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War Herodes schuldlos am Kindermord von Bethlehem?

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In der kürzlich erschienenen Herodes-Biographie von Gerhard Prausė - ihr Verfasser ist Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ - wird behauptet, der Bericht vom Kindermord in Bethlehem sei eine bloße „Legende“ des Matthäus, da er sonst nirgend aufscheint. Aber welchen Grund hätte Matthäus zu dieser argen Verleumdung gehabt? Das Schweigen des Josephus darüber wiegt sicherlich schwer, aber er vermeidet ja überhaupt, das Messiasproblem im Judentum zu erwähnen, um die römischen Leser seines Werkes nicht neuerdings mißtrauisch gegen sein Volk zu machen. Wo er aber von dem verheißenen Weltenkönig aus Judäa sprechen muß (der ja nicht nur im Alten Testament, sondern auch bei Tacitus und Sueton erwähnt wird, da bezeichnet er klugerweise - Vespasian als diesen Weltenkönig, der ja tatsächlich 68 n. Chr. in Judäa zum Kaiser ausgerufen wurde.

Der protestantische Theologe E. Stauffer erklärt das Schweigen des Josephus so: Er zählt zunächst eine stattliche Anzahl von Todesurteilen und Justizmorden des Herodes auf und zieht daraus den Schluß: „In diesem Herrscherleben ist eine Aktion wie der Kindermord von Bethlehem nur eine kleine Episode, wie sie der unaufhörliche Kampf um die Macht so mit sich bringt.“

Die typisch orientalische, ja manchmal schon ans Pathologische grenzende Grausamkeit kann auch Prausė nicht ganz wegdisputieren. Er schreibt aber die vielen Todesurteile einem „von Herodes weitgehend unabhängigen Gericht“ zu. Für die „Pathologie“ des Königs nur ein Beispiel: Er läßt seine Lieblingsfrau Mariamne - im ganzen hatte er neun Frauen - aus (in unseren Augen) nichtigen Gründen hinrichten, und bald hernach ruft er unter Tränen immer wieder ihren Namen und gibt seinen Dienern den Befehl, sie überall zu suchen. Sein immer größer werdendes Mißtrauen gegen alle potentiellen Verschwörer treibt ihn später dazu, auch seine beiden Söhne Alexander und Aristobul hinrichten zu lassen. Und noch fünf Tage vor seinem eigenen Tod überliefert Herodes, selbst schon schwer krank, seinen ältesten Sohn Antipater dem Scharfrichter, freilich nicht ganz unverdient.

Der bekannte jüdische Historiker Abraham Schalit kennt selbstverständlich die Einwände der heutigen kritischen Exegese, aber

„… nichtsdestoweniger sehe ich in dem Befehl als solchem kein Ding der Unmöglichkeit. Herodes war am Ende seines Lebens nicht mehr im Vollbesitz seiner Sinne und dicht am Rande des Irrsinns. Warum sollen wir also nicht annehmen dürfen, daß ein halbwahnsinniger Despot imstande war, einen wahnwitzigen Blutbefehl, wie er im Matthäusevangelium überliefert ist, auszugeben?“ Schalit macht noch auf ein zweites aufmerksam: „Der Glaube an die unmittelbar bevorstehende Ankunft des messianischen Königs lag damals in der Luft. Der argwöhnische Despot spürte überall Verrat und Feindschaft“ So mußte die Frage der Magier nach dem „neugeborenen König der Juden“ sofort den Entschluß wecken, die neugeborenen Kinder in Bethlehem zu töten. „Der Befehl hat somit nichts Urimögliches an sich. Wenn es die Herrschaft galt, kannte auch der sterbende Herodes keinen Scherz“.

Zweifellos spielt auch noch der Umstand eine Rolle, daß der König der Juden (von Roms Gnaden) ein Idumäer war, der immer irgendwie als Ausländer angesehen wurde. Nach Ansicht der Pharisäer und auch vieler anderer Bewohner Palästinas sollte dagegen nur ein Angehöriger des Hauses David über Israel herrschen, wie es von Gott ausdrücklich festgelegt wurde. So ließ denn Herodes durch Nikolaus von Damaskus einen Stammbaum anlegen, nach welchem seine Vorfahren Juden waren, die aus dem babylonischen Exil wieder nach Palästina heimkehren durften. Diese Fälschung wurde schon von Josephus als solche erkannt und abgelehnt. So hatte der „Ausländer“ Herodes bei der Frage der Magier allen Grund, zu erschrecken und zog sehr bald und sehr schlau seine blutigen Konsequenzen.

Wenn der Kindermord von Bethlehem überhaupt nicht erfolgte, dann wäre auch die Flucht nach Ägypten überflüssig gewesen. Aber von einem Aufenthalt Jesu in Ägypten weiß schon der jüdische Gesprächspartner des Kelsos, wie auch der Talmud. Daß Matthäus die Anzahl der getöteten Knaben nicht angibt, ist sicher kein Beweis für die Ungeschichtlichkeit des Berichtes, denn Herodes ließ für dieses Verbrechen an unschuldigen Kindern bestimmt keine amtlichen Zahlenangaben veröffentlichen. Wohl aber ist es ungeschichtlich, wenn ein allzu begeisterter Rezensent des vorliegenden Werkes Herodes als „liebevollen Familienvater“ bezeichnet Die Quellen sprechen anders. Herodes war unbestritten der bedeutendste Bauherr seiner Zeit. Das bestätigen der großartig restaurierte Tempel in Jerusalem, die neuen Hafenanlagen in Cäsarea am Meer, mehrere neu angelegte Städte,wie Antipatris. Bei einer Hungersnot in Judäa ließ er alle Gold- und Silbergeräte seines Palastes einschmelzen, um damit für sein Land in Ägypten Getreide einzukaufen. Sein sehr beachtliches Feldherrntalent bewies Herodes durch die Siege über die Araber oder durch die listenreiche Eroberung der schwer zugänglichen Felsenhöhlen von Arbela.

Sein unbändiger Wille zur Macht verschmähte kein Mittel, man denke nur an die systematische Ausrottung der ganzen Hasmo- näerdynastie. Obwohl Jude, ging Herodes als neuernannter König ohne Zögern mit Marc Anton auf das Kapitol, um dort dem Jupiter das Opfer darzubringen. Um zusätzliches Geld für seine höchst aufwendige Hofhaltung aufzutreiben, plünderte er sogar das Davidsgrab. Dafür ließ er wieder den durch Brand zerstörten Apollotempel auf Rhodos auf seine Kosten neu aufbauen.

So wird auch die jüngste, sehr wohlwollende Monographie von Gerhard Prausė nicht allzu viel ändern können an dem zum größten Teil doch recht düsteren Bild des Kindermörders von Bethlehem.

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