"Feel good" als religiöse Botschaft

19451960198020002020

Die katholische Kirche lässt sich erfolgreich aufs Medienzeitalter ein: Zwei Millionen Teilnehmer am Weltjugendtreffen in Rom geben davon Zeugnis.

19451960198020002020

Die katholische Kirche lässt sich erfolgreich aufs Medienzeitalter ein: Zwei Millionen Teilnehmer am Weltjugendtreffen in Rom geben davon Zeugnis.

Werbung
Werbung
Werbung

Selten kann man einen Papst laut lachen hören. Das Gewimmel von Menschen und Schlafsäcken, hingestreckt über die endlose Wiese vor der Universität Tor Vergata in Rom, hat Johannes Paul II. ein tiefes Gelächter der Freude entlockt. Eine Generation, die keinen anderen Papst gekannt hat als ihn, war gekommen, mit dem alten Mann zu feiern - und ihn zu feiern.

"Idolatrie" sei das, meinte der Kollege von der französischen Zeitung "Liberation". Er witterte Manipulation junger Seelen und Persönlichkeitskult schlimmster Art, wie er sonst nur Fußballern, Rockstars oder Politikern schlechter Reputation entgegengebracht wird. Der Verdacht war nicht ganz von der Hand zu weisen, stand man vor dem gigantischen Bühnenaufbau und hörte von ferne den Jubel aufbranden, als der Wagen des Papstes in die Menge eintauchte. Im Lauf des Abends wird sich der Kollege bestätigt gefühlt haben, als sich ein halbes Dutzend junger Menschen einen Weg durch die Sicherheitskräfte boxte, um den Papst auf seinem Thron zu umarmen und zu küssen.

Johannes Paul ließ für seine jungen Gäste alle Register des Showgeschäfts ziehen. Die Breitwandbühne, auf deren langgestreckter Rampe unermüdlich Heerscharen von Musikern auf- und abstiegen, das 36 Meter hohe Kreuz, der riesige Christus auf dem Regenbogen, der hinter dem Papst hing - all das war fernsehgerecht inszeniert und zugleich auf Fernwirkung bedacht. In einem solchen Ambiente die anspruchsvolle Botschaft des Christentums über die Rampe zu bringen, zählt wohl zu den schwierigsten Dingen, die man Dramaturgen abverlangen kann.

Regie: einfach, perfekt Sie haben ganze Arbeit geleistet. In einfachen Zeichen vermittelte die Regie den Anwesenden das uralte Selbstbild der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen über alle Grenzen der Zeit hinweg. Große Diaprojektoren warfen die Bilder der Apostel an die Wand, junge Menschen aus aller Herren Länder trugen Kerzen als Symbol für die Märtyrer von den Anfängen des Christentums bis in die Gegenwart. Das Bild der Gottesmutter mit Kind fand auf einem übermannsgroßen Thronsessel Platz, neben dem der Papststuhl wie ein Campingsesselchen wirkte.

Wieviel von der Botschaft angekommen ist, lässt sich nicht abschätzen. "Stare insieme", das Beisammensein also, nennen die meisten Befragten als Motiv für die weite Reise. Gleichaltrige wollten sie treffen, die ähnliche Vorstellungen vom Leben haben. Inhalt scheint weniger wichtig als der gute Wille, die Offenheit und die Bereitschaft, gemeinsam etwas zu suchen, was jenseits von Konsum liegt. Das irritierte vor allem jene Schichten Italiens, die das Monopol für positive Utopie, Toleranz und Weltoffenheit für sich zu beanspruchen pflegen. Dass sich eine in ihren Augen obskure Organisation wie die katholische Kirche nun in diesem Kleid präsentiert, irritierte sie zutiefst.

Man hätte doch Behinderte, Aids-Kranke, oder sonstwie benachteiligte Menschen wählen können, um die Botschaft des Christentums zu verkünden, kritisierte etwa der Philosoph Paolo Flores d'Arcais, den die staatliche Fernsehanstalt RAI am Sonntag gemeinsam mit dem Wiener Erzbischof ins Studio gebeten hatte. Die fünf Moderatoren für die Nachtwache aber waren schön, gut gekleidet und bestens vorbereitet. Der Studiogast sah darin eine Konzession an die Sehgewohnheiten der TV-Gesellschaft, einen Widerspruch zur Botschaft von der Wichtigkeit der Letzten.

Auf den Einwand, die Kirche nutze mediale Mittel, die sie in ihrer Zivilisationskritik verurteile, erwiderte Kardinal Christoph Schönborn überzeugend mit dem Hinweis auf das barocke Jesuitentheater. Die Kirche habe immer alle verfügbaren Mitten herangezogen, um ihre Botschaft zu vermitteln, von den bemalten Kirchen bis zur Kirchenoper. Warum also sollten nicht die Kniffe von TV-Shows und Rockkonzerten zum guten Zweck genutzt werden?

Flores d'Arcais war nicht der einzige Nichtchrist, der sich von dem Ereignis und seiner Wirkung offenbar in die Defensive gedrängt fühlte. Was Kommentatoren der "säkularen", meist linken Presse irritierte, war weniger der Erfolg des Jugendtages, als das völlige Fehlen eines vergleichbaren Phänomens in den eigenen Reihen. Die italienische Linke hat im Gleichklang mit Sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa utopische Bezugspunkte zugunsten pragmatischer Sanierungsstrategien aufgegeben. Wohin soll ein junger Mensch gehen, wenn er "etwas anderes" sucht? "Vielleicht zum Parteitag der Linksdemokraten?" fragte hämisch und verzagt ein Kommentator der Tageszeitung "La Repubblica".

Suche nach dem Ewigen Aus der gelassenen Perspektive seiner 91 Lebensjahre bot der angesehene Journalist Indro Montanelli im "Corriere della Sera" die vielleicht überzeugendste Erklärung für die breite Anziehungskraft des Papstes auf junge Menschen: sie suchten "etwas, das über den Zeiten steht, weil es ewig ist". Etwas Stabiles, auf dem "die Füße ruhen und ausruhen" könnten. "Tot ist die Ideologie, die ihre Eltern auf die Plätze getrieben hatte", fährt Montanelli fort, "und die technologische Revolution, die ihren Platz eingenommen hat, zwingt dem Leben Rhythmen auf, die uns alle alt erscheinen lassen, ehe wir noch reif geworden sind".

Das ist ein vager Antrieb, der noch relativ wenig mit Religion zu tun hat, schon gar nicht mit Kirche. Giancarlo Zizola, der Profundeste unter den italienischen Vatikanexperten, erinnert daher zu Recht an den Kontrast zum kirchlichen Alltag in beliebigen italienischen und europäischen Kirchen. Jugendliche sind dort eine Seltenheit. In den kinderreichen Kontinenten Afrika und Asien wiederum ist das Christentum die Religion kleiner Minderheiten.

Wohl die Mehrzahl der jungen Leute kam wohl auch nicht aus Pfarren, sondern mit "Bewegungen", die neben und außerhalb der Pfarren gewachsen sind. Charismatische Gruppen, die das emotionale und religiöse Vakuum in den traditionellen kirchlichen Verbänden zu kompensieren versuchten, haben nicht erst während der Tage in Rom die Wahrnehmbarkeitsgrenze überschritten. Die Kirche, die deren Emotionalisierung der Religion anfangs skeptisch abwartend gegenübergestanden war, hat ihre Bedeutung erkannt und setzt in wachsendem Maße auf sie, auch wenn sie weitgehend mit der kulturellen Tradition der lateinischen Kirche bricht.

Der Bruch zeigt sich vor allem in der Musik. Die Jahre der Rockmessen sind gezählt, Softpop hat seine Stelle eingenommen. Was Italiens Schlagersänger für den Markt produzieren, ist längst auch im Vatikan hoffähig. Das Emmanuel-Lied ist ein gutes Beispiel dafür. Es wurde eigens für den Weltjugendtag komponiert und schallte fünf Tage lang durch die Straßen Roms. Das Lied geht ins Ohr und hat erhebende Wirkung. Gute Musik ist es nicht. "Feel Good" - so nannte sich eine der teilnehmenden Musikgruppen - scheint zu einem religiösen Slogan avanciertzu sein. Vor ein paar Jahren noch hat das Avantgardefestival "steirischer herbst" denselben Begriff als höhnische Kritik am gesellschaftlichen Mainstream verstanden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung