Homosexualität im Römerbrief: Verkehr wider die „Natur“?
Auch in Bezug auf Homosexualität sind biblische Texte vielschichtig: Moralinsaure Übersetzungen und Lesarten verstellen den Blick. Ein Beitrag zur Debatte über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.
Auch in Bezug auf Homosexualität sind biblische Texte vielschichtig: Moralinsaure Übersetzungen und Lesarten verstellen den Blick. Ein Beitrag zur Debatte über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.
Die Frage der Segnung homosexueller Paare durch kirchliche Amtsträger erregt die Gemüter und kann Kirchen an den Rand der Spaltung bringen, wie die Diskussionen der letzten Tage zeigen. Das gilt natürlich auch, wenn der Papst hier Tendenzen zu einer Aufweichung kirchlicher Normen erkennen lässt. DIE FURCHE titelte vor Weihnachten hierzu „Eine schöne Bescherung“. Es ist richtig, dass man mit dogmatischer Beharrlichkeit die Menschen nicht mehr erreicht.
Aber widerspricht die vom Papst autorisierte Glaubensbehörde denn nicht den Aussagen des Paulus im Römerbrief? Gleich im ersten Kapitel findet sich der entsetzte Ausruf (Röm 1,26; Lutherbibel): „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen.“ Für die, denen das zu ungenau ist, übersetzt die nicht zuletzt im freikirchlichen Bereich verbreitete „Hoffnung für Alle“-Bibel hier wortgewaltig: „Weil die Menschen Gottes Wahrheit mit Füßen traten, gab Gott sie ihren Leidenschaften preis, durch die sie sich selbst entehren: Die Frauen haben die natürliche Sexualität aufgegeben und gehen gleichgeschlechtliche Beziehungen ein.“ Dem „natürlichen“ Verkehr steht der „widernatürliche“ Verkehr ent-
gegen, dieser ist schändlich.
„Natürlich“ meint „ehelich“
So weit, so falsch. Hier wird moralinsauer der Stock über allen gebrochen, die sich nicht in die binären Geschlechtszuordnungen einordnen lassen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht scheitert man hier am Text. Paulus verwendet den Begriff „Natur“ bei Fragen der menschlichen Sexualität gleichbedeutend mit „ehelich“.
Das ist guter antiker Sprachgebrauch. Der „natürliche“ Sohn ist – im Gegensatz zum Adoptivsohn – der in der Ehe geborene, leibliche Sohn. Während nun beispielsweise die Elberfelder Bibel im Galaterbrief (Gal 2,15) die wörtliche Übersetzung wählt („wir [sind] von Natur Juden“), optieren andere Übersetzungen deswegen für eine Umschreibung, die diesem Naturbegriff gerecht wird: „Wir sind von Geburt Juden.“ (Lutherbibel 2017) Wörtlich steht dort Natur, trotzdem wird mit Geburt übersetzt. Wenn nun dem „natürlichen Verkehr“ nicht der „widernatürliche“ entgegenstehen sollte, sondern der „außereheliche“ Verkehr, dann muss man auch nicht mehr darüber nachdenken, welche Form des „widernatürlichen“ Verkehrs hier gemeint sein könnte. Im einen oder anderen Kommentar zu dieser Stelle wird darüber nachgedacht, welche Sexualpraktiken hier gemeint sein könnten.
Vielleicht wäre es besser, wenn die sprachwissenschaftliche Analyse hier stärker berücksichtigt würde, schließlich entspricht das hier vorgeschlagene Verständnis auch in gleich mehrfacher Hinsicht der antiken Realität. Zum einen wird weibliche Homosexualität nicht weiter als Thema in antiken Texte behandelt. Zum anderen konnten nur Frauen die eigene Ehe brechen. Aus der Sicht des römischen Rechts brach ein verheirateter römischer Mann, der mit einer ebenfalls verheirateten römischen Frau einvernehmlich eine sexuelle Handlung vornahm, nur die fremde Ehe. Auch wenn es das heutige Recht anders sieht: Die eigene Ehe konnte nur die verheiratete Frau, nicht jedoch der verheiratete Mann brechen. Hinsichtlich des Eherechtes sind wir also heute im Vergleich zur Zeit des Paulus einen großen Schritt weiter.
Nun kann man einwenden, dass das alles an den Haaren herbeigezogen ist, schließlich hält Paulus direkt danach fest (Röm 1,27): „Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.“
Die „Gute Nachricht“-Bibel übersetzt noch deutlicher: „Ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit Frauen auf und entbrannten in Begierde zueinander. Männer treiben es schamlos mit Männern. So empfangen sie am eigenen Leib den gebührenden Lohn für die Verirrung ihres Denkens.“
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