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Weltgeschichte(n)

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„Was fällt Ihnen“, fragte ich den Indianer, „eigentlich ein, wenn vom zweihundertsten Geburtstag der Vereinigten Staaten gesprochen wird?“

„Warum gerade mir?“ sagte der Indianer.

„Na ja“, meinte ich, „Sie als Rothaut müssen doch ein besonderes Verhältnis zu diesem Jubiläum haben!“

„Wir drehen gerade den fünfunddreißigsten Indianerfilm des Jahres, in zehn davon habe ich mitgespielt, und noch in weiteren zehn bin ich dabei“, sagte der Mann.

„Und was verdienen Sie dabei?“ wollte ich wissen.

„Ganz anständig“, sagte der Indianer, „es ist ein weit über dem Durchschnitt bezahlter Job.“

„Aha“, meinte ich, „und was haben Sie zu tun?“

„Also“, sagte die Rothaut, „zunächst einmal muß ich natürlich so richtig indianisch aussehen. Da werden sehr harte Maßstäbe angelegt. Außerdem wird natürlich erwartet, daß ich reiten kann wie der Teufel.“

„Und Lassoschwingen?“ wollte ich wissen.

„Ist doch klar“, meinte er, „und auch alle anderen Dinge, die Indianer halt so können, aus dem Effeff. Vom galoppierenden Pferd fallenlassen, auf das galoppierende Pferd aufspringen, ganz zu schweigen von dem typischen Indianergeheul, das den .Kinobesuchern das Blut in den Adern erstarren läßt und auf das die Regisseure größten Wert legen. Es ist nicht leicht, ein Indianer zu sein. Vor allem in Hollywood.“

„Und Ihre Schulkollegen“, sagte

ich, „welche Berufe haben die ergriffen?“

„Alle möglichen“, antwortete er und rückte seinen Federschmuck zurecht, „drei sind Lehrer geworden, ein paar arbeiten in allen möglichen Büroberufen, die meisten habe ich natürlich aus den Augen verloren. Einer hat mit einem Autohandel eine Menge Dollars gemacht, und einer hat es sogar zum Psychiater in New York gebracht. Mann, ich sage Ihnen, der fährt einen Rolls-Royce und muß sich von einem anderen Psychiater behandeln lassen, weil es nämlich sehr ungesund für das seelische Gleichgewicht sein soll, wenn man nicht weiß, was man mit seinem vielen Geld anfangen soll.“

„Dann“, sagte ich, „sind Sie also in keiner Weise benachteiligt?“

„Warum sollte ich benachteiligt sein“, sagte der Indianer, „Amerika ist schließlich ein. freies Land, das jedem jede Chance gibt.“

„Und Sie werden nicht unterdrückt?“ fragte ich fassungslos.

„In keiner Weise“, sagte er, „in einer Demokratie wird doch niemand unterdrückt.“

„Und Sie hatten in Ihrem beruflichen Werdegang keine besonderen Schwierigkeiten zu überwinden?“ bohrte ich weiter.

„Mann, Sie kommen mir langsam komisch vor“, sagte er, „mir scheint, Sie sind ein Kommunist. Warum sollte ich besondere Schwierigkeiten gehabt haben? Gleiche Chancen für jeden, 'das ist die amerikanische Devise, und nach dieser Devise geht es in diesem Land noch immer zu.“

„Hochinteressant“, sagte ich, „das ist unerhört interessant. Was für ein Auto fahren Sie?“

„Einen Cadillac“, sagte er, „mit meiner Qualifikation kann man sich das leisten.“

„Und Ihre Frau“, sagte ich, „welcher Rasse gehört sie an?“

„Ihr Vater war ein deutscher Einwanderer“, sagte der Indianer, „aber sie ist eine echte Amerikanerin.“

„Und ...“ hob ich an.

„Schluß“, sagte er, „Sie haben mir jetzt genug Zeit gestohlen. Ich mache jetzt Feierabend. Heute drehen wir nichts mehr.“

Er setzte sich an seinen Schminktisch, nahm einen großen Wattebausch, fuhr damit in einen Tiegel und beschmierte sich gründlich mit einer fettigen Creme.

„Das Zeug“, meinte er, „muß eine Weile einwirken, sonst geht die Kriegsbemalung nicht runter.“

Dann nahm er ein Handtuch und wischte sich gründlich ab, und als er wieder aufblickte, war das Handtuch rot und er war so weiß, wie Sie und ich.

„Sie sind ja ...“ stammelte ich.

„Natürlich“, sagte er, „was haben denn Sie gedacht?“

„Ich hab' Sie für einen echten Indianer gehalten/“ sagte ich und wurde nun meinerseits rot bis hinter die Ohren.

„Ach, deshalb die blöden Fragen“, sagte er, „nein, Indianer suchen Sie hier in Hollywood vergebens.“

„Aber warum“, sagte ich, „spielen nicht wenigstens in den Indianerfilmen richtige Indianer die Indianer?“

„Das hat zwei Gründe“, sagte der Mann, „erstens sind sie dazu nicht genügend qualifiziert, denn welcher Indianer kann überhaupt noch reiten und Lassowerfen.“

„Und zweitens ...“

„Und zweitens“, sagte er, „lassen wir sie gar nicht rein. Das würde uns noch fehlen — echte Indianer als Konkurrenz! Bei dem Überschuß an weißen Komparsen!“

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