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„Nur in Wien möglich..

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Man ist heute gerne bei der Hand mit der Feststellung „erstmalig“. Auch Österreichs Funktion als „Drehscheibe“ wird öfter angesprochen, als es ihr guttut und berechtigt wäre. Und doch sei es gestattet, beide Schlagworte für zwei Ereignisse als gültig einzusetzen, die sich in den vergangenen Wochen in Wien abgespielt haben, zwei Tagungen mit rein zufällig zeitlicher Kohärenz, mit völlig verschiedenem Teilnehmerkreis, aber verwandter Themenstellung — hier wie dort ging es um die Bewältigung der Bildungsprobleme.

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Man ist heute gerne bei der Hand mit der Feststellung „erstmalig“. Auch Österreichs Funktion als „Drehscheibe“ wird öfter angesprochen, als es ihr guttut und berechtigt wäre. Und doch sei es gestattet, beide Schlagworte für zwei Ereignisse als gültig einzusetzen, die sich in den vergangenen Wochen in Wien abgespielt haben, zwei Tagungen mit rein zufällig zeitlicher Kohärenz, mit völlig verschiedenem Teilnehmerkreis, aber verwandter Themenstellung — hier wie dort ging es um die Bewältigung der Bildungsprobleme.

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Zuerst waren es 40 Journalisten von Zeitungen, Rundfunkstationen, Agenturen und Pressestellen aus neun Ländern, die sich auf Einladung der österreichischen UNESCO-Kommission und des Unterrichtsministeriums mit 30 Kollegen aus Österreich drei Tage lang zusammensetzten, um einander über die verschiedenen Bildungssysteme und -reformen der beteiligten Länder zu informieren. Dann tauschten 70 Rektoren und Funktionäre von Universitäten aus 22 Ländern ihre Erfahrungen aus, wie man am besten die „Studentenlawine“ in geordnete Bahnen lenken könne. Im Hotel de France bei den Journalisten wie im Kongreßzentrum Baden bei den Rektoren war das für alle Beteiligten prickelnd Neue, daß zum erstenmal Ost und West freundschaftlich an einem Tisch sitzen und sachlich diskutieren konnten. Mochte bei den Journalisten die zufailsbe-dingte Auswahl der westlichen Kollegen gegenüber den offiziell Delegierten der Oststaaten irritieren, bei den Rektoren die Tatsache, daß die Sprecher der Universitäten zwischen Warschau und Sofia nur Beobachterstatus besaßen — weder im Plenum noch im Einzeilgespräch am Mittagsoder Abendtisch konnten diese Unterschiede die Diskussion beeinflussen. Die Probleme der BUdungs-lawine beeindrucken alle gleich — Journalisten oder Wissenschaftler, Franzosen, Deutsche oder Polen — die Wege zur Lösung können in verschiedener Richtung gefunden werden. Mehr als einander hierüber zu informieren wollte man gar nicht. So war der Friede nie gefährdet. Die Sachfragen zogen sich fast identisch durch beide Tagungen: Kann man dem steigenden Bildungswillen der jungen Menschen, dem verfassungsmäßigen Recht auf Bildung am besten dadurch entsprechen, daß man die Bildungseinrichtungen diesem Run anpaßt — oder sollte man, schon um die übermäßigen Ausfälle zu vermindern, gewisse Lenkungsmaßnahmen ergreifen? Extrem gesprochen: deutscher Bildungsplan mit dem Ziel einer Verdoppelung der Kapazitäten und der grundsätzlichen Absage an den Numerus clausus — oder strenge Reglementierung im Osten im engen Rahmen der Volkswirtschaftspläne? Wo gibt es den Mittelweg? Österreich konnte einiges hierzu vorweisen: Sein Allgemeines Hochschulstudiengesetz hatte schon 1966 unterschieden zwischen den berufsbezogenen und den wis-senschaftsbezogenen Studien an der Universität, es hatte wenigstens grundsätzlich — in einigen Fällen auch praktisch — Kurzstudien vorgesehen. Und hier hatte man sehr rasch auch die Empfehlungen der UNESCO - Unterrichtsministerkonferenz von 1967 verwirklicht, die eine verstärkte Schullaufbahn- und Studienberatung gefordert hatte. Der Rektor von Bukarest erinnerte daran.

Sicherlich aber, und darin waren sich wieder alle einig, wird man diese Probleme nicht ohne eine breite, systematische, sachkundige Informierung breitester Bevölkerungskreise bewältigen können. Auch da hat Österreich etwas vorzuweisen, was es in dieser Form woanders nicht gibt: Der „Informationsdienst für Bildungspolitik und Forschung“ hat sich seit fünf Jahren diese Aufgabe gesetzt und auch schon so manchen Erfolg erzielen können.

Die Journalisten fuhren dann drei Tage durch die Bundesländer, um sich Österreichs jüngste Hochschulen — Klagenfurt, Salzburg, Linz — erklären zu lassen; die Rektoren zeigten sich an der TH Wien beeindruckt von den Möglichkeiten, die Hochschuiverwaltung computermäßig zu rationalisieren. Ob mit dem Konzept der Selbstschöpfung einer Universität, wie es in Klagenfurt demonstriert wurde, ob mit der Idee, in Linz mit einer „Business School“ für Führungskräfte der Wirtschaft ein deutschsprachiges Pendant zu Fontainebleau zu schaffen, ob mit der elektronischen Speicherung von Inskriptions- und • Prüfungsdaten — auch hier konnte das kleine Österreich zeigen, daß es sich hinter den anderen, Größeren nicht zu verstecken braucht.

Das Ende beim Heurigen für die einen, beim Diner im Sacher für die anderen, jeweils von den zuständigen Ministern eingeladen, bot für alle die harmonische gesellschaftliche Abrundung — die letzten inneren Barrieren waren schon lange vorher gefallen. Was beeindruckte mehr — die Fahrt über die spätherbstlichen Tauern, der Empfang in der Salzburger Residenz, die Heuri-genseligkeit in Salmannsdorf oder das Gespräch mit dem Nachbarn, der noch kurz vorher in der Diskussion hart erwidert hatte? Die Organisatoren sorgten dafür, daß die sich naturgemäß bildenden Gruppen wieder aufgebrochen, daß Ost und West „durchgemischt“ wurden, und so mochte es für den Professor aus Preßburg, der erst zum zweiten Teil der Rektorentagung zurechtgekommen war, ebenso ein Erlebnis gewesen sein, mit dem englischen Präsidenten der Gemeinschaft höchster Universitätsfunktionäre zu sprechen, wie für die Journalisten aus Bonn und Frankfurt, die zum erstenmal mit dem Kollegen des ostdeutschen ADN diskutieren konnten. ( • Das war nur in Wien möglich, meinten Wissenschaftler und Informationsspezialisten übereinstimmend — und wenn nun bei der Journalistik der Ball von den Ungarn aufgefangen und weitergespielt wird, wenn auch die Rektoren aus den Badener Tagen ihre Anregungen für weitere Kontakte ziehen, dann hat sich die „Drehscheibe Wien“ doch wieder einmal bewährt — nicht zum ersten-und sicherlich nicht zum letztenmal. Die konkreten Ergebnisse werden sich zeigen.

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