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Wunder der Sprache

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Unsäglichkeiten werden thematisiert, Peinlichkeiten ausdiskutiert. Im Raum stehen Richtigkeiten, werden sie nicht abgeblockt. Auf Machbarkeiten wäre abzustellen, müßten zuvor nicht Befindlichkeiten abgeklärt werden. Abheben auf Begrifflichkeiten? Warum nicht, es könnte Schrecklichkeiten einbringen. Schließlich sind Gebrechlichkeiten so wenig einzubremsen oder abzustoppen wie Lästigkeiten.

Damit wären, im Plural, mit zur Zeit nicht minder grassierenden Verben, attraktive Nummern abgeliefert; wo fänden sich dawider Zuständigkeiten? Das würde Beamtetheit voraussetzen; dann aber wären wiederum Offenheiten und Gewandtheiten nicht zu , erwarten, eher, bei solchen Fragestellungen, Ernüchterungen; und da wär's also mit der Gelungenheit vorbei?

Ein halbes Jahr Ohr und Aug im Mediengetümmel — auch im Singular gehen wir nicht leer aus: Keine Sorge um die Faktenhaf tig-keit bei so viel Mitteilsamkeit! Die Sinnvolligkeit bürgt dafür, daß, bei aller Altmodischkeit, die Pfleglichkeit der Beträchtlichkeit nicht verlorengeht. Die Hintergründigkeit solcher Spitzfindigkeit läßt uns an der Verzichtbar-keit innig erstrebter Besinnlichkeit zweifeln, wenngleich auch ein Großmeister der Begriffsstutzigkeit schon der Unvergeßlichkeit anempfohlen worden ist.

Wer so geschraubt dahermacht, etwa im Kulturteil des „Spiegel", oder diese Schreibe imitiert, um auch im ORF auf der Höhe der Zeit zu sein, oder weil das ungenau Angeberische bequem ist, hat keinen Mangel an grellbunten Wortballons, an Genialitäten. Eine schöne, freilich vergebliche Hoffnung ist's, mit ihrer Häufung könnte ein heilsames Grausen vor der Seuche bewirkt werden.

Testen wir die Sache ab (kein Verbum ohne das plusternde ab): Austriazität und Austerität, die, ist zu fürchten, wachsen sich zu Zwillingen aus. Von Adversität hat schon Richard Wagner geschrieben; sie wird aber so wenig dawider vermögen wie des Kanzlers Agilität. Selbst wenn er der Wirtschaft Diversität und uns al-

len Europaizität verschreibt. Familiarität kann bekanntlich Impulsivität nicht ersetzen. Bei aller Kollektivität ist gegen Konservativst und Konventionalität nur wenig zu machen.

Das wird als Paradoxalität von jenen empfunden, die dafür sorgen, daß die Poetizität im Kulturleben zum Tragen kommt, wobei sie glücklich die Repressivität ihrer Rigorosität nicht wahrnehmen. Das würde Sensualität und Singularität voraussetzen, wo doch Simplizität, Sportivität und Technikalität ihre Stärke ist. Ubi-

quität ist schließlich von niemandem zu verlangen, außer er hat's geschafft: die Zentralität in der Zyklizität.

Sprachkritik muß sich immer wieder dem Vorwurf der Beckmesserei, der Wortklauberei stellen, selbst wenn auf gewisse charakteristische Erscheinungen aufmerksam gemacht wird, eben auf das Anbequemen des Deutschen ans Englische, auf die Ab-straktionitis und das politökono-mische Volapük — auf Phänomene, für die das Gruselwort Zeit-typik nun auch nicht mehr fehlt.

Der Sprachwandel ist unvermeidlich. Ob es aber auch solche Wucherungen .sind (wobei nicht immer nur die Wörter selber von Übel sind, sondern oft auch ihre protzig-unzutreffende Verwen-dur")? Eine bescheidene Auswahl: Zynik, Theatralik, Statua-rik, Spezifik, Satirik, Rheumatik, Praktik, Pathetik, Kulinarik.

Hochgestochen muß es daherkommen; dem Pragmatisten folgt unweigerlich der Historist. So hat es noch keiner gesagt. Als ob die vermeintlich originelle Duftmarke nicht schon Konfektion wäre. Wie es auf den lichten Höhen der Kulturbarbarei zugeht, sei so schlimm nicht, verglichen mit der Verarmung der Umgangssprache, ihrer Schrumpfung aufs Primitive und Ordinäre, besonders bei Jugendlichen?

Hoppla. Da sollte es keine Zusammenhänge geben? Halten wir uns an die allesanfassenden Medien, die uns Wettersituation und wünschenswerte Zukünfte bescheren, wenn nicht gerade die Positionierung von Manifestoren durch die Evidenz ihres Engagements erhärtet wird.

Ein Schriftsteller von Vehemenz wird in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gepriesen. Das hat Fulminanz, da werden uns weder Penetranz noch Insistenz stören. Devianz bürgt allemal für Qualität, nicht etwa für Desolanz, haben wir nur gelernt, die Flam-boyanz zu schlucken.

Schmeck's, o Schmock. In Zeiten breiiger Anpassung, gesichtsloser Mimikry werden Eigenschaftswörter zu Substantiven aufgebläht. Den Mangel an Eigenschaften gilt es zu kaschieren. Die Inflation der Sprachwunder-barkeiten frißt an den Adjektiven. Wer auf Stelzen geht, muß sich nicht mehr viel vorbinden.

Nun ja, im Tingeltangel rührt sich's noch: Auratisch ist zu haben, klüglich und zögerlich, besitzlich und alternativisch, ver-drängerisch und irrealistisch, emanzipativ und badebar, plakativ und konzeptuell. Blauäugig wurde eben noch ein Träumer genannt; grünäugig mache die Ökologie? Vor solcher Sprachgewalt und Bilderkraft darf einem vor den Augen schwarz werden.

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