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Wieder weinen im Kino

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Es ist wieder modern, in den Pariser Kinos zu weinen. Zehntausende haben die „Love Story” weinend genossen und genau das gleiche Phänomen zeigte sich bei dem Film Andrė Cayattes, der das tragische Schicksal der 33jährigen Professorin Gabrielle Russier in ein Epos verwandelte. Die Lehrerin verliebte sich bekanntlich in einen 17jährigen Schüler und wurde wegen Verführung Minderjähriger zweimal in Untersuchungshaft gesetzt, bis sie schließlich zum Selbstmord getrieben wurde. Der Präsident der Republik, Pompidou, fühlte sich in einer Pressekonferenz sogar veranlaßt, der Verstorbenen Verse des Poeten Elouard zu widmen.

Andrė Cayatte wagte trotz vieler Widerstände, diesen Film zu drehen und erzielte emen durchschlagenden überraschende Aufschwung einer durch eine Kennziffer die Art des Erfolg. Ein Kassenschlager wurde scheinbar zum Tode verurteilten Streifens charakterisieren soll. Die aber auch der letzte Romy-Schneider- Industrie erklärt sich durch eine ver- Einrichtung spezieller Kinos für Film „Max und die Schrotthändler”, nünftige Finanzpolitik des Staates, Liebhaber der Leirvwanderotik wird Eine enthusiastische Pariser Presse der mit großzügiger Kreditgewäh- nach wie vor abgelehnt, feierte die Wienerin als zweite Mar- rUn,g sowie Vorfinanzierungen den Das Fernsehen stellt die Filmwirt- lene Dietrich. 310 Filmgesellschaften unter die Schaft natürlich vor schwere Pro-

Die Seine-Metropole und ganz Arme gegriffen hat Zwar können nur bleme. Die Spannungen zwischen der Frankreich entdecken wieder das 136 mit einer tatsächlichen Aktivität nationalen Fernsehgesellschaft

Kino. Damit scheinen alle Alarmrufe aufwarten, aber die von Andrė ORTF und der Filmwirtschaft wur- dementiert zu werden, die den Tod Astoux eingeleiteten Reformen er- den aber abgebaut Andrė Astoux der Filmwirtschaft prophezeiten, möglichen es auch jungen Regisseu- war selbst hoher Beamter der ORTF. Allerdings geht man nicht mehr ins ren, ohne besondere Referenzen zum An Stelle des Mißtrauens entstand Kino, um ein „Spektakel” zu sehen, Zuge zu kommen. Das Sanierungs- ©ine vorläufige konstruktive, mianch- sondem wünscht ein Kunstwerk zu programm des französischen Filmes mal beschwerliche Zusammenarbeit, genießen, welches das Fernsehen un- steht im wesentlichen unter dem vollständig, zu spät, nicht in dieser eisernen Gesetz hoher und höchster Qualität oder überhaupt nicht bringt. Qualität.

Verzeichneten die französischen Die Pomo-Welle hat in Frankreich Kinos 1969 182 Millionen Eintritte, so wenig Erfolg gezeitigt. Selbst geerhöhte sich die Frequenz 1970 um wagteste schwedische Filme finden 10 Prozent. Die Einnahmen erreich- kaum Publikumsinteresse. Freilich ten 1970 mehr als 875 Millionen sorgen die französischen Zensurbe- Francs. Wurden bis 1969 jährlich hörden für eine strikte Einhaltung 150 Kinos geschlossen, so registrierte sittlicher Normen. „Erotische Szenen man seit einem Jahr die Öffnung von haben”, so ein maßgeblicher Funik- 70 neuen Kinosälen. Es vergeht fast tionär, „nur dann eine Berechtigung, kein Monat, in dem nicht in Paris ein wenn sie im künstlerischen Ablauf luxuriöses Filmtheater aufmacht. des Werkes organisch eingefügt sind.

Die französische Filmwirtschaft hat Der Popo des Popos wegen, der dank der Initiative des neuen Gene- Busen des Busens wegen — dagegen raldirektors des nationalen Zen-, wehren wir uns!” trums für Filmwirtschaft (Centre Die Zensur, die bisher viele Streifen National de la Cinėmatographie), femgehalten hat, soll aber vollkom- Andrė Astoux, die Krise überwun- men fallen, nur der Jugendschutz den. Sie wird wieder ei,n kultureller bleibt erhalten. Es ist daran gedacht, und wirtschaftlicher Faktor. Der daß jede Werbung für einen Film

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