6677662-1961_30_01.jpg
Digital In Arbeit

Macht und Ohnmacht... ...des Rechnungshofes

Werbung
Werbung
Werbung

Der letzte, vielzitierte und diskutierte Bericht des Rechnungshofes umfaßt nicht weniger als 101 Seiten. Man kann nicht annehmen, daß die Mitglieder des Nationalrates in der üblichen Hetze der Frühjahrssession in der Lage waren, den Bericht tatsächlich zu studieren. Gleiches wird auch kaum dem zuständigen Ausschuß des Nationalrates möglich gewesen sein, um so mehr, als die hundertundein Seiten ein sachlich verdichtetes Aussagematerial enthalten.

Anderseits hat aber das österreichische Volk das Recht, zu verlangen, daß dem Rechnungshof von Seiten des Nationalrates nicht allein ein „Nihil obstat” erteilt wird. Die Skandale, vor allem im Bereich der Unternehmungen des „sozialistischen” Sektors der Wirtschaft, waren derart, daß man über die Dinge nicht einfach hinweggehen kann, sondern neben einem Abstellen der Skandalwirtschaft in manchen Betrieben die Bestrafung der Schuldigen aus moralischen und rechtlichen Gründen verlangen muß. Wenn auch die Angehörigen des Nationalrates jetzt in die sicher verdienten Ferien gehen — die Mitglieder des Hohen Hauses gehören unleugbar zu den beruflich am meisten Engagierten —, darf die Summe von Ungeheuerlichkeiten, die der Rechnungshof aufgedeckt hat, nicht vergessen oder auf „höchster Ebene” kompensiert werden!

Die allgemeine Vermutung, daß der Bericht des Rechnungshofes für 1960 lediglich zu den „Gesammelten Werken” der obersten Kontrollbehörde gelegt werden wird, macht es erforderlich. einmal auf die Ohnmacht des Rechnungshofes und die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuordnung seiner Stellung wie der Art seiner Kontrolltätigkeit hinzuweisen. Es geht nicht an, daß lediglich, und nach Bedarf einige pikante Kapitel des Berichtes herausgegriffen und von dieser oder jener Seite agitatorisch verwendet werden. Ob es sich nun um Wahrnehmungen des Rechnungshofes im „kapitalistischen” Sektor oder im Bereich der Gemeinwirtschaft handelt: In allen Fällen geht es um die Frage der pfleglichen Behandlung von öffentlichem Eigentum, geht es um die Frage, ob die schlechte Verwaltung von Staatseigentum oder ein Diebstahl an demselben weiterhin als ein Kavaliersdelikt behandelt werden soll. Wie bisher!

Einige Wahrnehmungen, die da und dort bereits mit polemischen Hinweisen wiedergegeben wurden, sollen, einmal anders interpretiert, offenkundig machen, wie gebieterisch notwendig eine Reform der Position des Rechnungshofes im Interesse der Sicherung des österreichischen Volkseigentums geworden ist:

In der Sache des Provisionsskandals bei den Stickstoffwerken ergab sich, daß die oftmals genannte ausländische Agentur wahrscheinlich nur errichtet wurde, um einen Titel für die Abzweigung der Provisionen und ihre „geordnete” teilweise Rückführung nach Österreich zu gewinnen. • Es ergab sich, daß nicht nur Provisionen in einer unvorstellbaren Höhe praktisch für nichts gewährt wurden, sondern daß auch noch die Berechnungsbasis für die Provisionen Von fob (free on board: alle Kosten bis Einschiffungshafen) auf of (cost, freight: alle Kosten bis Bestimmungsort) geändert wurde, so daß die Schweizer Agentur auch noch von den Versandkosten ab Verschiffungshafen Provisionen erhielt (Nr. 67 des Berichtes).

• Ausländische Käufer der Waren der Stickstoffwerke erhielten Preisabstriche zugestanden, die so hoch waren, daß die Erwerber in den Genuß von Handelsspannen kamen, die das Dreifache des Üblichen überstiegen (Nr. 86).

• Falsche Dispositionen bei Errichtung eines Konsignationswarenlagers führten zu einem Verlust von 8 Millionen Schilling (Nr. 87).

Allgemein zeigte sich, daß da, wo ausländische und inländische Unternehmungen in Konkurrenz standen, weitgehend die Ausländer bevorzugt wurden (Nr. 134). Diese Tatsache, die es auch bei jenen Unternehmungen des staatlichen Bereiches gibt, die nicht geprüft werden, hängt unter Umständen mit der Tatsache zusammen, daß es in ausländischen Unternehmungen keine Einschaumöglichke:’ für die österreichischen Finanzbehörden gibt..

Bei den Wahrnehmungen, welche die Prüfer bei Hofherr-Schrantz machten, müssen ihnen gleichfalls Tränen in die Augen gekommen sein. Was in dem einst wegen der Güte seiner Erzeugnisse bekannten Unternehmen an Skandälchen gefunden werden konnte, würde einem Gogol Stoff für mehrere Stücke geliefert haben.

Ist gegenwärtig in der verstaatlichten Industrie ein Vorstandsmitglied völlig unfähig, wird es nicht auf die Straße gesetzt, wie etwa ein kleiner Wagenlenker nach einem selbstverschuldeten Unfall, sondern mit einer hohen Pension versehen. Von einem Ersatz eines etwa angerichteten Schadens ist keine Rede. Ist das pensionierte Vorstandsmitglied noch jung, sucht es sich einen kleinen „Nebenverdienst”, und beiden ist geholfen.

Auch dem gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, da es nun Platz für einen neuen Günstling hat, der bereits, auf der Warteliste war. Beide, der „kleine” Pensionist und der neue Direktor, können sich nun über die „Parteienherrschaft” auslassen, ziehen doch gerade jene gröblich über die Parteien los, die am meisten von ihnen profitieren.

Wir haben eine stattliche Reihe von Prüfungsberichten des Rechnungshofes, wir sind in Kenntnis einer Unzahl von Skandalen, die ohne Prüfung des Rechnungshofes an das Licht der sogenannten Öffentlichkeit gekommen sind. Wie wäre es nun, wenn das Finanzministerium dem Hohen Haus einen Überblick über die Summe des seit 1945 dem Staat entzogenen Vermögens bieten würde, selbstverständlich zu Preisen von 1961? Wahrscheinlich käme man an eine Milliarde heran, wenn nicht darüber hinaus. Erst die Totale des Raubes an Volksvermögen läßt ermessen, daß man den Dingen nicht weiter ihren Lauf lassen darf.

Die Position des Rechnungshofes ist scheinbar eine sehr starke, untersteht er doch keinem der Ressorts, deren Dienststellen und zugehörige Unternehmungen er prüft, sondern lediglich dem Nationalrat. Da aber der Nationalrat faktisch die Ressortchefs bestellt, ist die Unabhängigkeit nur eine scheinbare.

Der Rechnungshof kann nur kontrollieren und Wahrnehmungen mitteilen. Mehr nicht. Aber auch der Nationalrat kann nicht mehr tun, als darüber bestimmen, ob der jeweilige Bericht des Rechnungshofes in Ordnung ist oder nicht.

Sind die Beamten des Rechnungshofes aus dem Haus, herrschen in den Betrieben der Gemeinwirtschaft wieder die vordem gerügten Funktionäre, und manche „herrschen” tatsächlich wie süditalienische Fürsten. Obwohl oft wie Condottiere operierend, tragen sie aber so gut wie kein Risiko: Sind sie vom medizinischen Standpunkt aus gesehen bereits ungeeignet, gehen sie in den wohlverdienten Ruhestand, haben sie der Konkurrenz genützt, werden sie abengagiert.

Zu allem aber kommt, daß nicht unerhebliche Bereiche des öffentlichen Eigentums der Kontrolle des Rechnungshofes entzogen sind, was aber keineswegs sagt, daß sie betrieblich jene perfekte Ordnung haben, die jede Kontrolle des Rechnungshofes als eine Zumutung erscheinen läßt.

Jenseits von Parteiinteressen und dem Dschungel der jeder wirksamen Kontrolle entzogenen Region der Bewirtschaftung öffentlichen Eigentums scheint es nun geboten, sich Gedanken über eine Neuordnung der Kontrolltätigkeit des Rechnungshofes zu machen:

1. Der Umfang der Kontrollbefugnisse des Rechnungshofes muß derart erweitert werden, daß kein Groschen staatlichen Geldes, der irgendwo erwerbswirtschaftlich eingesetzt wurde, der Kontrolle entzogen werden kann. Freilich müßten dann, da auch private Interessen mitkontrolliert würden, bei den gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen besondere Prü- fungs- und Publikationsbestimmungen erlassen werden. Jedenfalls geht es nicht an, daß es Unternehmungen gibt, die faktisch zur Gänze oder mit Teilen im Eigentum des Staates sind, aber im Bewußtsein wirtschaften können, keinen „Herrn” über sich zu haben. Man kann nicht gut die eine Hälfte staatlichen Eigentums kontrollieren und die andere Hälfte dem Prüfungsproporz entziehen.

2. Der Rechnungshof darf nicht in der bisherigen formellen Abhängigkeit vom Nationalrat gelassen werden. Da und dort gibt es bereits Vorschlägt, dem Rechnungshof einen Rang bzw. einen Grad der Unabhängigkeit zu geben, der den beiden obersten Gerichtshöfen unseres Landes nahekommt.

Das bedeutet: Die Wahrnehmungen des Rechnungshofes müßten in einzelnen gewichtigen Fällen daraufhin gleichsam „exekutiert” werden, daß

• Anzeigen vom Rechnungshof selbst erstattet werden (an den Staatsanwalt oder an die vorgesetzte Disziplinarbehörde) und

• die Abstellung der Unzukömmlichkeiten vom Rechnungshof nachgeprüft und, wenn notwendig, förmlich a n g e o r d- n e t wird.

Wie die Situation sich augenblicklich darbietet, herrscht im Bereich der Verwaltung des öffentlichen Eigentums eine besondere Art Klassenkampf, die man sonst den Staaten des kommunistischen Ostens vorhält Die Großen werden bei Vergehen mit respektablen Abfertigungen versehen, wenn sie nicht eine hohe Pension bekommen (die zum Beispiel weder einem Staatsoberhaupt noch einem Minister zusteht), die Kleinen werden dagegen entlassen und oft auch sozial diffamiert, weil man sich nicht scheut, ihre Namen der Öffentlichkeit preiszugeben. Es mutet nun sehr merkwürdig an, daß der Führer jener politischen Gruppe, die einst heroisch gegen einen Klassenkampf von oben Widerstand geleistet hat, heute den Klassenkämpf von oben praktisch verteidigt und so das Prestige seiner Partei, deren Name mit der Wiedergeburt unseres Landes untrennbar verbunden ist, gefährdet. Nicht die Tatsache, daß ein Skandal mit dem Namen einer Partei verbunden ist, muß bedenklich stimmen, schon gar nicht, wenn es sich um eine Massenpartei handelt, in deren Bereich einzelne Unzukömmlichkeiten unvermeidbar sind. Bedenklich ist es lediglich, wenn eine Partei Skandale, in welche ein ihr Angehöriger verwickelt ist, nicht abstellt, sondern verniedlicht.

Das oben Gesagte gibt Anlaß zu erwägen, dem Rechnungshof aus dem Stab seiner Beamten ein oberstes Gremium zu geben, das die Funktion von Richtern in Sachen der Führung und Verwaltung des öffentlichen Eigentums hat.

Vorläufig gilt: Wo kein Richter, da kein Kläger! Nach Genehmigung durch den Nationalrat haben die Einschauberichte des Rechnungshofes bestenfalls archivarischen Charakter und könnten der Schullektüre dienen. Es darf nicht sein, daß der Nationalrat gezwungen ist, Richter in eigener Sache zu sein, während seine Mitglieder nach Farbe und Kenntnis sich einzelner Teile des Berichtes annehmen, jedoch keine Möglichkeit haben, das Übel, das in der unzureichenden Position des Rechnungshofes seine Wurzel hat. als ein Ganzes zu beheben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung