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Warum gerade

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Wir bitten Dich, Herr: Erhöre gnädig das Flehen Deines Volkes; wir werden ja mit Recht für unsere Sünden gezüchtigt, doch befreie uns in Deiner Barmherzigkeit um der Ehre Deines Namens willen.

(Gebet vom Sonntag Septüagesima)

Das neue Verständnis des Gemein- schaftsbetens fordert nach der priester- lichen Aufforderung „Lasset uns beten" eine Pause der Sammlung. Jeder einzelne soll das, was in ihm an Bitte und Frage, an Gedanken und Sehnsucht aufsteigt, zu klären, zu formulieren versuchen. Für eine Gemeinde, eine Diözese können diese zeitgeborenen Gedanken in schlichter und freier Form vorgesprochen werden. Dann erst spricht der zelebrierende Priester aus der überzeitlichen, übernationalen Würde seiner Weihe heraus das Kirchengebet in lateinischer Sprache. Kaum einem Katholiken wird es gerade an diesem ersten Sonntag der Vorfastenzeit ohne weiteres und ohne Vorbereitung möglich sein, sich mit dem vorstehenden Gebetstext von der eigenen Existenz her in eins zu setzen. (Die Liturgiehistoriker weisen darauf hin, dafj diese düsteren Vorfastengebete in der Völkerwanderungszeit entstanden sind. Das belehrt uns zwar, macht uns den heutigen Weg aber nicht einfacher.) Von einem geheimnisvoll-abgründigen Gott wird in diesem Gebet gesprochen, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken, dessen Wege nicht unsere Wege sind. Von seinen Gerichten wird gesprochen, die sich nicht nur im Innern des einzelnen vollziehen, die sich an ganzen Völkerschaften und Epochen erfüllen. Der uns bei aller spürbaren Erlebnisnähe fern gerückte Beqriff der Züchtigung für Sünden leuchtet auf, die unserer persönlichen Verantwortung unterliegen, zugleich aber auch öffentlichen Charakter haben, zum „Himmel schreien" und die Hand des strafenden und rächenden Gottes fordern. Keiner, der dieses Gebet mitspricht, kann sich yon diesem „Wir" ausnehmen. Und keiner kann sagen, dafj die Not und der Schrecken, der über so vielen einst blühenden christlichen Ländern lastet, eine Züchtigungsstrafe bedeutet, von der wir im behaglichen Gefühl der

Freiheit und des Wohlansehens deswegen ausgenommen sind, weil wir brav sind und die Strafe nicht verdienen. Keiner kann sagen, nach welchem Mab b’er gemessen ist. Er sfeht ratlos da, ebenso wie die Arbeiter im Weinberg vor der rätselhaften Lohngerechtigkeit des Hausvaters, der dem vom frühen Morgen an Schuftenden keinen höheren Lohn gibt als dem, der gerade ein paar Stunden mit Hand anlegte. Niemand kann mit einem Schein von Recht gegen Gottes Gericht appellieren. Wir können nicht im Vertrauen auf unsere größere Frömmigkeit verlangen, dafj Gott die Kirche unseres Landes von jenen Gerichten ausnehmen möge, die über eine verweltlichte, allzu sehr auf politische Macht und Einflufj vertrauende Kirche in manchen Nachbarländern hereinbrachen. Wir haben einen einzigen Grund, den wir in unserem angstvollen, des verdienten Gerichts gewärtigen Gebet anführen können: um der Ehre des göttlichen Namens willen. Wir können beten, dafj Gott die immerhin noch vorhandene Leucht- und Sfrahlkraff unserer Kirche erhalfen möge, nicht weil es der Dom von St. Stephan mehr verdient hätte als der von St. Veif, sondern um des Zeugnisses willen, dafj wir für die Ehre Gottes zu geben bereit sind. Diese Zeugnisbereitschaft isf die einzige moralische Legitimation, auf die wir uns berufen können. Wir können Gott sagen, dafj wir unser Verschontsein so und nur so verstehen wollen: als keine Anerkennung, keine Auserwählung, sondern nur als ein Beauftragtsein, für Ihn Zeugnis abzulegen. Immer und zu jeder Stunde. Nur in dieser Zeugenschaft können wir wagen, dem Gericht standzuhalten. Auf uns selbst gestellt, hätten wir nichts anderes zu erwarten als die Christen unserer Nachbarländer, die nicht schlimmer und nicht besser waren als wir. An ihnen hat sich Gottes Majestät in der Züchtigung geoffenbart. Sie werden wohl darnach gemessen werden, wie sie diese Heimsuchung zu ertragen, ja als solche überhaupt zu erkennen vermochten. Von uns ist das Zeugnis der Ehre Gottes gefordert. Nicht zuletzt als ein Licht, das über unsere eigenen Mauern hinauszustrahlen hat.

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