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Auch für den Kirchenraum gibt es - außer der Schwerkraft - keine unveränderlichen "Naturgesetze". Der "Altarstreit" in Wien (in einer Wiener Kirche wurde der nach dem II. Vatikanum errichtete "Volksaltar" wieder entfernt und die Zelebration an den "Hochaltar" rückverlegt) mag ein Symptom dafür sein, dass auch bei der Gestaltung von Kirchenräumen gilt: Was das II. Vatikanum an Reform angestoßen hat, steht zur Disposition. Das Dossier will das liturgische Raumverständnis und Konflikte darum zur Sprache bringen - nicht zuletzt im Gespräch mit Herbert Muck, dem Doyen der Beschäftigung von Kirche mit Raum. Redaktion: Otto Friedrich

Einige, sogar sehr wichtige Denker berichten nach langem und intensivem Sinnieren, dass Raum und Zeit die beiden wichtigsten Kategorien der Befindlichkeit in der Welt sind. Wenn eine derartige Feststellung dann aus dem profanen in den kirchlichen Bereich wandert, erfolgt die Heiligsprechung auf den Fuß. Wandelt sich nun der allgemeine Raum in den Kirchenraum, erlebt man folgerichtig oft seine Wunder, seien sie nun positiver oder negativer Art.

Natürlich wünscht man allen, die einen Kirchenraum betreten, das Wunder einer Gottesbegegnung. Natürlich kann man einwenden, dass man diese Erfahrung überall machen kann, dass man dazu nicht zuerst in den Raum der Kirche einkehren muss. Daraus folgt zweierlei: Einmal, dass ganz offensichtlich die Gestimmtheit der betreffenden Person einen gewichtigen Einfluss darauf hat, dass derartige Erlebnisse möglich sind, denn sonst könnten diese nicht überall möglich sein, wie zum Beispiel das Gipfelerlebnis einer Gottesbegegnung in absolut flacher Landschaft.

Paradoxerweise folgt daraus aber zweitens ebenso, dass es nicht gleichgültig ist, wie der bergende Raum solcher Widerfahrnisse beschaffen ist, sein Einfluss auf die Gestimmtheit des Menschen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht umsonst hat es die Propheten in die Wüste getrieben oder haben großen Beter ihre Umgebung in einer ganz bestimmten Weise gestaltet.

Kein privater Andachtsraum

Zu dieser paradoxen, also den bloßen Anschein berichtigenden Situation kommt noch hinzu, dass es sich bei einem Kirchenraum in erster Linie nicht um eine Umgebung für die private Andacht handelt - die sich ja auch jeder selbst aussuchen beziehungsweise herrichten kann, sondern um den Raum der Gottesbegegnung für die versammelte Gemeinschaft, für die Gottesbegegnung in Form von Wortgottesdienst und Eucharistiefeier, sowie der Feier der übrigen Sakramente. Es ist der Raum aller Getauften, die durch ihre Anwesenheit in diesem speziellen Raum die gelebte und lebendige Kirche verkörpern.

Kunst lebendiger Meister

Es wäre nicht nur ein Wunder, wenn über die konkrete Form eines Raumes, der für alle da sein soll, nicht gestritten würde, es wäre darüber hinaus auch ein Zeichen für eine tote Kirche. Daher nimmt es nicht Wunder und spricht für viele neue Aufbruchsstimmungen in der Kirche, dass die Liste jener Kirchenbauten durchaus opulent ausfällt, die nach dem Einfrieren der Kirchenarchitektur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eine nachgemachte Romanik und Gotik, wieder darangingen, wie die originale Romanik und Gotik auch, aus den Bedürfnissen der Zeit heraus Kirchenräume überzeitlichen Charakters zu schaffen.

Marie-Alain Couturier, der große dominikanische Mitdenker und Anreger für die sakrale Kunst in Frankreich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, hat die Ergebnisse seiner Geschichtsanalyse auch für die Gegenwart eingefordert, wenn er sagt: "Deshalb müssen wir zuerst aufhören, ewig die Stile der Vergangenheit nachzuahmen. Denn die Kunst lebt nur von ihren lebendigen Meistern. Nicht von den toten Meistern, so wertvoll das Erbe auch sein mag."

Es gibt keine Naturgesetze für einen architektonischen Raum, die, einmal erkannt, ewig gültig wären; auch nicht für einen Kirchenraum - außer der Schwerkraft.

Ein heiliger Alltagsraum

Eine lebende Kirche als Gemeinschaft benötigt auch einen lebendigen Raum. Einen Raum, in dem die Kirche als Gemeinschaft spirituell wohnen kann, und zwar ganz leibhaftig. Daher gilt es auch die gerade in letzter Zeit immer wieder vernehmbare Unterscheidung, dass sich ein Kirchenraum als heiliger Ort völlig von den Alltagsräumen unterscheiden müsse, zu präzisieren.

So sehr es zu verhindern gilt, dass hier einem undifferenzierten Einerlei Tür und Tor des Kirchenraumes geöffnet wird, genauso peinlich gilt es darauf zu achten, dass auch der Kirchenraum unsere Alltagswirklichkeit architektonisch einfängt. Auch dieses Gegensatzpaar lässt sich für den Kirchenraum wiederum nur in einer paradoxen, also den bloßen Anschein berichtigenden Beschreibung fassen: Der Kirchenraum ist ein heiliger Alltagsraum. Allerdings darf dieser heilige Alltagsraum nicht mit der Gemütlichkeit eines Wohnzimmers verwechselt werden.

Der Kirchenraum ist ein Raum der Unterbrechung und des Aufbruchs, er beherbergt die Gemeinschaft, gibt dem in ihm gefeierten Mysterium eine in Stein gehauene oder in Beton gegossene Begrenzung, um gleichzeitig in die Welt und in den Himmel hinein zu zerbersten.

Unterschiedliche Zonen

Gerade diese zerberstende Tendenz verbietet es, den Kirchenraum in einer strengen Gerichtetheit anzulegen. Schon allein der Umstand, dass die Verkündigung des Wortes einen anderen Charakter der Gottesbegegnung hat wie die Eucharistiefeier, diese wiederum einen anderen wie eine Anbetungsstunde vor dem Allerheiligsten, fordert unterschiedliche Zonen im Kirchenraum.

Wenn es stimmt, dass Gott Mensch geworden ist, wenn Jesu Wort stimmt, dass wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, dass er dann mitten unter ihnen ist, wenn es stimmt, dass er in Brot und Wein real anwesend ist, dann verfehlt das Ansinnen, Gott hinter dem Hochaltar zu suchen, sein Ziel. Die Verheißungen Gottes laufen nicht darauf hinaus, sich dort zu verstecken, seine Verheißungen deuten darauf hin, dass er auch weiterhin mitten unter den Menschen sein möchte. Sollten wir ihm dies wirklich verwehren wollen?

Von daher ist auch klar, dass die Vorstellung, dass der Kirchenraum den Pilgerweg der Kirchengemeinschaft zu Gott im Raum abbildet müsste, dass man eben am Westportal den Raum betritt und in weiter Ferne, in der Apsis den himmlischen Pantokrator als Ziel vor Augen hat, ein Missverständnis ist.

Raum und Gemeinschaft

Die Kirche, sowohl als Raum als auch als Gemeinschaft, ist bereits jetzt Ansicht des Himmlischen Jerusalem. Die Zeit des Reiches Gottes hat bereits mit der Menschwerdung Gottes, mit der leiblichen Verkündigung des Jesus von Nazareth, dem Christus, nicht bloß begonnen, sondern bereits ihren unüberbietbaren Höhepunkt erreicht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass uns für das Himmlische Jerusalem noch so viel fehlt.

Auch hier treffen wir auf jene Paradoxie, die im Blick auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Raum begegnet ist. Der Auftrag, diesen unüberbietbaren Höhepunkt in seiner Anwesenheit zu feiern, bleibt davon aber unbeschadet.

P.S.: Viele der hier geäußerten Bemerkungen verdanken sich der nur schwer erträglichen Lektüre einer Dokumentation eines Projektes an der Technischen Universität Wien, in dem Studenten der Architektur den Auftrag hatten, einige so genannte "moderne" Kirchen wieder in Wegkirchen zwecks Zelebration in Richtung Hochaltar umzugestalten (vgl. dazu auch den Kommentar von Peter Pawlowsky, Seite 23).

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