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Wohlstands bauch statt Schwangerschaft

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Im ersten Weltkrieg hat Karl Kraus einer Menschheit, die geborenes Leben zu schützen nicht imstande war, das Recht abgesprochen, sich für den Schutz des ungeborenen Lebens zu ereifern; die Mütter litten — so Kraus — weit mehr unter der Abtreibung ihrer erwachsenen Söhne als unter der der Leibesfrucht. Womit der Satiriker zwar sein unbedingtes moralisches Veto gegen den Krieg, deswegen aber nicht auch schon gegen den ominösen Paragraphen eingelegt hat, den er „ein Präservativ gegen die Untreue“ nannte und deshalb bekämpft hat, weil er ihn zum Instrumentarium terroristischer Männerherrschaft zählte.

Ob man Karl Kraus so weit wird folgen wollen oder nicht — eines steht außer Streit: daß die Relationen nicht stimmen; und um das zu konstatieren, braucht man auch keinen Weltkrieg. Dem Lenkrad-Rowdy, der auf dem Zebrastreifen ein Kind niedermäht, droht das Gesetz mit geringerer Strafe als einer werdenden Mutter, die einen Abortus verursachen läßt.

Auch wird kein denkender Mensch daran zweifeln, daß eine Frau an einer fachgerecht vorgenommenen Abtreibung weniger leiden wird, als am Austragen und wohl auch am Großziehen eines Kindes, das die belastete und belastende Frucht einer Vergewaltigung ist. Und auch in solchen Fällen ist nicht eine Strafandrohung, sondern menschliches Verständnis am Platz, wo die Abtreibung als kleineres Übel gewählt wurde, weil schon für die bereits geborenen Familienmitglieder kein Dach überm Kopf und nicht genug Suppe in der Schüssel vorhanden war.

Aber wo bitte in Mitteleuropa herrscht heute noch solche elementare Not, und zwar Not ohne reale Hoffnung auf baldige Ab-; hilfe, daß die soziale Indikation ! als ein Gebot der Menschlichkeit ' sich allgemein rechtfertigen ; ließe? Und übrigens: wenn es sich einbürgert, Kinder als eine unerträgliche soziale Belastung zu empfinden, wird man allmählich i auch die alten und kranken, die ' nicht mehr arbeitsfähigen Fami-! lienmitglieder, zumal man sich I diese ja noch viel weniger ge-i wünscht hat als die unerwünsch-| ten Kinder, als unerträgliche I soziale Belastung empfinden; und I weil, was unerträglich ist, unzu-i mutbar ist, wird man dann logi-•. scherweise auch bei der Eutha-j nasie die soziale Indikation gelten lassen. (Und ganz am Ende des finsteren Tunnels droht dann wieder einmal die Vertilgung „minderwertiger“ Völker — der nazistische Massenmord an Juden, Zigeunern, Slawen ging ja letztendlich auch auf eine Art von sozialer Indikation zurück.)

Vorerst freilich proklamieren Frauen, und zwar zweifellos grade diejenigen Frauen, die sowieso die handelsüblichen Verhütungsmittel verwenden: „Mein Bauch gehört mir!“ Konsequenterweise müßten sie dann die Kosten von

Schwangerschaftsunterbrechungen selbst bezahlen; doch nein: da muß dann die Krankenkasse, da muß dann der staatliche Versicherungsschutz, da muß dann die Allgemeinheit einspringen: beim Zahlen hört das Privatleben auf! Weibliche Unlogik? Nein: sozialistische Logik.

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