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Unterricht und Erziehung

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Wenn man sich all diese Veranstaltungen näher ansieht, findet man, daß es sich insgesamt um richtige und nötige erzieherische Aufgaben handelt, an deren Erfüllung der Gesellschaft heute so viel gelegen ist, daß sie sie — da das Elternhaus heute keine Gewähr mehr dafür bietet — durch die Schule durchführen läßt. (Man mag seine skeptischen Gedanken hinsichtlich der Wirksamkeit der Erfüllung einer erzieherischen Aufgabe haben, wenn jene auf einen einzigen Tag oder — wie bei der alkoholfreien Erziehung — auf eine Woche verlegt wird, muß aber wahrscheinlich dabei den Standpunkt der Gesellschaft: „besser als überhaupt nicht”, akzeptieren.) imäit siiiow ili M

Gerade hierbei stellt sich aber auch heraus, daß eben in Wirklichkeit heute nicht mehr nur „das eigentliche Ziel der Schule, durch Unterweisung Bildung” zu vermitteln ist, sondern eben viel mehr: nämlich Erziehung.

Ob wir es wollen oder nicht — zumeist hat man sich sowieso bereits damit abgefunden —, haben die gesellschaftliche Entwicklung und mit ihr die Frauenarbeit es mit sich gebracht, daß die Schule heute das gegebene vordringliche Lebensmilieu unserer Kinder geworden ist und deshalb nicht mehr Lehrschule, sondern Erziehungsund Gemeinschaftsschule sein müßte. Das gilt bereits auch für die Grundschule, da der Hort in Wirklichkeit nur eine unzureichende Verlegenheitslösung ist, eine Art Ablagestelle anstatt einer vollen ungebrochenen Klassengemeinschaft. Durch die Verlegung von gut 50 Prozent der von den Mittelschülern zu leistenden Arbeit in die Hausaufgaben werden die Kinder nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ sehr oft überfordert. Manche der Aufgaben können nicht ohne elterliche Hilfe gelöst werden, wodurch — sehr viele Eltern kommen erst am Spätnachmittag nach Hause — just jene Zeit verlorengeht oder erneut durch Arbeit ausgefüllt wird, die dem eigentlichen, intimeren Kontakt mit der Familie, der gemeinsamen Entspannung, dem Gespräch und so weiter zu dienen hätte. Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Mittelschüler heute Nachhilfeunterricht „genießen”, sicherlich aber war ihre Zahl nie so groß wie jetzt, und es handelt sich hierbei sehr oft durchaus nicht um an sich schwache Schüler, sondern tim ein unzureichendes Zusammengehen von Unterricht und Erziehung, klarer ausgedrückt: um einen nicht genug erzieherischen Unterricht. Hängt doch das Problem der zu starken Ablenkung durch das „äußere Leben” eben vor allem damit zusammen, daß es nicht genug an innerem, nämlich an Gemeinschaftsleben für die Kinder — einerseits nicht zu Hause und anderseits auch nicht in der Schule — gibt. Wie die Dinge heute liegen, ist es immer noch leichter, die 7626 österreichischen Schulen als Tagesschulen und die in ihnen bestehenden 36.458 Schulklassen als echte Gemeinschaften zu adaptieren als in rund eineinhalb Millionen Familien das Rad einer sozialen Entwicklung zurückzudrehen. In dem gewiß nicht auf eine Kommunalisierung der Kinder eingestellten England ist es schon längst eine Selbstverständlichkeit geworden, daß die Schulkinder drei Viertel ihres

Tages in der Schule verbringen.

Nicht nur vom Standpunkt der Schüler, sondern auch von der Schule und der Gesellschaft her ist die Tagesund Gemeinschaftsschule heute eine Notwendigkeit. Wir erstreben stärkeren nationalen Zusammenhalt — hier könnten bessere Grundlagen als bisher dafür gelegt werden. Die Schule stellt den primären Rahmen einer Jugendgemeinschaft dar, die weltanschaulichen Organisationen erst einen — wenn überhaupt noch in dieser Zeit — sekundären. In einer zerspaltenen, aber nach einem neuen Weltbild, nach neuen geistigen Synthesen strebenden Welt, böte sich uns hier die Möglichkeit, eben mit den Kindern geistige Grundlagen aufzubauen und zu erneuern, an einem Orte, wo heute mehr denn je natürliche Ganzheit erreichbar ist.

Wegen der Dringlichkeit und Bedeutung der hier behandelten Themen konnte die Problematik anderer Gebiete unserer Unterrichtsverwaltung, zum Beispiel die der Kunstförderung und der Bundestheater, in diesem Artikel nicht berührt werden. Das soll in einem weiteren Aufsatz nachgeholt werden.

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