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Wellenreiter Garaudy

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Roger Garaudy hat in die lange Liste seiner Offenbarungstraktate 1979 einen umfangreichen „Aufruf an die Lebenden“ eingefügt, dem inzwischen wieder neue Emanationen seines Fleißes gefolgt sind. Der Appell von 1979 ist just am Ende seiner kurzen Laufbahn als einer der Präsidentschaftskandidaten hinter Giscard, Mitterrand, Chirac usw. auch auf deutsch erschienen.

Der bald 70jährige Professor für Allerlei (Kunstgeschichte und Philosophie), trocken wirkender, aber unermüdlich-rühriger mediterraner Typ, Sohn des immer unruhigen, ketzerisch- aufrührerischen Midi, kaninchenhaft fruchtbar wie die katalanischen Nachbarn Dali, Mirö, Picasso und andere, suchte, im Gegensatz zum Elternhaus, zunächst kirchlichen Halt, dann in der KPF, deren ZK er 25 Jahre, deren Politbüro er 12 Jahre angehörte.

Er galt als Chefideologe seiner Partei, hielt sich wohl auch für deren-Sus- low. Zur Erweckung dieses Heilkünders bedurfte es der Enthüllung der Verbrechen Stalins durch Chruschtschow (1956); den Bruch mit den Genossen schaffte erst die Exekution der Breschnew-Doktrin 1968 in der Tschechoslowakei.

1970 wurde Garaudy aus der KPF ausgeschlossen (ließ er sich ausschließen, wie er selbst sagt). Ehe ihm das widerfuhr, gehörte er zu den Vorreitern (Vordenkern?) des Dialogs zwischen - gewissen - Christen und Marxisten; natürlich läßt er sich auch als einer der

Väter des „Euro“-Kommunismus reklamieren.

Ein so geschäftiger wie wichtiger Mann hat, in autobiographischen Bruchstücken, Auskunft zu geben über sein Leben („Menschenwort“, 1976) und seine Weltschau auch in einen „Roman“ zu stecken („Die wiedergefundene Liebe“, Wien 1981).

Mittlerweile soll die Welt eher grün als rot werden. Wellenreiter Garaudy ist wiederum obenauf: mit dem „Aufruf an die Lebenden“. Von der industriellen Zivilisation droht, wofür Günther Anders das Wort Globozid geprägt hat. Dawider mobilisiert Garaudy nun die „Weisheit dreier Welten“ - aller Weltreligionen -, um daraus mit der Immanenzreligion Sozialismus und mit dessen Varianten das Mischmasch seiner Alternative zu brauen.

Das Szenarium totaler Misere hat Konjunktur. Der Vorreiter nimmt nicht wahr, daß er hinter den Geißelbrüdern unserer Tage herrennt. Hoffnung, was sonst, ersprießt mit der „neuen Internationale“, mit der im Nachwort Robert Jungk die Freunderl- Mafia der Erlösungsapostel verwechselt.

Immerdar Gläubige sehen sich unbeirrt durch das, was heute geschieht, was sie gestern aber noch nicht einmal ahnten, bestätigt, ob nun Fehlhandlungen mit Schadfolgen im „Kapitalismus“ endlich dessen Endkrise ansagen oder ob die Ereignisse in Polen seit Sommer 1980 Garaudys Visionen bestätigen.

Was uns bescheret werden soll? Der Einklang des Einzelnen mit seiner Umwelt … Wer diesen Fernen Klang hautnah, wie man heute sagt, .selber erlebt hat, die Widermenschlichkeit solcher „Harmonie“ kennt und um den dahinter steckenden Machtwahn weiß, dankt entschieden.

Die Vergangenheit solch unentwegter, unbelehrter Menschheits-Oberlehrer wäre Anlaß genug, Scham zu lernen, an sich zu halten, das Kinderver- zah’n, die ideologische Benebelung mit wechselnden Moden sein zu lassen; weit gefehlt… Auch Jungk, dieser Univer- sal-Adabei, fragt nicht, was gerade die angeblich rettenden Weisheiten dreier Welten und „Projekte“ ä la Garaudy zur heutigen Weltlage beitragen oder wieviel frustrierter Machtwille solche ideokratische Großgschaftlhuberei treibt.

Jungk sucht in seinem Nachwort zwischen Sympathiewerbung und Distanzierung Balance zu halten; er ernennt Garaudy taxfrei zum Dissidenten. womit diese Bezeichnung einmal mehr inflationiert und verfälscht wird.

Zu fragen bleibt, was gegenüber den selbsternannten Klassedenkern eher angebracht ist: Mitleid oder Erich Kästners - wie man heute sagen würde: feministischer - Herzenswunsch vor „sogenannten Klassefrauen“: „Wenn’s doch Mode würde, diesen Kröten/jede Öffnung einzeln zuzulöten! / Denn dann wären wir sie endlich los“.

AUFRUF AN DIE LEBENDEN. Von Roger Guruudy. Luchterhand Verlag, Darmstadl und Neuwied l98l,4IOSeiten, Ln.,öS277,20

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