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Was ist uns die neue Kunst wert?

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Die Würfel sind gefallen. Nach langem Tauziehen um die Gründung eines Museums für moderne Kunst, das vor allem die deutsche Sammlung Ludwig, wahrscheinlich auch den Nachlaß Fritz Wotrubas, neue Bestände des Kunsthistorischen Museums und eine Menge aus den überquellenden Depots des Museums des 20. Jahrhunderts aufnehmen soll, liegt die Entscheidung vor. Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg hat sich für den prunkvollen Barockpalast der Liechtensteins am Aisergrund entschieden. Und vor allem der Wien zugedachte Teil der berühmten Sammlung Ludwig soll so rasch wie möglich - also noch heuer - zugänglich gemacht werden.

Aber auch dem streitbaren Verein für die Rettung des Museums des 20. Jahrhunderts hat Minister Firn-berg den Wind aus den Segeln genommen (oder zumindest teilweise). Denn die Zusage liegt vor: das ,£wanzgerhaus“ bleibt erhalten, soll systematisch renoviert werden und speziell für aktuelle Ausstellungen zur Verfügung stehen. Aus einem Provisorium im Schweizergarten - denn das war letztlich der von der Brüsseler Weltausstellung 1958 nach Wien überführte Pavillon - ist damit endgültig ein Fixpunkt für die Wiener Kunstszene geworden (und es geht nur darum, demnächst den fressenden Rostaus dem Haus zu verbannen). A ber wer weiß, vielleicht setzen die Kämpfer für den Schweizergartenpavillon auch noch eine Vergrößerung des Gebäudes durch. Der neuen Kunst zum Schaden würde auch das nicht gereichen.

Kaum war die Sache mit dem Liechtensteinpalais beschlossen, ging auch schon die Wiener Betriebsamkeit los. Sturm gegen das Projekt, wie es sich gehört. Als ob diese Museumsvariante nicht vor allen anderen zu erwarten gewesen wäre. Denn rund 100 Millionen Schilling zur Adaptierung des „Liechtenstein“ flüssigzumachen, war für alle Beteiligten und Verantwortlichen doch um einiges einfacher, als neben dem Museum des 20. Jahrhunderts partout einen Neubau aus dem Boden zu stampfen. Oder gar sich Hals über Kopf in das Riesenprojekt der Adaptierung des Wiener Messepalastes zu stürzen, dessen finanzielle Größenordnung offiziell mit etwa sieben- bis achthundert Millionen angegeben wird (aber wahrscheinlich nicht unter einer Milliarde Investitionen zu schaffen wäre). Kann eine Wissenschaftsministerin so einfach eine Milliarde aus dem Hut zaubern? Bei dieser Finanzlage?

Die „kleine Lösung“ stand also ohnedies ins Haus. Und jetzt heißt es für alle Beteiligten, das Beste draus zu machen. Keine Frage, die neue Galerie im Liechtenstein ist wieder ein Provisorium. Es wird sich sicher genauso „verfestigen“ wie das Provisorium im Schweizergarten. Aber ist nicht der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach?

Allerdings steht damit auch nicht in Frage, daß der riesige Messepalast natürlich die großzügigere Lösung geboten hätte und noch immer böte. Große Säle, Galerien, Höfe... eigentlich alles ideal geeignet für ein Museum moderner Kunst und : ein Zentrum vielfältiger Aktivitäten. Und obendrein an einer Stelle, die für alle leicht erreichbar ist. Ganz abgesehen davon, wäre eine Entscheidung für den Messepalast auch vom denkmalschützerischen Standpunkt erfreulich. Denn wer sagt, daß der Riesenbaukomplex nicht weiterhin bloß irgendwie halb- oder gar nicht verwendet wird und zu einer Luxusruine verfällt, die zu retten dann noch viel mehr kostet?

Es wäre also höchste Zeit, sich dazu einiges einfallen zu lassen: ein langfristiges Museumskonzept zu erarbeiten - denn das hat man bis jetzt verabsäumt -, sich über Gewichtsverteilungen und notwendige Zentralisierungen der Sammlungsbestände (Platznot im Kunsthistorischen und Natur historischen, Platznot der Sekundärgalerie usw.) klarzuwerden und dann die Gretchenfrage zu stellen: Können wir uns den Messepalast als modernes Museum leisten oder nicht? Und vor allem: Kann Wien sich den Problemen der neuen Kunst permanent mit halben Lösungen entziehen, während die meisten großen Städte diese Frage längst gelöst haben? Von Berlin bis München, von Paris bis Rom, von Mailand bis London. Denn daß Wien den eigenen großen Museumsleistungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Gegenwart praktisch nichts entgegenzustellen hat, kann jeder sehen!

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