wenn ein straffällig gewordener Jugendlicher in eine gut funktionierende Jugendgrup

pe kommt und dort gemeinsam mit ihm fremden Menschen arbeiten soll.“

Im Ministerium stellt man sich die Organisation und Durchführung so vor: Die einzelnen Jugendorganisationen bieten in einem „Katalog“ verschiedene Tätigkeiten an, der Richter kann auswählen, der jugendliche Beschuldigte muß zustimmen, und die Jugendorganisation liefert nach „getaner Arbeit“ dem Gericht einen Bericht über den jugendlichen Mithelfer.

Schwierigkeiten bei der Eingliederung der Jugendlichen sieht Sepp Rieder hingegen keine. „Erstens wird es sich dabei sicher um keine .schweren Burschen’ handeln; außerdem müssen die Richter auf die Persönlichkeit des Jugendlichen Rücksicht nehmen, und es gibt ja noch andere Arten von Auflagen.“

„Eine Illegalität, die geduldet wurde“ (Rieder), auf die man aber jetzt sehr genau schauen wird, war der Besuch von Jugendgerichtsverhandlungen durch Schulklassen. Nach der Strafpro

zeßordnung dürfen nur Erwachsene bei Hauptverhandlungen anwesend sein. Es wird also jetzt nicht mehr zu so peinlichen Situationen kommen, daß es sich bei dem vor Gericht stehenden Jugendlichen um einen Bekannten der auf den Zuhörerbänken Sitzenden handelt. Zu welchen Auswirkungen das vor allem in ländlichen Gebieten führte, braucht wohl nicht erklärt werden. Verstärkt solle aber der Besuch von Richtern in die Schulen werden.

Bei der bedingten Entlassung eines Jugendlichen aus der Haft soll nun nicht mehr auf generalpräventive Wirkungen Rücksicht genommen werden. Sepp Rieder: „Als Jurist unterschätzt man vielleicht die Wirkung der Generalprävention, also der abschreckenden Wirkung der Strafe auf die Allgemeinheit. Das Strafrecht wirkt dort präventiv, wo es auf einer breiten Meinung der Leute beruht. Die Gruppenwirkung einer sozialen ist stärker als der erhobene Zeigefinger.“

Auf die Frage, ob die Zurück- drängung der Generalprävention beim JGG nur ein Anfang sei, meinte der Justiz-Ministerialrat: „Es geht sicherlich auch beim Erwachsenen in die Richtung der Ausschaltung der Generalprävention. Aber ich will hier nichts dramatisieren.“

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