Einer der auszog, Menschen zu bewegen

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Er wurde wegen seines politischen Engagements verhaftet. Aber er liest den Linken genauso die Leviten wie den Rechten: Der amerikanische Franziskaner und spirituelle Lehrer Richard Rohr ist demnächst in Wien zu Gast.

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Er wurde wegen seines politischen Engagements verhaftet. Aber er liest den Linken genauso die Leviten wie den Rechten: Der amerikanische Franziskaner und spirituelle Lehrer Richard Rohr ist demnächst in Wien zu Gast.

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Stellen Sie sich folgende Geschichte vor: Ein Vater flieht mit seinem minderjährigen Sohn auf einem kleinen Boot von Kuba in die USA. Der Vater kommt auf der Flucht unter tragischen Umständen ums Leben. Der Junge - nennen wir ihn Elian - wird von der amerikanischen Küstenwache gerettet. Schon am nächsten Tag wird er in ein Flugzeug gesetzt und trotz aller ideologischer Differenzen beider Staaten einvernehmlich zu seiner leiblichen Mutter zurück nach Kuba geschickt. Es gibt keine politisch künstlich aufgebauschte Kontroverse, denn die Sache ist klar: Ein Kind gehört zu seiner Mutter.

Doch wie man weiß, ist die Geschichte andersherum passiert, und hat deshalb bis heute monatelang die Schlagzeilen der amerikanischen Öffentlichkeit beherrscht. Das tragische Tauziehen um die Obsorge von Elian, der nicht zu seinem Vater gelassen wurde, wurde auch deshalb möglich, weil es in der westlichen Gesellschaft ein unausgesprochenes Misstrauen gegenüber Männern im allgemeinen und Vätern im besonderen gibt. Im Zweifelsfall unterstellt man ihnen, dass sie ihre Kinder nicht genug lieben und sie nicht adäquat versorgen können. Nur die Liebe zwischen Mutter und ihrem Kind wird als völlig selbstverständlich vorausgesetzt. Dass Vaterschaft und Mutterschaft gleichwertig sind, und dass Vaterliebe überhaupt etwas taugt, müssen Männer erst einmal unter Beweis stellen.

Mit Beispielen wie diesen enthüllt der amerikanische Franziskanerpater Richard Rohr die gegenwärtigen ideologischen Strukturen in der Geschlechterfrage. Rohr ist in den USA und mittlerweile auch in Europa durch zahlreiche Bücher, Cassetten und Vorträge als visionärer, spiritueller Denker bekanntgeworden. Vor allem die christliche Männerbefreiungsbewegung in Nordamerika beruft sich in weiten Teilen auf Rohr als kritischen Inspirator und geistlichen Begleiter. Der motivationale Hintergrund seines Engagements für eine neue Männlichkeit ist die fundamentale Orientierungskrise, in der heute vor allem viele junge Männer stecken.

Geschlechterideologie Das alte Patriarchat hat ausgedient. Die feministische Bewegung hat dessen gesellschaftlich dominanten Machtanspruch zu Recht in Frage gestellt und dadurch die Männer unter Veränderungsdruck gesetzt. Aber vielen jungen Männern fehlt es heute an authentischen Vorbildern für männliches Gefühlserleben, Beziehungsfähigkeit, Sexualität und positive Aggression.

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind den Männern zunehmend die Väter abhanden gekommen, entweder durch Tod, durch die rapide Zunahme an Trennungen oder schlicht durch die psychische Abwesenheit der Väter infolge von Beruf oder Kommunikationsarmut. Auswege in eine hohle Männlichkeit gibt es viele: den bodygestylten "Macho", den feministisch angepassten "Softie" und den klassischen gefühlsverarmten "Funktionsmann". Doch spätestens in demokratischen egalitären Beziehungen mit Frauen entpuppen sich diese Auswege schnell als Sackgassen.

Größeres als das Ego "Wir müssen heute Wege finden, den Mann in eine authentische Männlichkeit zu initiieren", ist Richard Rohr überzeugt, "denn wir steuern auf ein kulturelles Desaster zu". Und er macht eindeutig klar, dass er damit nicht ein Zurück zu den alten patriarchalen Männerrollen und hegemonialen Machtstrukturen meint. Für ihn sei Männlichkeit und Weiblichkeit nicht annähernd so wichtig wie Menschlichkeit, denn das sei das Ziel. Doch dabei darf nicht übersehen werden, dass die männliche Psyche von anderen Bildern, Prozessen und einer anderen Sprache angesprochen wird, als die weibliche.

Zwischen Männern und Frauen, die beide gleichwertig sind, gibt es einerseits bio-psychische und andererseits sozio-kulturell gewachsene Unterschiede, die sich nicht einfachhin als Marginalien vom Tisch wischen lassen. Richard Rohr konstatiert, dass die klassischen Männlichkeitsentwürfe krank machen. Männer verändern sich häufig erst durch eine Krise, der Verlust eines geliebten Menschen durch Trennung oder Tod, durch Jobverlust oder einen empfindlichen Karriereknick, oder durch die Erfahrung von Krankheit und Begrenztheit. Rohr sieht darin auch den Grund, weshalb es in allen großen Kulturen Initiationsriten für die jungen Männer gab. Sie lehrten dem "starken Geschlecht", dass das Leben durch Krankheit, Schicksal und Tod begrenzt ist, dass man nicht die Kontrolle über das Leben hat und vor allem, dass es etwas Größeres gibt, als das kleine rein private Ego. Richard Rohr ruft die Männer zu einer Reise in die Machtlosigkeit auf. Das erschreckt zunächst, weil es einen Abstieg vom hohen Ross der Machtposition und des narzisstischen Selbstbildes erfordert.

Es ist das anfangs schmerzhafte Erfahren der eigenen Verwundbarkeit, ein Sensibelwerden für die Gebrochenheit allen Seins und das Entdecken einer gründenden unzerstörbaren Geborgenheit in Gott. In mehreren hundert Männerseminaren und Vorträgen hat Richard Rohr durch sein Wort und Beispiel Männer zu dieser spirituellen Heldenfahrt bewegt.

Frauen-Dankesbriefe Dass ihm zur Hälfte die Frauen dieser Männer Dankesbriefe schreiben, zeigt dass diese Form der Männerbefreiung keine rein individualistische männerbezogene Angelegenheit ist und dass sich gesellschaftlich erst etwas ändern kann, wenn Männer das auch als Zugewinn einer neuen tieferen Freiheit erfahren können. Rohr sieht sich dabei durch das Faktum bestätigt, dass die säkulare, sozio- und psychologisch orientierte Männerbewegung in den USA nach einer Hochblüte in den achtziger Jahren keinen Elan mehr entfalten kann. Sie griff zu kurz, weil sie nur die Entfaltung des individuellen Egos im Auge hatte.

Das Denken Rohrs speist sich aus der Erfahrung, dass eine Erweiterung des eigenen Gottesbildes auch eine Veränderung des Selbstbildes und des Weltbildes zur Folge hat. Das hat urbiblische jüdisch-christliche Tradition. "Aller echter Religion geht es um Transformation, um Wandlung", sagt Richard Rohr: "Alle Formen von Religion, die statt der Wandlung nur die Erhaltung ihrer eigenen Macht im Auge haben, die sich selbst und nicht Gott für das Endziel des Lebens halten, sind zum Sterben verurteilt". Damit meint Richard Rohr sowohl religiös-totalitäre Machtstrukturen in seiner eigenen, der katholischen Kirche, wie auch die gängigen Formen von Zivilreligion, zu der das Christentum in unseren Breiten abgesackt ist. "Das ist nicht die Zukunft und in ein paar hundert Jahren wird man sehen, dass die ersten zweitausend Jahre des Christentums seine Babyphase repräsentiert haben."

Gottes-, Welt-, Selbstbild Dieser radikale Anfängergeist, den Richard Rohr fordert, verstört in den USA regelmäßig rechstkonservative und fundamentalistsiche religiöse Kreise. Vor deren Denunziationen und Anklagen mussten ihn schon bischöfliche Freunde in Schutz nehmen, wie etwa der legendäre, bereits verstorbene Kardinal Bernardin von Chicago. Als Rohr 1982 gemeinsam mit 240 Menschen in der Kapitolrotunde von Washington verhaftet wurde, ging sein Bild durch die Weltpresse - ein Franziskaner in Kutte und Handschellen. Sein "Vergehen" war die Abhaltung einer Mahn- und Gebetswoche gegen die atomare Hochrüstung und die Unterstützung totalitärer Regimes in Lateinamerika durch die US-Regierung.

Mit der Gründnung des "Centers for Action and Contemplation" in Albuquerque, New Mexico, war er dann endgültig als Linker verschrieen. Für ihn war es lediglich die Konsequenz aktiver Kontemplation und franziskanischer Gewaltlosigkeit in einer machtdominierten Welt. Rohr kann mit solchen simplen Etikettierungen durchaus leben, weil er immer glaubwürdig "political incorrect" gelebt hat. Er liest den Linken genauso die Leviten wie den Rechten, indem er ihnen dieselbe intolerante und absolutistische Geisteshaltung vorwirft, die diese an der Kirche kritisieren. Immer wieder erinnert er in seinen Reden an einen Jesus, der dieser Welt zuviel ist, von dem sie nichts hören will, den selbst viele Religiöse - wenn überhaupt - nur fromm anbeten, statt ihm nachzufolgen. Richard Rohr ist sicher ein Vereinfacher, aber ein außerordentlich begnadeter dazu. Denn seine Reduktionsversuche komplexer Sachverhalte vertiefen diese und weiten den Blick. Seine Sprache ist kräftig, klar und bilderreich: Sie kommt an und berührt Herz und Hirn gleichermaßen. Insofern spricht Rohr eine religiöse Sprache der Zukunft. Doch diese Zukunft hat bereits angefangen.

Der Autor ist Religionsjournalist im ORF-Radio.

TIPPS Richard Rohr in Wien Vom 19. bis 21.Juni kommt Richard Rohr erstmals nach Wien. "Worte der Kraft" heißt eine spirituelle Vortragsreihe, die Rohr im RadioKulturhaus Wien halten wird.

* Mit einem Männerthema beginnt die Vortragsreihe am Montag, dem 19. Juni: "Sind die Männer noch zu retten? - spirituelle Impulse für eine authentische Männlichkeit".

* Am Dienstag, den 20. Juni, geht es um die heutige Relevanz Jesu Christi: "Brauchen wir Jesus noch? - vom Skandal der Bergpredigt bis zum Skandal des Kreuztodes".

* Und am Mittwoch, 21. Juni, spricht Richard Rohr zum Thema Kirche: "Hat die Kirche noch Zukunft? - Über Reformen und Aufbrüche im Geiste JesuÇ.

* Zeit und Ort: jeweils 19:30 Uhr, Großer Sendesaal, Radiokulturhaus Wien * Information: Tel. 01/50170377, E-Mail: kulturhaus@orf.at, Internet: www.orf.at/orfon/kultur/ oe1/kulturhaus * Die Veranstaltung "Worte der Kraft" wird aufgezeichnet und in der Ö1-Radioreihe "Logos - Theologie und Leben" in drei Teilen gesendet, und zwar am Samstag, 8.,15. und 22. Juli 2000, jeweils um 19.05 Uhr.

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