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Wer schützt Autoren und Publikum?

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Da las man zu Beginn des neuen Jahres in deutschen Zeitungen, Maximilian Schell, Schauspieler, Filmschauspieler und gelegentlich auch Regisseur, habe das Schauspielhaus Düsseldorf verklagt, weil der Leiter der Bühne, Karlheinz Stroux, seine „Pygmalion"-Aufführung nach der Premiere ohne seine Zustim- HaP. Was Im Attg^Hck di« l^eatetptiiąt^^^^^ ifetr^äB es kaum tH>«ai ėitt^^^P^ Das heißt,- es gibt schon ein Publikum oder viele Leute, die gern ins Theater gingen, wenn man sie nicht fast mit Gewialt daraus vertriebe. Man — das sind die Dramaturgen, aber vor allem die Regisseure, die Stücke spielen, welche niemand sehen will, und diejenigen, die man gerne sehen würde, so spielen, daß nicht einmal der Autor sie wiedererkennen würde.

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Da las man zu Beginn des neuen Jahres in deutschen Zeitungen, Maximilian Schell, Schauspieler, Filmschauspieler und gelegentlich auch Regisseur, habe das Schauspielhaus Düsseldorf verklagt, weil der Leiter der Bühne, Karlheinz Stroux, seine „Pygmalion"-Aufführung nach der Premiere ohne seine Zustim- HaP. Was Im Attg^Hck di« l^eatetptiiąt^^^^^ ifetr^äB es kaum tH>«ai ėitt^^^P^ Das heißt,- es gibt schon ein Publikum oder viele Leute, die gern ins Theater gingen, wenn man sie nicht fast mit Gewialt daraus vertriebe. Man — das sind die Dramaturgen, aber vor allem die Regisseure, die Stücke spielen, welche niemand sehen will, und diejenigen, die man gerne sehen würde, so spielen, daß nicht einmal der Autor sie wiedererkennen würde.

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Gtertaf Grüftdgens, der letzte große Theatermann unserer Zeit, pflegte zu sagen: „Es ist wichtiger, richtig Theater zu spielen als gut. Gut, und richtig ist natürlich das Optimum, aber riditig und sdiledit ist immer noch besser als falsch und gut." Nun ist natürlich die Frage: „Was ist richtig?" Ich glaube, richtig ist das, was die „richtige" Wirlcung hat. Und die riditige Wirkung ist diejenige, die der Autor beabsiditigte. Richtig ist heute, Theater so zu spielen, daß ein gegebenes Stück die gleiche Wirkung hat, die es in seiner Entstehungszeit hatte.

Das Stück ist also sozusagen die Konstante. Das Publikum ist nicht konstant, es verändert sich, also kann die Art der Danstellung auch nicht konstant sein oder bleiben. Das beginnt bei Kleinigkeiten. Shakespeare hatte keinen Vorhang. Also mußten die Sdiauspieler auftreten und abgehen. Seitdem es einen Theatervorhang gibt, besteht dazu keine Notwendigkeit mehr, man muß nicht auftreten oder abgehen, um eine Szene zu beginnen oder zu beenden. Seitdem man mit elektri-sdiem Lidit alles Möglidie anfangen kann, ist es durdiaus möglich — keineswegs immer richtig oder auch nur notwendig—, eine Szene aufzublenden oder abzublenden. Soldie Änderungen sind also erlaubt. Erlaubt sind auch Striche. Denn das Zeitgefühl hat sich verändert. Es wird als Zumutung an das heutige Publikum angesehen, so lange im Theater zu sitzen, wie es etwa bräudite, um von Paris nach New York zu fliegen. An Stelle des Gefühls der erfüllten oder gefüllten Zeit tritt das Gefühl der versäumten Zeit.

Aber wenn ein Regisseur ein Stück verfälscht, weil es ihm so nicht paßt, wie es geschrieben wurde, weil er eine andere Wirkung erzielen will als diejenige, die dem Autor vorschwebte, wird die Sache problematisch. Man darf dann mit Recht fragen: „Auf wen kommt es eigentlich an? Auf — ich greife absichtlich hoch — Goethe, Shakespeare oder irgendeinen Regisseur, der in Ulm oder Bremen sein Unwesen treibt und in nicht allzu weiter Ferne vergessen sein wird?"

Und das führt uns geradewegs zu Maximilian Schell, den idi persönlich für einen vorzüglichen Schauspieler halte. Er behauptete kürzlidi in einer Verlautbarung, er sei audi als Regisseur durchgesetzt und gehöre in die Gesellschaft des Italieners Strehler oder des Deutschen Rudolf Noelte.

Aber nun hat er „Pygmalion" von Shaw inszeniert, der vielleidit kein Shakespeare war, aber immerhin einige Stücke schrieb, die jetzt sdion mehr als ein halbes Jahrhundert lebendig sind. Ich sah die Aufführung. Ich unterstreiche, daß ich sie sah, denn ich hörte nidit viel von ihr, obwohl ich in der dritten oder vierten Reihe saß. Sdiell hatte die Sohauspieler so placiert, daß sie nicht durchdrangen. Außerdem verstand idi sehr wenig von dem Text, soweit ich ihn überhaupt hörte, denn zumindest die in der Gosse angesiedelte Familie Doolittle nebst Konsorten sprach in rfieinischem Platt. Nun soll Eliza ja nicht hodideutsdi sprechen (im Original spricht sie ja auch kein Oxford-Englisch), darum geht ja das Stück, daß sie nicht ,Hrichtig" sprechen kann. Aber die Sache mit dem rheinischen Platt hatte ihren Haken. Das lag nicht zuletzt an der Schauspielerin, die keine Rheiniänderin ist, und das rheinische Publikum kam sich irgendwie gekränkt vor. Femer schob Maximilian Schell zumindest eine Szene ein, die bei Shaw überhaupt nicht vorkommt imd in einem Badezimmer spielt.

Das Publikum war verstimmt, verließ die Premiere noch vor ihrem Ende, und die Kritiker waren nidil minder entrüstet. Und ausnahms-wejie hattęh įie jedit. Logisdie Er placierte die Schauspieler so, dal: das Publikum sie hören konnte. Ei milderte das Platt. Er eliminierte verschiedenes, das bei Shaw nie vorgesehen war, darunter die Bade-zimmerszene.

Schell protestierte und drohte mil Anwalt. Rechtlich sieht das so aus Schell kann jederzeit verlangen, dai2 sein Name von ‘ dem Theaterzette verschwindet, denn man führt j s „Pygmalion" jetzt so auf, wie er ihr nidit inszeniert hat. Aber meh: kann er nicht verlangen. Die Richter wissen aller nicht Bescheid übei Fragen des Urheberrechts. Nach diesem hätte einzig Shaw eine einstweilige Verfügung erwirken können, unc zwar, weil er das Stück verunstalte fand. Die Richter aber gaben, zumindest vorläuflg. Schell recht. Ein( einstweilige Verfügung verbietet den Düsseldorfer Sdiauspielhaus weiten Vorstellungen m der geänderter Form.

Das alles ist nicht halb so tragisdi — es sei denn für die Finanzen de: Theaters —, als es iddotisdi ist. Tragisch ist nur, wie weit wir heut( schon sind. Daß es dahin kommei kann.

Wer schützt die Autoren, wer da: Publikum, das — in diesem Fall — dem Theaterzettel entnahm, es bekäme ein Stüde von Shaw zu sehen und eines von Schell ansehen um anhören mußte, soweit es überhaup etwas gehört hat?

Wir und solche, die ähnlich denken wie wir, stehen auf dem Standpunkt, der die Überzeugung gibt, daß jegliche fleißig begonnene und mit festem Willen weitergetragene Arbeit den adelt, der sie verrichtet.

Robert Walser

Meine Reise um die Erde hat mir bewiesen, daß ein Blick im Vorübereilen manchmal genauer ist als die verwirrend gehäuften Eindrücke einer Studienreise. Oder aber man müßte sich eben eine Zeitlang in einem Land aufhalten, um dann über kurz oder lang doch festzustellen, daß der erste Eindruck der richtige war.

Jean Cocteau

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