"... sondern die Wurzel trägt dich"

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Der Theologe und Schriftsteller Schalom Ben-Chorin gilt als jüdischer Pionier des Gesprächs mit Christen. Er beeindruckt und beeinflußt auch hierzulande: Eine kleine Hommage zum 85er.

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Der Theologe und Schriftsteller Schalom Ben-Chorin gilt als jüdischer Pionier des Gesprächs mit Christen. Er beeindruckt und beeinflußt auch hierzulande: Eine kleine Hommage zum 85er.

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Überhebe dich nicht ... nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich." Unvergessen bleiben mir diese Worte (Röm 11,18), die vor vielen Jahren der nunmehr 85jährige Schalom Ben-Chorin an den Anfang seines Vortrages "Was uns eint, was uns trennt - Christentum und Judentum" stellte. Wenn die Grundzüge davon hier vorgestellt werden, soll dies ein persönlicher Dank für jenes Grundanliegen seines Forschens und Lehrens sein, das ich - wie viele Zuhörer meiner Reisegruppen - als unendlich wichtigen Anstoß von Jerusalem nach Hause mitgenommen habe.

Glaube, Hoffnung und Liebe - das eint Christen und Juden - und trennt zugleich. So führte Schalom Ben-Chorin in Anlehnung an 1 Kor 13,13 aus: Glaube: Das "Sch'ma Jisrael - Höre Israel" (Dtn 6,4ff), das Glaubensbekenntnis jedes Juden, bildet den gemeinsamen Wurzelgrund des Judentums gerade mit den Christen und den Muslimen. Und doch trennt auch dieser Glaube an den einen Gott, den der gläubige Jude sogar noch in seiner Sterbestunde bekennt und der ihm beim letzten Atemzug von den Anwesenden als Zuspruch mitgegeben wird. Ist es doch von der Theologie der hebräischen Bibel her unvorstellbar, daß Christus zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch ist, und daß dieser eine Gott ein Gott in drei Personen ist. Dies sollten beide Seiten in großer Ehrfurcht vor dem anderen Glauben einander gestehen.

Hoffnung: Juden wie Christen warten auf den, der da kommen wird. Der Gedanke an das Kommen Gottes eint und trennt: Hoffen doch die Juden auf den von den Propheten verheißenen und bislang noch nicht gekommenen Messias, während die Christen auf das Wiederkommen dieses Christus warten, der schon unter einmal auf die Erde gekommen ist. Und doch tröstet dabei der Gedanke des jüdischen Theologen Schalom Ben-Chorin, wonach der Wiederkommende und der Kommende vielleicht dasselbe Antlitz tragen.

Liebe: Copyright by Mose, so kommentierte Schalom Ben-Chorin die Worte Jesu, mit denen er auf die Frage nach dem größten Gebot gleich zweimal Mose zitiert: Du sollst Gott, den Herrn, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Trennend ist dabei nur, daß im Judentum die Feindesliebe nicht verlangt wird, weil ein solches Gebot nicht einhaltbar erscheint. Andererseits ist auch Feindeshaß nicht die allgemeine Lehre des Judentums, denn Jesus sagt nicht: "Es steht geschrieben" (gemeint: in der Heiligen Schrift), sondern: "Ihr habt gehört ... du sollst deinen Feind hassen" (gemeint: von den extremistischen Qumran-Leuten).

Unvergessen bleibt die Konsequenz aus dem Gesagten, daß Nichtverstehen des anderen zur Ablehnung, zum Haß und letzten Endes zur Vernichtung des anderen führen kann.

Im Dienst des Dialogs Ein Leben im Dienste des jüdisch-christlichen Dialoges hat Schalom Ben-Chorin geführt, er war selbst Zeuge dieser Spirale des Unheils, die in die Schoa geführt hat. Ist es ihm auch nach bitteren Erfahrungen mit der Gestapo von 1933 bis 1935 gerade noch gelungen, dem Holocaust zu entkommen und in der heiligen Stadt Jerusalem zu leben, so hat er doch nie aufgehört, vor dieser Katastrophe zu warnen.

Er wirft den Christen nicht vor, daß der Antisemitismus seine Wurzeln im Christentum hat, sondern er versucht, uns Christen den Spiegel vorzuhalten und in seiner Trilogie "Die Heimkehr" hat er Mutter Mirjam, Bruder Jesus und Paulus aus der zweiten Bibel sozusagen in das Judentum zurückzuholen versucht. Er war damit auch einer der Wegbereiter des Dialog-Klimas, ohne das die bahnbrechende Erklärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils eigentlich undenkbar ist.

Ben-Chorins Anleitung Leider konnte ich mit meiner letzten Reisegruppe Schalom Ben-Chorin, der zufolge geschwächten Gesundheitszustandes keine Vorträge mehr annimmt, nicht mehr persönlich treffen. Aber es gibt eine Kronzeugin seines Lebens und Wirkens, seine Frau Avital Ben-Chorin, die mit ihm bei Martin Buber studiert hat und selbst bedeutende Theologin ist, aber immer im Schatten ihres berühmten Gatten hinter seiner Persönlichkeit zurücktrat. Für mich ist auch sie eine wichtige Zeitzeugin, die den oft mühsamen jüdisch-christlichen Dialog miterlebt und mitgetragen hat.

Und es gibt wunderbare literarische Zeugnisse dieses Dialogs, vor allem die von Schalom Ben-Chorin gemeinsam mit dem katholischen Theologen Michael Langer gestalteten Bildbände über den Sinai und über das Buch Hiob. So bleibt das Wirken dieses bedeutenden Religionswissenschaftlers präsent.

Nur ein paar Gedankensplitter von dem Reichtum, den ich über Anregung von Schalom Ben-Chorin aus dem Heiligen Land heimbrachte: Ich habe dort den Juden Jesus, unseren Bruder kennengelernt. Unter Anleitung von Schalom Ben-Chorins Werken bete ich das Vaterunser auf dem Hintergrund zweier jüdischer Gebete - des Kaddisch und des "Sch'mone Esre" (des Achtzehn-Bitten-Gebets); ich verstehe die Worte des Neuen Testaments in der Position Jesu, die auf der pharisäischen Lehre basiert, ohne dabei zur Kasuistik zu werden, die aber eine radikale Gegenposition zu radikalen Extremismen darstellt; ich verehre Maria, die Mutter Jesu - einfaches jüdisches Mädchen und Mutter; ich bewundere den großartigen Rabbiner Paulus.

So gehen mir persönlich jeden Tag durch das Studium der Hebräischen Bibel, welche für die Christen das "Alte Testament" bildet, neue und wunderbare Seiten am christlichen Glauben auf, und viele Dinge bekommen neues Licht: Vom "Ner tamid", dem Ewigen Licht als Zeichen der Gegenwart Gottes, das auch in den Kirchen zu finden ist, bis zum Vermeiden der Stadt Tiberias durch den gläubigen Juden Jesus, weil diese Stadt zu Ehren des Kaisers Tiberius über jüdischen Gräbern erbaut wurde und für den Juden sohin abscheulich war, bis dieser Mangel durch die Heilung des Rabbi Schimeon Bar Jochai als geheilt betrachtet wurde und Tiberias zu einer der vier heiligen Städte des Judentums aufstieg.

Impulse über Impulse verdanken meine Freunde, die mit mir in Jerusalem waren, und ich selber dem feurigen Geist, dem kompromißbereiten Dialogpartner und dem gläubigen jüdischen Theologen, der so fest auf dem Boden des Glaubens seiner Väter steht, daß er uns im Geist der Stärke die brüderliche Hand über den Zaun reichen kann.

In diesem Sinne: Todah rabbah - großen Dank, Schalom Ben-Chorin. In Ihrer Gesinnung und auf Ihre Anstöße hin wollen wir weiter nach unseren christlichen Wurzeln im Judentum suchen, damit nie wieder eine Schoa stattfinden kann.

Der Autor ist pensionierter Bundesbeamter sowie promovierter Jurist, Philosoph und Theologe und lebt in Graz.

Der Mann mit Namen "Frieden" und "Sohn der Freiheit" Am 20. Juli 1913 wurde er als Fritz Rosenthal in München geboren. Als 15-jähriger verließ er seine assimilierte Familie, um bei streng orthodoxen Juden seine Wurzeln zu finden. Er studierte bei Martin Buber und wandelte sich zu einem Vertreter eines offenen und innerlichen Judentums. 1935 emigrierte er vor den Nazis nach Palästina und nannte sich fortan Schalom ("Friede") Ben-Chorin ("Sohn der Freiheit").

In Jerusalem gründete er die erste Reformgemeinde, die El-Har-Synagoge, deren Rabbiner er wurde. Seit damals ist er als Religionsphilosoph, Theologe und Schriftsteller, aber auch als Lyriker tätig und vor allem im deutschen Sprachraum bekannt. Nicht zuletzt Bubers Einfluß führte Ben-Chorin zu einer intellektuellen Begegnung mit dem Christentum, dessen jüdischen Wurzeln er thematisierte und beleuchtete: Die Entdeckung dieser Wurzeln war für viele Christen - nach der Schoa, der Judenvernichtung im 3. Reich - ein befreiendes Erlebnis. Schalom Ben-Chorin wurde damit zu einem Wegbereiter des Gesprächs zwischen Juden und Christen.

Ben-Chorins zentrales Werk dabei ist die Trilogie "Die Heimkehr" (dtv-Taschenbuch Nr. 5996), in der er einen jüdischen Zugang zu Jesus, Maria und Paulus versucht. Zuletzt wurde zum 50. Jubiläum der Gründung des Staates Israel sein Buch "Ich lebe in Jerusalem" (dtv Nr. 8447) neu aufgelegt, eine anekdotische und essayistische Annäherung an seine und aller Juden Heimatstadt. ofri

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