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Wirtschaftskrieg hinter den Kulissen

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Sicher ist die Wirtschaftsspionage keine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieses dunkle Gewerbe ist so alt wie die menschliche Zivilisation und kann bis weit in die Vergangenheit zurück nachgewiesen werden. Dennoch kommt dieser Art der Spionage heute eine besondere Bedeutung zu, weil die Entwicklung technologischer Neuerungen immer aufwendiger wird.

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Sicher ist die Wirtschaftsspionage keine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieses dunkle Gewerbe ist so alt wie die menschliche Zivilisation und kann bis weit in die Vergangenheit zurück nachgewiesen werden. Dennoch kommt dieser Art der Spionage heute eine besondere Bedeutung zu, weil die Entwicklung technologischer Neuerungen immer aufwendiger wird.

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Als ältester Fall von Wirtschaftsspionage in der Entwicklung des christlichen Abendlandes gilt die Enthüllung des Geheimnisses der chinesischen Seidenerzeugung. Unter dem oströmischen Kaiser Justinian I. gelang es zwei persischen Mönchen, in einem ausgehöhlten Wanderstab Eier des Seidenspinners nach Konstantinopel zu schmuggeln. Dadurch wurde die oströmische Kaiserstadt für mehrere hundert Jahre zum wichtigsten Seidenlieferanten nach Europa. Später waren es wieder Nachrichtendienste, die das Geheimnis Justinians aufdeckten und nach Italien und Frankreich auslieferten.

Im Mittelalter war der Verrat von Produktionsgeheimnissen mit schweren Sanktionen belegt. Die Zünfte schützten ihren Vorsprung an Know-how mit „Wanderverboten“ für Gesellen und schließlich durch die „Sperrung“ von Gewerben. So durfte in Nürnberg keinen „Auswärtigen“ die Kunst des Drahtziehens, des Alabastems, des Kompaßmachens, des Messingbrennens, des

Uhrmachens und des Gold- und Silberspinnens gelehrt und das Auswandern erlaubt werden.

Mitte des 17. Jahrhunderts gelang es dem französischen Finanzminister Colbert, venezianische Spiegelarbeiter über alle geltenden Auswanderungsverbote hinweg zur Übersiedlung nach Frankreich zu bewegen. Venedig sandte daraufhin Agenten aus, um die im Ausland befindlichen Spezialisten zu vergiften. Als diese Methode Erfolg hatte, kehrten die am Leben gebliebenen venezianischen Spiegelarbeiter in die Dogenstadt zurück. In der Zwischenzeit waren die Franzosen allerdings in das Geheimnis der Spiegelproduktion einge- weiht. 1672 aber steckte der listige Colbert einen eidgenössischen Kaufmann in den Arrest, weil er sich unterfing, französische Spiegelarbeiter abzuwerben.

Im 18. Jahrhundert übernahmen die österreichischen „Kameralisten“ die Ausspähungsmethoden des französischen Colbertismus.

Ein Bahnbrecher auf dem Gebiet der Abwerbung war der Präsident des böhmischen Kommerzkonsenses, Graf Kinsky. Er köderte für die Samtfabrikation französische Meister, für die Erzeugung von gezogener Leinwand und feinem Barchent Arbeitskräfte aus dem Sachsenland und zur Verbesserung der heimischen Stahlindustrie englische Fachkräfte.

Anderseits war aber die Abwerbung von heimischen Facharbeitern durch ein Hofreskript aus dem Jahr 1750 unter strengste Sanktionen gestellt: „Diejenigen“, hieß es darin,„welche sich gelüsten und betreten lassen, einheimische Künstler und Fabrikanten an sich zu locken und aufzuwerben, um solche außer Landes zu führen, werden zu einem achtjährigen Festungsbaue verurtheilt, die durch dergleichen heimlich einschleichenden Leute sich anwerben lassende Künstler und Professioni- sten sonst bestraft.“

Österreich zählte freilich auch zu den ersten europäischen Ländern, in denen auf staatliche Regulierung der Industrie verzichtet wurde. Joseph II. war überzeugt, daß „die im gewerblichen Leben vorhandenen Kräfte, einer freien Bewegung überlassen, am sichersten Weg für ihre weitere Entwicklung finden würden“. Im revolutionären Frankreich wurde 1791 ebenfalls ein Gesetz erlassen, das die schrankenlose Freiheit von Arbeit und Industrie statuierte.

Während in der Schweiz schon Mitte der dreißiger Jahre ein sogenanntes „Spitzengesetz“ zum „Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft“ erlassen wurde, führteerst die Aufdeckung eines Spionageringes im Dezember 1964 in Österreich zu einer Änderung des Strafrechtes: Die Auskundschaftung von Wirtschaftsgeheimnissen zugunsten des Auslandes wurde unter strafrechtliche Sanktion gestellt.

Damals wurde ein leitender technischer Angestellter der Plansee- Werke in Reutte beschuldigt, Produktionsmaterial, Warenproben und Produktionspläne an DDR-Agenten weitergegeben zu haben. Ein Mitarbeiter der Semperit-Werke gestand, Pläne und Informationen über die Zusammensetzung von neuem Gummimaterial an DDR-Agenten ausgefolgt zu haben. Die Angeklagten waren im wesentlichen geständig. Da das österreichische Strafgesetz seinerzeit noch keine Bestimmungen gegen Wirtschaftsspionage enthielt, wurden nur geringe Strafen ausgesprochen.

Ende der sechziger Jahre wurde ein Betriebselektriker der Firma Stoll- lack überführt, an den tschechoslowakischen Geheimdienst wertvolle chemische Formeln weitergegeben zu haben. Doch auch westdeutsche Unternehmen zeigten sich an österreichischen Fabrikationsgeheimnissen interessiert. So versuchten zwei Westdeutsche im Auftrag einer Wirtschaftsdetektei in Frankfurt bei der Firma Carinthia Informationen über die Beschaffenheit eines in Entwicklung befindlichen neuartigen Rasierapparates zu erkunden.

Mitte 1978 veröffentlichte der niedersächsische Verfassungsschutz eine Untersuchung über das Ausmaß der Wirtschaftsspionage in diesem deutschen Bundesland. Daraus ergab sich, daß Unternehmen an die erste Stelle der für die Nachrichtendienste der Comecon-Staaten interessierten Ausspähungsobjekte gerückt waren. Erst danach stehen militärische Objekte und die übrigen Zivil- und Amtsobjekte und natürlich die politischen Parteien.

Vor allem auf Gebieten, auf denen die Ostblockstaaten wirtschaftlich und technologisch rückständig sind, besitzt die Spionage praktischen Nutzen. Nach Schätzungen der bundesdeutschen Regierung spart die DDR jährlich rund 2,5 Milliarden Schilling an Forschungsausgaben durch ihre Wirtschaftsspionage im Westen.

Seit Jahren wissen westliche Geheimdienste, daß zumindest die Sowjetrussen moderne IBM-Computer besitzen, obwohl deren Export durch Embargobestimmungen blockiert ist. Was ihnen aber fehlt, sind detaillierte Unterlagen und Ersatzteile. IBM sichert sich nämlich die Wartung einmal installierter Datenanlagen durch ein ausgeklügeltes System von Wartungsplänen, um das vollständige Know-how von Maschine und Wartung zu verschleiern.

Die Wirtschaftsspionage hat sich in den letzten Jahren im EDV-Bereich so weit etabliert, daß sich in einzelnen Industriezweigen für einige besonders bedeutsame Datenträger regelrechte „Marktpreise“ gebildet ha-, ben. In den USA sagt mareuphemistisch „aggressive marketing“ und „competitive intelligence“ („Konkurrenzforschung“) und meint dämit nichts anderes als das Ausspähen betriebswirtschaftlicher Daten. Häufig angewendet wird dabei die sogenannte „Hello-Good-bye“-Methode, nach der Computerspezialisten nur so lange beim Konkurrenzunternehmen arbeiten, bis sie genügend Kenntnisse über die Interna gesammelt haben. Sie treten dann wie bei einem normalen Arbeitsplatzwechsel in den Dienst jenes Unternehmens, auf dessen Veranlassung sie einen bestimmten Posten angetreten haben.

Der Software-Diebstahl ist die weitaus häufigste Form der Computer-Spionage. Programme lassen sich leicht kopieren und meist auch ohne große Schwierigkeiten aus der EDV-Abteilung herausschmuggeln. Die Täter können sich meist sicher fühlen, da die Gefahr einer Entdek- kung bei einigermaßen geschicktem Verhalten relativ gering ist. Überdies ist die strafrechtliche Verfolgung der Täter problematisch, weil sieja keine originalen Datenträger verschwinden lassen.

Im österreichischen Strafgesetzbuch 1975 ist der Wirtschaftsverrat (zugunsten des Auslandes) im fünften Abschnitt geregelt: Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen bis zu 360 Tagessätzen sind vorgesehen. Beide Strafen können nebeneinander verhängt werden. Auf Wirtschaftsverrat zugunsten des Auslandes steht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Im Gegensatz zur Schweiz wird damit der Wirtschaftsverrat relativ milde geahndet. Dort ist bei vorsätzlicher Wirtschaftsspionage zugunsten des Auslandes für den Fall eines erheblichen Schadens nicht nur Gefängnis, sondern unter bestimmten Umständen auch Zuchthaus vorgesehen.

Am strengsten aber wird die Wirtschaftsspionage in den Ländern des Ostblocks bestraft. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Während in den Ländern mit marktwirtschaftlicher Ordnung der Schutz des unternehmerischen Individuürrffe (Sowohl der Einzelfirma als aųchųdėr Kapitalgesellschaft) im Vordergrund steht, wird in den kommunistischen Staaten vor allen Dingen Wert auf den Schutz des Staates gelegt.

Welche Bedeutung die DDR dem Wirtschaftsgeheimnis und seinem Verrat beimißt, ergibt sich daraus, daß dieses innerhalb der Grundsatzartikel des sozialistischen Strafrechtes sogar in Artikel I als besonders schutzwürdig, ausdrücklich angeführt ist: „Der sozialistische Staat schützt seine staatlichen, wirtschaftlichen und militärischen Geheimnisse allseitig gegenüber jedermann.“ In besonders schweren Fällen von Wirtschaftsverrat wird in der DDR lebenslängliche Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe verhängt.

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