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Wojtyla - ein Mann des „harten Kurses“?

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Reineke Fuchs, dessen politische Epigonen im Kreml die handfeste Strategie und Flüstertaktik des „Teile und herrsche“ mit schier meisterhafter Behutsamkeit ihrer kirchenpolitischen Verhaltensrezeptur einverleiben, feiert seit Jahren in den einschlägigen Kanzleien sozialistischer Brudernationen fröhlich-lustige Urständ, Pfeifen es doch die volksdemokratischen Spatzen von den Dächern der Dome am Hrad-schin und in Estergom, in den Hauptstädten Polens wie der Deutschen Demokratischen Republik, daß man durch Spaltungsgerüchte rund um das päpstliche Staatssekretariat Vorteile zur Stärkung der marxistischleninistischen Position zu ziehen verstände.

Auch die rätselnden und sinnenden Auguren in den Büros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Polens bemächtigten sich in ihrem kirchenpolitischen Schachspiel der für ein marxistisches Herz faszinierenden Idee, etwa den Sekretär des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, Msgr. Ago-stino Casaroli, in Denkvorstellung und Politik gleichermaßen auszuspielen gegen eine sogenannte „vatikanische Rechte“, die noch immer -im heutigen Erzbischof von Florenz, Giovanni Kardinal Benelli, personalisiert sein sollte.

Das „spaltbare Material“, um ganz respektlos die Sprache der Nuklear* energie zu bemühen, befände sich jedoch nicht so sehr in den Museen der Vatikanstadt, sondern in den Reihen des immerhin 72 Bischöfe inkludie-renden polnischen Episkopats. Gar

nicht lange vor dem kirchenhistorischen 16. Oktober 1978 wußte man in Polens Parteisekretariaten um sogenannte „Zuordnungen“.

So orientierten bewußt die Erzbi-schöfe Casaroli und Poggi, der Sondernuntius für Fragen der Ostpolitik, ihre Gesprächsbemühungen um einen Modus vivendi mit Staaten sozialistischer Gesellschaftsordnung auf kommunistische Regierungs- und Parteirepräsentanten; und auf jene Ordinarien, die sich auch aus patriotischer Liebe zu Volk und Heimat für das gesellschaftspolitische Gemeinwohl irdischer Art engagieren. So seien aber - und wiederum sind KP-staatskirchliche Spekulationen zitiert - jene Bischöfe, die nicht so spektakulär mit der harten Hand des marxistischen Staates ins Kräftemessen geraten waren, in Wahrheit auf die sogenannte „konservative Rechte“ der päpstlichen Spitzenpalette eingeschworen; unter ihnen nehme der Oberhirte von Krakau den profiliertesten Platz ein.

Was im Klartext bedeutet, so man den abstrusen Gedankenwegen Warschaus Gefolgschaft leistet: Der pa-storale, feinsinnige, hochgebildete, aus akademischer Karriere stammende Karol Kardinal Wojtyla, dessen persönliche Güte, Liebe, Toleranz und rücksichtsvolle Klugheit nur von seiner felsenfesten, marianisch durchwalteten priesterlichen Gläubenskraft, von absoluter Treue zur Universalkirche und damit zum Heiligen Stuhl übertroffen wird, „tendierte im Geheimen“ weitaus stärker zum Leitbild des harten Kurses als die Exponenten der offenen

Konfrontation des Kreuzes mit dem Emblem der Sowjethemisphäre.

Der Freiheitsraum für Kult, Lehre und Leben, den Wyszinski und Wojtyla ebenso mit ihrer ganzen priesterlichen Existenz ersehnten wie die Brüder im päpstlichen Bischofs- und Diplomatenamte Casaroli und Benelli fast noch vor Jahresfrist, bedarf der Setzung von Rangordnungen, des Gesichtspunktes der Glöbalität und des Blickes für die historische Stunde: Will er nicht „Desideratum“ und damit Traum bleiben, sondern Wirklichkeit werden für ein betendes Volk mit dem Rosenkranz.

Wen nimmt es daher wunder, wenn das Prinzip des „tantum quantum“ jesuitischer Chinamissionäre von einst zum unabdingbaren Inventar pastoraler Klugheit geworden ist? Wer würde irre werden an den von Kardinal Wojtyla gepflogenen Dialögen zwischen Marxisten-Leninisten in einer Ambiente des doktrinären Staatsmaterialismus und reflektierenden, glaubenstreuen Katholiken, die -des Beistands der Schwarzen Madonna von Tschenstöchau sicher waren?

Was wirklich bleibt, das ist die Hoffnung, die von diesem so säkularen Papste aus dem Polenland vor der Jahrtausendwende ausstrahlt und die der „Außenminister des Vatikans“, wie ihn journalistische Vereinfachung benennt, erst kürzlich formulierte: die Hoffnung, „daß der Durst der Menschen nach Freiheit, nach dem Absoluten, nach Gott“ doch die Oberhand behalten werde. Dem Spiel der Mächtigen zum Trotze.

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