Kirchen haben es immer schwer mit den Gebildeten, oder, sagen wir besser, den intellektuell Anspruchsvollen. Sie stellen Fragen. Sie lassen sich nicht abspeisen mit Belehrungen, daß dies oder jenes nun einmal die Lehre der Kirche sei. Intellektuell Anspruchsvolle sind notorisch subversiv mit Hang zur Häresie. Außerdem sind sie eine Minderheit. Sie bringt keine vollen Kirchen und keine überwältigenden Quoten.
Aber diese intellektuell anspruchsvolle Minderheit bestimmt dennoch in hohem Maß die Gesellschaft, obwohl manches dagegen zu sprechen scheint. Sie bietet weder Erlebnisse an noch Kuschelecken, sie garantiert daher auch nicht statistisch erhebliche Erfolge. Aber sie blickt über ihren eigenen engen Horizont hinaus. Sie nimmt Informationen von überall auf und verarbeitet sie, sie verlangt auch nach solchen Informationen. Diese Informationen nehmen dann auch weiter ihren Lauf.
Wache Geister haben daher auch immer schon diese Gruppe im Auge gehabt. Schleiermacher hält 1799 seine Reden über die Religion "an die Gebildeten unter ihren Verächtern". Die große empirische Untersuchung der evangelischen Kirche in (West-) Deutschland von 1973 muß feststellen, daß in der damals noch erstaunlich kirchlichen Gesellschaft die Bildungsschicht erschreckend abfällt. Großzügige Intensivierung der kirchlichen Erwachsenenbildung war die Lehre, die daraus gezogen wurde. Um nur zwei Beispiele zu nennen, die beliebig ergänzt werden können.
Die Kirchen sind darauf angewiesen, daß die intellektuell Anspruchsvollen angesprochen werden, und zwar von unabhängigen Institutionen. Ans kirchliche Gängelband lassen sie sich nun einmal nicht nehmen. Daher brauchen sie unabhängige Medien, die sich mit Fragen der Religion befassen, darum brauchen sie eine gute Öffentlichkeitsarbeit, darum brauchen sie eine starke Berücksichtigung in den elektronischen Minderheitsprogrammen wie Ö1, alle kirchlich unabhängig. Darum brauchen die Kirchen auch die spannungsvolle, kritische Auseinandersetzung mit ihnen. Auch wenn sie lästig ist und scheinbar in Minderheitsnischen bleibt. Sie spielt langfristig in die Gesellschaft hinein.
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