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Säkularisierung

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Was ist eine „Privatkrankenanstalt“? Es ist leider üblich geworden, als „Privatkrankenanstalten“ nicht nur solche zu bezeichnen, die wie Privatsanatorien als Erwerbsunternehmungen nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden, sondern auch die karitativen Krankenanstalten der Krankenpflegeorden, die alles andere sind als privatwirtschaftliche Unternehmungen, sondern ausgesprochen gemeinnützigen Charakter tragen. Sie dienen in erster Linie dem öffentlichen Wohl: ihr leitender Gedanke ist der des b o n u m c o m u n e, nicht der des b, o n u m privatum, wie bei jenen Anstalten, die man korrekterweise ausschließlich als „Privatkrankenanstalten“ bezeichnen dürfte. Sie dienen um so mehr der Volksgesundheit, als die „öffentlichen“, das heißt die von den Gemeinden, den Ländern und dem Staat erhaltenen Krankenanstalten für sich allein niemals ausreichen- würden, um die Bevölkerung der Großstädte und Länder gesundheitlich ausreichend zu versorgen; ganz besonders in unserer Zeit, da der Mangel an Krankenbetten in Großstädten und auf dem Lande ein chronisches Uebel geworden ist, das sich bei steigendem Bedarf immer mehr vergrößert. Dieser Umstand allein würde die Pflicht der öffentlichen Hand begründen, durch großzügig gewährte Subventionen den Bestand der karitativen Krankenanstalten zu sichern und zu fördern. Statt dessen müssen wir leider die Tendenz konstatieren, die karitativen Krankenanstalten allmählich zum Absterben zu bringen. Sie verbindet sich — kaum zufällig — mit der Tendenz, die geistliche Krankenpflege nach und nach durch die weltliche zu verdrängen, zu „säkularisieren“.

Hier drängt sich der' Vergleich auf mit dem in manchen Ländern systematisch geführten Kampf gegen die sogenannten „Privatschulen“ der geistlichen Schulorden. Auch hier scheint die irreführende Bezeichnung als „Privat-“Schulen nicht ganz ohne weitplanende Absicht .gewählt. Sie erweckt beim modernen Menschen sofort die Gedankenverbindung: Das Schulwesen ist und bleibt eine Angelegenheit de öffentlichen Interesses und kann daher niemal privater Initiative überlassen bleibin. Wohl können auch Schul aui privatem Interesse merkantil betrieben werden. Selbstverständlich ist dies unerwünscht, zumal dabei unkontrollierbare Mißstände unvermeidlich sind Wir haben solche auch bei einzelnen Privatsanatorien erlebt, die als Luxuspflegestätten für die

Reichen betrieben wurden. Denkt der moderne Mensch weiter, so erinnert er sich an den grundlegenden Unterschied zwischen Privatrecht und öffentlichen Recht; vielleicht denkt er aber auch über die Unentbehrlichkeit der Privatwirtschaft gegenüber der Kollektivwirtschaft nach. Jedenfalls aber gilt als feststehende Tatsache, daß das öffentliche Recht vor dem: Privatrecht den Vorrang genießt („Gemeinnutz geht vor Eigennutz“).

Unter dem Druck des Schlagwortes wird nicht mehr weiter darnach gefragt, ob die Anwendung dieser Begriffe auf die karitativen Krankenanstalten überhaupt zulässig ist, vor allem, ob es sich hier wirklich nur um „private“ Anstalten handelt.

Es ist aus dem Denken unserer Zeit völlig verschwunden, was dem Mittelalter noch selbstverständlich war: daß Kirche und Staat beide gleichermaßen je eine societas perfecta darstellten, die beide einander zu ergänzen hatten. Demgemäß waren auch die Einrichtungen der Kirche Institutionen des öffentlichen Rechtes. Die Caritas, die kirchliche Wohlfahrtspflege, zur „privaten“ Wohlfahrtspflege zu degradieren und völlig der staatlichen Wohl-fahrts-Zwangsorganisation unterzuordnen, war erst dem totalen Staat der jüngsten Vergangenheit vorbehalten. Dieser Staat ist zwar zusammengebrochen, aber seine kollektiven Totalitätsansprüche, die Idee des „t o t a 1 e n W o'h 1-fahrtsstaates“ lebt noch fort und droht alles zu verschlingen, was zum Schutze der Freiheit und der Persönlichkeit sich ihr entgegenstellt. ,

Wenn man sich die ungeheuren Leistungen der Ordenskrankenhäuser vergegenwärtigt, die aus unserer öffentlichen Gesundheitspflege einfach nicht wegzudenken sind, so erscheint es geradezu unverständlich, daß durch manche der gegenwärtig geltenden Bestimmungen diese Krankenanstalten direkt oder indirekt zum Absterben verurteilt sind. Dies liegt vor allem daran, daß es ihnen unmöglich gemacht wird, ärztlichen Nachwuchs zur Ausbildung zu erhalten. Die gegenwärtigen Bestimmungen über den Turnus zur Ausbildung der praktischen Aerzte wie über die Fachausbildung der Fachärzte machen es de facto unmöglich, die Aerztestellen an karitativen Krankenanstalten zu besetzen. Den Aerzten wird die an diesen Anstalten geleistete Dienstzeit weder auf den vorgeschriebenen Turnus noch auf die Fachausbildung angerechnet. Die hieraus drohende Gefahr ließ sich so lange verschleiern, als sich noch die Ueberfüllung der letzten Jahrgänge auswirkte; da fanden sich immer noch genug Jungärzte, die froh waren, wenn sie als „Gastärzte“ (diese unmögliche Bezeichnung sollte endlich verschwinden!) mit einem bescheidenen Stipendium an! einem Ordenskrankenhause arbeiten durften. Jetzt aber hat sich die Situation grundlegend geändert, die latente Gefahr ist manifest geworden. D i e Ordenskrankenhäuser haben derzeit kaum Aussicht, die Arztstellen zu besetzen.

Auch hier sei eine Parallele zum Schulwesen gestattet. Im allgemeinen weiß die Oeffentlich-keit recht gut, was ihr die „Privatschulen“, speziell der geistlichen Orden bedeuten. Hier wird mit Subventionen nicht gespart, weil jede Ordensschule dem Staat und den Gemeiaden ungeheure Lasten abnimmt, die sich in Geldeswert überhaupt nicht berechnen lassen. Man braucht nicht einmal gleich an so berühmte Lehranstalten zu denken, wie etwa das Schottengymnasium in Wien, die Gymnasien in Kalksburg und an der „Stella matutina“: würden sie wegfallen, so wüßte der Staat nichts auch nur annähernd Gleichwertiges an ihre Stelle zu setzen. Nun vergegenwärtige man sich die Situation, wenn den jungen Lehrkräften die an solchen Anstalten verbrachte Dienstzeit nicht angerechnet würde: Es wäre der sicherste Weg, diese Anstalten zum Erliegen zu bringen.

Zurück zur Ausbildung der Aerzte: Die Behauptung, daß nur die öffentlichen Krankenanstalten eine wirklich vollwertige Ausbildung gewährleisten, ist nur insoweit begründet, als die Bezeichnung „Privatkrankenanstalten“ nur dort angewendet wird, wo sie allein berechtigt ist, also gegenüber den reinen Privatsanatorien. Die Leistungsfähigkeit der geistigen Krankenanstalten als Stätten klinischer Ausbildune hält jeden Vergleich aus, zumindest mit den öffentlichen Landes- und Bezirkskrankenhäusern. Viele davon sind manchen großen öffentlichen Krankenanstalten nicht nur ebenbürtig, sondern vielfach überlegen. Große geistliche Krankenhäuser verfügen über erstklassig eingerichtete Fachabteilungen. Das Caritas-Krankenhaus in Köln-Hohenlind ist eines der. größten Krankenhäuser von ganz Westdeutschland. Es ist nicht vorstellbar, daß die dort geleistete Dienstzeit nicht auf die Ausbildungszeit angerechnet würde. Aber auch kleinere Ordenskrankenhäuser stellen in ihrer Art einzigartige Stätten der Krankenpflege dar mit ihrer für die psychosomatische Behandlung so unvergleichlichen Atmosphäre. Mitunter ergeben sich geradezu paradoxe Situationen. Es gibt zum Beispiel „Privatkrankenanstalten“ mit öffentlich anerkannten Krankenpflegeschulen. Ihr Diplom wird überall hochgeschätzt. Für die Ausbildung der Aerzte aber ist die Dienstzeit nicht anrechenbar — der gleichen Aerzte, die auch an den Krankenpflegeschulen Unterricht erteilen.

Es ist ein SOS-Ruf, der hier an die Oeffent-lichkeit zur Erhaltung der wichtigen und unentbehrlichen Ordenskrankenhäuser und der so leistungsfähigen geistlichen Krankenpflege gerichtet wird. Wenn diese Stätten zum Absterben verurteilt wären, so würde man dann mit Schrek-ken sehen, welche unersetzlichen Werte man zerstört hat. — Will man das nicht, dann ist es schon im Interesse pflichtbewußter Sozialhygiene nicht zu verantworten, daß nach den geltenden Bestimmungen die Ausbildung der Aerzte nur jenen Anstalten vorbehalten bleibt, die man als „öffentliche“ bezeichnet. Solange die irreführende Bezeichnung als „Privatkrankenanstalten“ auch auf die karitativen Krankenanstalten ausgedehnt wird, werden diese keine Möglichkeit haben, ärztlichen Nachwuchs zu erhalten — solange eben daraus die Konsequenz gezogen wird, daß die Dienstzeit an Ordenskrankenanstalten auf die gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungszeit nicht anrechenbar ist.

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