7096904-1994_48_15.jpg
Digital In Arbeit

Was ist unserer Gesellschaft der Lehrer wert?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Industriellenvereinigung als Gastgeber der Jahrestagung der Christlichen Lehrerschaft Wien zum Thema „Was bin ich wert“ war in den letzten Jahren immer stärker um einen Dialog mit der Lehrerschaft bemüht, „Lehrer sind der Wirtschaft etwas wert“, hieß es schon bei der Begrüßung, wenn auch dieses Wert-sein dann in der Diskussion verschiedene Facetten annahm je nach dem Standort, von welchem aus es beleuchtet wurde.

Aber „Wege entstehen, indem man sie geht , stellte Gerhard Riemer, Leiter der Bildungsabteilung in der Industriellenvereinigung dieses Kafka-Zitat denn auch gleich an den Beginn der Veranstaltung.

Nach einem meditativen Einstieg durch den Chefredakteur der Wiener Lehrerzeitung, Andreas Fischer, diskutierten unter der Leitung von Erich Witzmann, Bildungsjournalist der Tageszeitung „Die Presse“, Helmuth Fehrer, Sektionschef im Rechnungshof, Alfred Pritz, Präsident des Verbandes Österreichischer Psycho therapeuten und Gerhard Riemer über den Wert des Lehrers - unter sich und anschließend im Plenum.

Während Fehrer als Vertreter der Kritik daran übte, daß die geforderte durchschnittliche Schülerzahl von 30 pro Klasse noch immer weit darunter liege, zeigte er andererseits Verständnis für berufsbegleitende Maßnahmen gegen das „Burn-out-Syn- drom“ der Lehrer. Dieses und der Trend, immer früher krankheitshalber in den Ruhestand zu treten, verursache ebenfalls hohe Kosten.

„Daß die Schule ins Gerede gekommen ist“, empfindet Gerhard Riemer eher als Vorteil. Das Unbehagen der Lehrerschaft angesichts des allgemeinen Wertewandels, der Veränderungen in Familie und Arbeitswelt sowie die multimediale Revolution müssen zur Kenntnis genommen werden. Die Industriellenvereinigung schlägt daher eine Verbesserung der Rahmenbedingungen bezüglich Ausbildung, Qualifikation und Gehalt vor. Die Lehrer müßten mehr motiviert und Einflüsse, die von außen an die Schule herankommen, zurückgedrängt werden.

„Lehrer sehen sich selbst wesent lich negativer als die Umwelt sie sieht“, ist Alfred Pritz überzeugt. Gegen den Leistungsdruck, der als unsichtbares Netz über unserer Gesellschaft hängt und eine enorme Belastung für die Schule ist, möchte er Supervision und ähnliche psychotherapeutische Maßnahmen setzen.

In der Plenumsdiskussion gab es einhellige Kritik an der Darstellung des Lehrers als Feindbild in den Medien, auch wenn es Journalisten gibt, die gegen dieses Negativ-Image ankämpfen. Erich Witzmann konnte letztlich nicht widersprechen, „Öffentlichkeitsarbeit täte hier not“, meinte er.

WERT NICHT MEBBAR

„Doch wo sollen wir unser Selbstwertgefühl hemehmen, wenn uns die Gesellschaft, die uns die Macht über ihre Kinder übertragen hat, im Stich läßt?“, hört man aus dem Plenum der Lehrer. „Wenn wir mit Schulversuchen arbeiten, dann unsere Verbesserungsvorschläge einbringen und nie gehört werden?“ Den Wert des Lehrers könne man überhaupt nicht messen. Ein pädagogi scher Vorgang sei eine ungeheure Bereicherung und vollziehe sich von Seele zu Seele. „Man möge uns doch endlich in Ruhe arbeiten lassen“, war denn ein oft gehörter Stoßseufzer, der ebenso große Zustimmung fand wie die Forderung nach Schutz vor politischer Einflußnahme.

Die ÖVP-Politikerin Gertrude Brinek brachte es schließlich auf den Punkt: „Der Lehrer soll Verwaltungsbeamter, Politik-Ausführender, pädagogisch autonom und Partner von Eltern und Schülern sein. All diesen Ansprüchen zugleich kann niemand gerecht werden. Der Lehrer soll für alles stehen, was heute unmodern ist: Ehrlichkeit, sich anstrengen, arbeiten, diszipliniert-sein und Liebe zur Sache haben. Aber was ist heute ,in‘? Lavieren, Schlitzohrigkeit und beiläufiges Arbeiten ohne Interesse für das Resultat, sondern nur für das Geld, das man dafür bekommt. - Aber wenn es auch schwierig ist, sich seines Wertes bewußt zu werden, müssen wir dennoch unser Berufsbild selbst definieren. Die Antwort auf die Frage, was der Lehrer wert ist, dürfen wir keinesfalls anderen überlassen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung