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DAS LINSEN-GERICHT

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Sehr geehrter Herr Maximilian Schell!

In der Literaturbeilage der großen deutschen Zeitung „Die Welt“ (Nummer 92/1963) lese ich unter dem Titel „Die Wespen und die Prominenz“ Ihre vernichtende Abrechnung mit den „Wespen“ unserer Tage: einer ganz bestimmten Abart der sonst so lobenswerten Zunft der Film- und Photoreporter.

Ich gehöre zwar nicht zur Prominenz, die unter ihren Stichen und Blitzen zuvorderst zu leiden hat; bei vielen Anlässen aber habe auch ich das nerventötende Klicken und Summen ihrer Folterinstrumente an Leib und Seele erlitten. Ich bin Journalist und Filmkritiker und habe mich bei solchen Gelegenheiten immer wieder nicht für die guten Kollegen, aber für die schamlosen unter ihnen geschämt. Daher begrüße ich Ihren temperamentvollen Ausbruch aus ganzem Herzen und danke Ihnen im Namen vieler für die mutigen Worte, die aus dem Munde eines so bedeutenden Darstellers von Rang und Namen und Oscar-Preisträgers besonderes Gewicht erhalten.

Mit Recht stellen Sie, Herr Schell, zwei Sätzen aus dem deutschen Grundgesetz: ,,Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ und „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“, das Gehaben der bewußten Gruppe der Photo-reporter entgegen:

„Sie hocken wie Affen auf den Bäumen, hängen wie Trauben um Flugzeugtreppen, belägern in Rudeln die Willen ihrer Opfer, tragen kleine viereckige Apparate auf der Brust, aus denen sie giftige Blitze schleudern, sie sind lästig und erbarmungslos wie Wespen und leben vom Blute prominenter Persönlichkeiten: die Reporter der internationalen Skandalpresse.“

Mit Recht stellen Sie, Herr Schell, eine bittere Ungleichheit vor dem Gesetz fest:

„Frau Dorli Meier kann klagen, wenn sie in der Badewanne photographiert wird. Frau Crescentia Wühlhuber kann klagen, wenn sie mit Herrn Himmelhuber, der mit Frau Himmelhuber verheiratet ist, Hand in Hand sitzenderweise photographiert wird. Selbst wenn es sich um ein künstlerisches Photo handelt, also Frau Wühlhuber als Kunstwerk gewertet wird und der Photograph damit eine eigene Leistung vorweisen kann, muß der Hehler (die Zeitung) den Dieb (den Photographen) fragen, ob Frau WifUlhUber dazif d\e Mkbbnis- gab. Ein Photograph verliert seine Lizenz, wem e+tilttiv Erlaubnis im New Yorker Zentralpark gewerbsmäßig Aufnahmen macht. Jeder Laden-Inhaber kann sich Photographien verbitten. Wird ein landschaftliches Motiv im Film verwendet, muß dem Besitzer eine Entschädigung gezahlt werden. Die Prominenz des Landes aber, die ein Privatleben vielleicht dringender braucht als jeder andere, um zu Leistungen zu kommen, ist durch das Gesetz zum Freiwild erklärt. ,Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“

Mit Recht schließen Sie, Herr Schell, Ihre brillante AntiWespen-Predigt mit einem flammenden Appell, der mir und Millionen Menschen aus der Seele gesprochen ist:

„Es isf hohe Zeit, daß auch das Privatleben durch ein Gesetz geschützt wird. Nein, nein, es geht nicht gegen die Pressefreiheit. Im Gegenteil, es geht darum, den anständigen Journalisten vor den dunklen Machenschaften seiner Kollegen zu schützen. (Auch der Journalismus hat einen Ruf zu verlieren.) Es geht darum, dem menschlichen Gesicht ebensoviel Recht einzuräumen wie der Seite eines Buches oder dem New-Yorker

Die Wespen und ihr Opfer: Star-Hochzeiter

Zentralpark. Es geht darum, daß man sich ruhig zum Schlaf niederlegen kann ... Es geht um die Würde des Menschen!''

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nd dennoch, dennoch, sehr geehrter Herr Schell, ist — lassen Sie es mich offen sagert — das Ganze nur die halbe Wahrheit.

So schreiben Sie unter anderen:

„Die Würde des Menschen gilt ihnen nichts, Staatsleute werden in Unterhosen photographiert, Königinnen mit wehendem Rock über den Knien, Künstler halb bekleidet im Badezimmer. Die Erfindung der Photographie spielte ihnen eine furchtbare Waffe in die Hand, das Festhalten des würdelosen Augenblicks, die Gültigkeit der flüchtigen Sekunde, die Verwandlung einer alltäglichen vorübergehenden Schwäche in die bittere, brandmarkende Härte des gedruckten Wortes, des veröffent-

lichten Bildes. Ohne den Willen der Betroffenen, ohne Erlaubnis, manchmal sogar ohne ihr Wissen.“

H ier stock ich schon: Ohne den Willen des Betroffenen?

Sehen Sie, Herr Schell, als Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft und Filmwirtschaft habe ich Einsicht in eine ganze Menge europäischer und amerikanischer Filmzeitschriften. Ich greife daraus wahllos die Pariser „Cine-monde“ heraus und lade Sie ein, mit mir ein paar Ausgaben der letzten Wochen durchzublättern.

Und dann, dann, Herr Schell, haben Sie den Mut, mir noch

ins Gesicht zu sagen, daß diese Aufnahmen in Badewannen, am Strande und in den von Ihnen mit Recht sakrosankt erklärten intimen Privatbezirken ohne den Willen, ohne die Erlaubnis, ja ohne das Wissen der armen Opfer entstanden sind!

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Dabei handelt es sich häufig nicht um Starletts, die sich solcherart in der Presse und bei Festivals am Meeresstrand hochspielen wollen, nein, ausgewachsene Weltstars, die „es nicht mehr nötig haben“, prostituieren ihren Körper, ihre Intimsphäre und damit die Würde und die Freiheit des Menschen.

Immer wieder fragen Kinogeher, ob denn beispielsweise eine der gar nicht so seltenen Nacktaufnahmen in Filmen nicht doch geschwindelt seien, und man muß ihnen schamrot und verlegen sagen: Nein, es ist leider alles wirklich so im Atelier aufgenommen worden, vor Produzenten und Assistenten, vor Technikern, Beleuchtern und Arbeitern. Der klassische Ateliervorfall dieser Art mit der Bardot, ihrem eigenen einstigen Gatten und Regisseur Roger Vadim und dem Darsteller J.-L. Trintignant in der berüchtigten Bettszene des Filmes „Et Dieu crea la Femme“ kann Ihnen nicht unbekannt sein.

Sie wissen auch genau, Herr Schell, daß es — leider nicht eben sehr viele — saubere Darstellerinnen gibt, die solche Ansinnen empört ablehnen — ohne jede unliebsame Folgen für sie und ohne jeden finanziellen Verlust. Es geschieht also häufig ohne Zwang und Nötigung, mit Willen, Erlaubnis und Wissen der „armen Opfer“!

Hier könnten Sie, sehr geschätzter Herr Schell, allenfalls einwenden, Sie hätten die Lanze nur für die verletzte Manneswürde gebrochen, bei den Frauen sei es eben naturgemäß anders.

Ich muß Sie leider auch hierin enttäuschen. Ähnliche Vorfälle ereignen sich immer wieder auch bei männlichen Stars. So bestellte sich in der ersten Zeit des zweiten Weltkrieges ein bekannter männlicher Filmstar einen Kameramann des damals hochakkreditierten „Presse -Hoffmann“ zu bestimmter Stunde in eine bestimmte Wiener Straße, in der eine Straßenbahnlinie ihre Kopfstationsschleife machte. In einem Wiener Mittagsblatt erschien bald darauf ein Bild mit der malerischen Pose des Photo-graphierten (einen Fuß auf dem Trittbrett der Straßenbahn!) und der Bildunterschrift „XY hilft dem Führer Benzin sparen“. Die Sache hatte angeblich ein Nachspiel bis zu Goebbels hinauf, denn es hatte sich sehr bald herausgestellt, daß der Mann im benzinverzehrenden Auto zu der „Szene“ hingefahren war, kaum hundert Meter davon entfernt geparkt hatte und dann wieder benzinverschwendend mit seinem Kraftwagen abgerauscht war!

Auch er also nicht geschwollen von Wespenstichen, sondern von der eigenen Eitelkeit und der Selbstinszenierung des Starsl

Noch einmal, Herr Schell: kein Wort, keine Silbe abgestrichen von Ihrer herben Kritik an den gerügten Auswüchsen der Publicity! Sie ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen prangt und prunkt das Porträt der Vielen, Allzuvielen, die, nicht gedrängt und genötigt, durch die Fensterscheiben hin-duich listig abkonterfeit werden, sondern frisch, fromm, fröhlich, frei direkt in die Linse hineinrennen.

Ihr Wespen-Gericht in Ehren! Doch um der Wahrheit willen mußte auch dieses Gericht, dieses Linsen-Gericht, gehalten werden — zur Selbsterkenntnis beider Streitteik und damit vielleicht zum Nutzen unser aller.

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