Serviam  - © Verleih: Pandafilm

„Serviam“: Apokalypse im Wienerwald

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Missbrauch in einer religiösen Institution, Reminiszenz ans katholische Internat – und Austro-Suspense: All dies mixt Ruth Mader im Film „Serviam – Ich will dienen“ zusammen.

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Missbrauch in einer religiösen Institution, Reminiszenz ans katholische Internat – und Austro-Suspense: All dies mixt Ruth Mader im Film „Serviam – Ich will dienen“ zusammen.

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Man kann Machtmissbrauch und Gewalt hinter Klostermauern auch im Film thematisieren: Peter Mullans Referenzwerk „Die unbarmherzigen Schwestern“ nahm sich 2002 die schrecklichen Zustände in den irischen Magdalenenheimen vor, um daraus einen eindrücklichen wie beklemmenden Film über unglaubliche Zustände in den vorgeblich frommen Instituten zu machen. Das Thema ist seither breit diskutiert worden, die künstlerische Aufarbeitung dieser Spielart von Missbrauch im religiösen Mäntelchen aber längst noch nicht abgeschlossen, wie zuletzt der Roman „Kleine Dinge wie diese“ der irischen Autorin Claire Keegan zeigte.

Man kann die katholische Internatszeit aber auch durch die Brille einer ambivalenten Reminiszenz an die eigene Jugend Revue passieren lassen wie der Dokumentarfilm „Die letzten Zöglinge“ 2006. Die österreichische Filmemacherin Ruth Mader hat in ihren neuen Spielfilm „Serviam – Ich will dienen“ beide Aspekte verpackt: Es geht da in der Verpackung als Psychothriller um religiösen Machtmissbrauch ebenso wie um die Darstellung eines aus der Zeit gefallenen katholischen Internats. Aus der Zeit gefallen, weil eine Eliteschule für – wie man salopp sagte – „höhere Töchter“ schon deswegen nicht mehr existiert, weil auch in katholischen Instituten längst die Koedukation Einzug gehalten hat.

„Serviam“ ist daher am Anfang der 1980er Jahre angesiedelt, als es reine Mädchenschulen noch gab. Ruth Mader selber war Zögling bei den Ursulinen in Wien, für den Film hat sie – neben Aufnahmen im Waldviertler Zisterzienserstift Zwettl – auch auf ihre alte Schule als Location zurückgegriffen.

Als Drittes setzt Mader in „Serviam“ ihre Version von Austro-Suspense ein, der ja, von Jessica Hausners „Hotel“ (2004) angefangen bis zum Horror-Shocker „Ich seh Ich seh“ von Veronika Franz und Severin Fiala (2014), – auch zum zeitgenössischen Filmschaffen gehört. Was in den fünf Stockwerken des Internats von „Serviam“ geschieht, bleibt im Dunkeln; hin und wieder wird die Decke, die darüber gebreitet scheint, einen Zipfel hochgehoben. Unheimlich bleibt das alles allemal.

Das religiöse Setting wird von Anfang an manifest, als die Internatsschülerin Martha den 91. Psalm in voller Länge rezitiert. Und am Ende des Films stehen die Worte aus der Apokalypse, dem letzten Buch des Neuen Testaments, in dem der Seher Johannes „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ ankündigt. Dazwischen spielt sich das befremdliche Drama dieses Films ab, das gewiss als gewollte Verstörung österreichischer Film-Provenienz im Gedächtnis bleiben wird.

Wohin soll eine Seele fliehen, wenn die Wirklichkeit, die diese Anstalt darstellt, mit dem ersehnten und erstrebten Glauben nicht mehr in Einklang zu bringen ist?

Sühne für die Sünden der Welt

Martha ist Schülerin in dieser pädagogischen Anstalt für die Töchter der gehobenen Gesellschaft Wiens. Sie ist die Einzige, die auch übers Wochenende im Internat bleibt, weil die Eltern in Spanien leben. Die Blütezeit der Institution ist vorbei, die oberen Stockwerke des 1960er-Jahre-Baus sind leer. Im Niedergang ist auch der Glaube, gibt sich die engagierte Schwester, die das Internat leitet, überzeugt. Aber in Martha glaubt die Ordensfrau eine gefunden zu haben, die mit ihr für die Sünden der Welt Sühne leisten will. Martha bekommt von der Schwester einen Bußgürtel, mit dem sie am Leiden Jesu teilhaben soll. Doch die Wunden, die das spirituelle Selbstfoltergerät hervorruft, entzünden sich – Martha wird krank und von der Schwester im oberen Stock, der für die Kommilitoninnen tabu ist, versteckt.

Nach und nach treten die Verstörungen in diesem Mühen um rechten Glauben zu Tage. Und auch der Kosmos, in dem diese Mädchen aufwachsen, ist alles andere als eine heile Welt. Ebenso wenig entpuppen sich die Familien, in welche die höheren Töchter am Wochenende entschwinden, als solche. Der Glaube, den die Schwester verbreiten und vorleben will, ist nicht befreiend. Die Bedrohung erfasst auch andere Mädchen im Internat, nicht nur Marthas Krankheit scheint beängstigend: Als die Zurücksetzung einer Mitschülerin durch die Internatsleiterin lebensgefährlich wird, kippt das System, das gerade noch aufrechtzuerhalten ist. Wohin soll eine Seele fliehen, wenn die Wirklichkeit, die diese Anstalt darstellt, mit dem ersehnten und erstrebten Glauben nicht mehr in Einklang zu bringen ist? Diese Fragen stellen sich für die Schwester gleichermaßen wie für die Wachen unter ihren Zöglingen. Apokalypse – im Wienerwald.

Ein reduziertes, enigmatisches Setting bietet „Serviam“: ein Film, der den Atem raubt und die erwarteten Antworten vorenthält – und eben dadurch besticht. Wie Maria Dragus als Darstellerin der Schwester Institutsleiterin, die dieser dunklen Gestalt die nötige Beklommenheit verleiht.

Serviam Plakat - © Foto: Pandafilm
© Foto: Pandafilm
Austro-Suspense

Serviam – Ich will dienen

A 2022. Regie: Ruth Mader. Mit Maria Dragus, Leona Lindinger, Anna Elisabeth Berger, Sophia Gómez-Schreiber, Petra Morzé, Udo Samel, Fritz Karl, Florian Teichtmeister. Pandafilm. 106 Min.

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