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Wiens Feststraße

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Innerhalb der Reihe „Wiener Geschichtsbücher'“, die vom Verlag Paul Zsolnay in Wien in überaus dankenswerter Weise herausgegeben werden, ist ein neuer Band erschienen, der den Graben zum Gegenstand hat. Diese Prachtstraße Wiens, die eigentlich ein langgezogeer Platz ist, wie man ihn höchstens in böhmischen Städten, aber nicht in Österreich findet, hat es wahrlich verdient, endlich eine Monographie zu erhalten. Wie der Name besagt, war der Graben ursprünglich ein echter Festungsgraben, der die Grenze des römischen Militärlagers bildete und auch noch im frühen Mittelalter als solcher Verwendung fand. Seine Fortsetzung war die Naglergasse, die heute noch in ihren Häusern die alte Rundung der Festungsmauer erkennen läßt, sowie der „Tiefe Graben“. Als das mittelalterliche Wien um 1200 sich vergrößerte, wurde der Graben zugeschüttet, wodurch ein langgezogener Platz entstand. Im Lauf der Zeit entstanden zu seinen Seiten die schönsten Baudenkmäler. Reiche Geschäftsleute siedelten auf ihm ihre Luxusgeschäfte an. Festzüge aller Art wurden über ihn geführt. Als letzter solcher Festzug hat sich bis heute die Fronleichnamsprozession erhalten, die noch alljährlich über den Graben zieht. Einen Mittelpunkt des Grabens bilner, ein Beispiel, die so vage geschilderte Realität „Bonn“ nur die symbolhafte Stadt eines der „Treibhäuser“ Europas, der Welt. Konnte es diesen Exemigranten, Oppositionellen, Ästheten, Tagträumer, diesen hamlet-haften Zauderer mit seinem intellektuellen Gewissen nicht auch in Paris, in Rom, London, in Stockholm, in Amsterdam, in Bern oder sonstwo geben? Und wo träumte man nicht im „Jahre Null“ nach dem großen Massaker von einer neuen, besseren, reineren Welt? Mochte auch das „Jahr Null“ in Deutschland mehr als anderswo nach einem totalen Zusammenbruch begonnen haben. Wo aber sind sie geblieben, die Träume und Hoffnungen? Ist die Malaise, das Mißbehagen an dem, was Politiker und Wirtschaftsleute so triumphierend als „Konsolidierung“, „Stabilisierung“, „Normalisierung“ der Ndchkriegsgesellschaften ausgegeben haben und weiter ausgeben — ist sie nicht im Hinblick auf den tatsächlichen Zustand des Erdballs weltweit? So scheint Koeppens Roman über seine Kritik an der deutschen Gegenwart hinaus mehr als nur sie in Frage zu stellen. Der Leser aber soll aufgestört werden aus seiner Sicherheit, soll angestrengt werden. Der Gewinn ist Beunruhigung, vielleicht Erkenntnis.

Koeppen bedient sich dabei des inneren Monologs und der Montage (nach den Vorbildern von Joyce, Dos Passos, Faulkner). Seine Sprache ist reich an kräftigen, stimmigen Metaphern, arm an Arabesken und gezierten Schnörkeln. Wie sehr er das Atmosphärische treffend verdichten und fixieren kann, zeigten schon seine empfindsamen Reiseberichte über Rußland, Frankreich, Amerika. Seit Jahren schreibt er an einem Roman, der vielleicht „Bismarck oder all unsere Träume“, vielleicht auch „Die Scherzhaften“ heißen wird, nach den Zeilen von Hölderlin: „Immer spielt ihr und scherzt. Ihr müßt! O Freunde! Mir geht dies in die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur.“ Der Verlag hat gut daran getan, ,ßas Treibhaus“ als Taschenbuch herauszubringen, um so einen größeren anspruchsvollen Leserkreis mit einem bedeutenden Buch eines bedeutenden Autors bekannt zu machen.

DAS TREIBHAUS: Von Wolfgang Koeppen. Suhrkamp-Taschen-buch 78. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 192 Seiten.

DREI ROMANE („Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“ „Der Tod in Rom“). Von Wolf gang Koeppen. Sonderausgabe im Suhrkamp-Ver-lag. 560 Seiten. det die Pestsäule, ein prachtvolles Monument der Barockkunst, errichtet aus Dankbarkeit für das Erlöschen der Pest. Auch heute noch gilt der Graben als die schönste Ge-

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