"In Sozialfragen weit hinter Kirchenvätern zurück"

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Auch Theologen arbeiten derzeit an ihrem Beitrag für das Projekt Sozialwort. Der orthodoxe Laientheologe Alexandros Papaderos ist eigens dazu aus Kreta angereist. Als Mitglied des Zentralkomitees der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und als Generaldirektor der Orthodoxen Akademie Kretas, einem Zentrum für ökumenischen und interreligiösen Dialog, wird er das Sozialwort wissenschaftlich begleiten. Ihm zur Seite stehen Ulrich Körtner für die evangelische und Ingeborg Gabriel für die katholische Seite. Alle drei werden außerdem eine theologische Stellungnahme erarbeiten, die als Basis für den ökumenischen Dialog in sozialethischen Fragen dienen soll.

die furche: Christen der westlichen Kirchen assoziieren mit dem orthodoxen Christentum eher feierliche Hymnen und Spiritualität als Sozialkritik. Ist das ein falsches Klischee?

alexandros papaderos: Ja. Es existiert seit vielen Jahren, denn Ost und West sind sich lange Zeit fremd geblieben. Wir haben im Osten zwar keine lateinamerikanische Befreiungstheologie, aber wir haben schon seit Jahrhunderten eine Befreiungspraxis. Allerdings bleiben wir meiner Ansicht nach heute weit hinter den Kirchenvätern zurück, was deren prophetische Entschiedenheit in sozialen Fragen angeht. Sie haben dafür häufig Martyrium und Leiden auf sich genommen.

die furche: Viele Katholiken meinen, dass die ökumenische Zusammenarbeit an der Basis - etwa bei sozialen Projekten - ganz gut funktioniert. Sie verstehen aber nicht, warum diese Kooperation im Kleinen keine spürbaren Konsequenzen bei den großen Fragen der Ökumene zu haben scheint.

papaderos: Das ist ein berechtigter Protest. Ich gehöre selbst zu denen, die sich das fragen. Ich stelle diese Fragen übrigens auch dort, wo sie gestellt werden sollen. Gott hat uns in der Ökumene sehr viel anvertraut und geschenkt. Aber vieles davon bleibt inaktiv, weil wir es nicht in das Leben der Kirchen umsetzen. Wir kennen den Weg, aber wir wagen ihn nicht!

die furche: In dem vorliegenden Sozialbericht haben Katholiken kritisiert, dass Rom die Ökumene bremse. Haben Sie diesen Eindruck auch?

papaderos: Ich möchte es positiv ausdrücken: Rom hat sowohl die Macht als auch die Verantwortung mehr zu tun als getan wird. Viele Jahre lang haben wir in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und in den katholischen Bischofskonferenzen um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis gerungen. 1984 haben 40 Vertreter der katholischen Seite und 40 Vertreter der Orthodoxen und der Protestanten mit Wissen ihrer kirchlichen Vorsteher beschlossen: Wir wollen in den Kirchen das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (ohne den Zusatz "Filioque", nach dem der Geist "vom Vater und vom Sohn ausgeht") beten. Wir haben diesen Beschluss in Trient mit Tausenden von Gläubigen gefeiert. Es war eine große Stunde. An der Stelle, wo die Verdammungen gegen die Reformation unterzeichnet wurden, haben wir gesagt: Das ist unser gemeinsamer Glaube, die Quelle der Hoffnung. Wenig später haben Patriarch Dimitrios und der jetzige Papst im Petersdom gemeinsam dasselbe Glaubensbekenntnis vor Gott gesprochen. Aber am nächsten Sonntag hat der Papst wieder das Glaubensbekenntnis mit dem "Filioque"-Zusatz verwendet ... Entweder wir machen Ernst mit der Sache Gottes oder nicht! Momentan sind wir eine Fabrik, die Gutes produziert, aber keinen effektiven Umsatz hat. Daher sind die Menschen auch müde und enttäuscht.

die furche: Könnte das Sozialwort neuen Schwung bringen?

papaderos: Ich begrüße das Sozialwort in Österreich sehr. Die Tatsache, dass 14 Kirchen so viele Institutionen, Gemeinden und Gremien erreicht haben, erfüllt mich mit Bewunderung. Das ist einmalig in der Welt! Die Österreicher dürfen stolz sein auf diesen Beitrag. Er kann eine Initialzündung für die Ökumene in ganz Europa sein.

Das Gespräch führte Angelika Walser.

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