Rasante Preisanstiege

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Die Inflation verschärft die Situation von armen Menschen in Österreich. Schuldnerberatungen, Tafeln und Sozialmärkte boomen.

Markus Marterbauer, WIFO-Ökonom, vor einigen Wochen gefragt, ob die Inflation das aktuelle Schreckgespenst der Wirtschaft sei, verneinte und verwies darauf, dass die gesamtwirtschaftliche Preisstabilität nicht in Gefahr sei. Dies stimme auch heute noch, meinte er im Furche-Gespräch: Das viel größere Problem für die heimische Wirtschaft sei der bevorstehende Konjunktureinbruch und vor allem das soziale Problem, dass die unteren Einkommensschichten derzeit massive Realeinkommensverluste verkraften müssen. Diese Personen werden von den eklatanten Preissteigerungen in den Bereichen Nahrungsmittel, Wohnen/Energie besonders hart getroffen.

Steigen die Zinsen?

Das steigende Preisniveau macht eine Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juli immer wahrscheinlicher. EZB-Chef Jean-Claude Trichet hatte diese Anfang Juni angedacht und EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark bekräftigte vergangene Woche die Bereitschaft der Notenbank zu einer Straffung der Geldpolitik. Die EZB steckt in einem Dilemma, sagt Marterbauer. Die steigenden Preise verlangen eine Leitzinserhöhung durch die EZB, um die Inflation abzuschwächen. Das würde aber den drohenden Konjunkturabschwung nur noch weiter verstärken, wenn sich der Zinssatz, zu dem sich die Banken von der Zentralbank Geld ausleihen dürfen, erhöht. Seit rund einem Jahr liegt der Leitzins bei 4,0 Prozent.

Marterbauer ortet bei der Regierung Problembewusstsein anhand des Beispiels der Arbeitslosenversicherung: Ab 1. Juli entfallen die Dienstnehmerbeiträge bei Einkommen bis 1100 Euro. Derartige Maßnahmen gehören verstärkt umgesetzt, um jenen gezielt zu helfen, die von den gestiegenen Preisen am meisten betroffen sind, so Marterbauer. Er könne sich auch eine Erhöhung des Arbeitslosentgeldes und der Sozialhilfe vorstellen, wenn diese mit Anreizen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verbunden sind.

Ob nicht auch der zu geringe Wettbewerb zu dieser hohen Inflationsrate (3,7 Prozent im Mai 2008 im Vergleich zu 2,0 Prozent im Mai 2007) geführt hat, möchte WIFO-Ökonom Josef Baumgartner nicht bestätigen. Zu einem gewissen Teil lasse sich die Inflation wohl darauf zurückführen, exakte Belege dafür gäbe es aber nicht, dafür fehlen die Informationen von Seiten der Unternehmen. Was aber ohne Zweifel stimme, ist, dass es in Österreich im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels und im Bereich der Mineralölraffinerie und des Treibstoffvertriebs sehr hohe Marktkonzentrationen gibt.

Hohe Marktkonzentration

Dies sei aber nichts Neues: Den Großen wie Rewe, Spar, Hofer oder OMV könne daher nicht so einfach der Schwarze Peter zugeschoben werden. Bei der Bundeswettbewerbsbehörde gibt man sich noch zugeknöpfter, denn es tagt derzeit noch ein eigens eingerichteter Beirat zum Thema Wettbewerb und Inflation, der unter der Leitung von Klaus Wejwoda im Juli seine Ergebnisse präsentieren wird.

Klare Worte findet Alexander Maly, Chef der Wiener Schuldnerberatung, die 2007 eine Verdopplung der Hilfesuchenden verbuchte. Allein im vergangenen Jahr kamen 7000 neue Klienten dazu. Für heuer schätzt Maly, dass sich die Neuanmeldungen bei plus 10-15 Prozent einpendeln werden.

Die Anzahl der Menschen, die nur eine geringfügige Beschäftigung haben (Rekordwert im Mai mit 280.377), eine Mindestpension erhalten oder studieren, aber von ihren Eltern nicht unterstützt werden, steigt. Diesen Trend bestätigen einhellig Vertreter von sozialen Einrichtungen und Initiativen, die diesen Menschen helfen, besser über die Runden zu kommen. Die Vinzenzgemeinschaft wird Ende des Sommers neben dem Vinzimarkt in Graz einen weiteren Sozialmarkt in Wien betreiben. In einem derartigen Supermarkt können mit einem wöchentlichen Einkaufslimit Menschen einkaufen, die unter einer bestimmten Einkommensgrenze liegen. Die Waren - meist Ausschussware - kommen von Supermärkten und Lebensmittelproduzenten und eignen sich noch einwandfrei für den Verzehr. In Wien gibt es derzeit einen Sozialmarkt (10. Bezirk) - österreichweit 22.

Unsichtbare Armut

Michael Bachler, Koordinator der Vinzenzgemeinschaft, beschreibt die Kunden des Vinzimarktes so: "Es sind Menschen, die von Armut betroffen sind, aber nicht die klassischen Wege beschreiten, um Hilfe zu bekommen." Es sei möglich, dass Mindestrentner mit dem alten BMW vorfahren, die Gattin noch einen Pelzmantel von früher habe, aber am Abend nicht wisse, was sie kochen solle. Weil das Einkommen hinten und vorne nicht reiche. Und von Urlaub oder Kino sei sowieso nicht mehr die Rede. Die Grazer Sozialstadträtin Elke Edlinger (SPÖ) schätzt, dass der Vinzimarkt in Graz 28.000 potenzielle Kunden hat. Das ist fast jeder zehnte Grazer.

Auch die "Tafeln" schießen aus dem Boden. Zuletzt formierte sich in Bruck an der Leitha eine Initiative nach Vorbild der Pannonischen und der Wiener Tafel, die vor allem Lebensmittel vom Einzelhandel und Produzenten zu Hilfsbedürftigen in Sozialeinrichtungen bringen. Die Wiener Tafel ist ein Wohltätigkeitsverein, der täglich 2,5 Tonnen Waren an zirka 6500 Personen in 65 Einrichtungen verteilt.

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