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Gegen die Volksbefragung

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Wenn in einer gut ausgestatteten und geschickt verfaßten Broschüre der Landesregierung Vorarlbergs von 1969 die Unterflurtrasse als die beste Lösung hingestellt wird, so ist es doch ein offenes Geheimnis, daß von Planern schwerwiegende Gegenargumente vorgebracht werden. Aber auch die Bevölkerung von Bregenz scheint über den Kompromiß Seetrasse—Unterflurlösung mit der Bezeichnung A4-Trasse nicht glücklich zu sein. Da vor rund zehn Jahren eine Volksbefragung stattfand, bei der 92 Prozent der Bevölkerung gegen die Seetrasse stimmten, fühlt sich der Bürger von Bregenz durch die A 4, die lediglich eine Variante der Seetrasse darstellt, politisch „überfahren“.

Führende Bauingenieure von Vorarlberg hatten schon vor Jahren nachgewiesen, daß die Freimachung des ganzen Ufers vor der Stadt durch eine Tunnel lösung möglich wäre — diese und andere Tunnelprojekte hatten den Nachteil einer abseitigen Bahnhofslage. Auch das „Riedmann-Projekt“ war kein überzeugender Gegenvorschlag. Einen Tunnelvorschlag von Prof. Hoffmann, Graz, in dem Bahnhofs- und Anschlußfrage besser gelöst waren, verschwieg die Landesregierung, obgleich bereits Details dieser Planung zur Zeit der Drucklegung der Broschüre vorlagen. Interessant ist, daß einer der Mitverfasser der Unterflurtrasse — Profes-

sor Dr. techn. Zierl — die Nachteile der Kompromißlösung zugibt und die eisenbahntechnische Beratung der Tunnellösung des Projekts von Professor Hoffmann übernommen hat, (Tunneltechnische Beratung Professor Dr. Veder.) Ebenso bezeichnend ist, daß der engste Mitarbeiter des Verfassers der Seetrasse nach seiner Pensionierung an dem Gegenprojekt einer Tunnellösung arbeitet. Die mit der Stadtplanung von Bregenz beauftragte Schweizer Planergruppe „Metron“ hat ebenfalls ein ablehnendes Urteil über die Unterflurtrasse A4 gefällt. Auch die ÖBB meldeten immer mehr Bedenken gegen die betriebliche Durchführung des Unterflurbahnhofs und der Kompromißlösung Seeunterflurtrasse an.

Welches sind die Nachteile, die von all diesen Gremien immer wieder betont werden?

• Die Unterflurtrasse riegelt nach wie vor die Stadt vom See ab — das unter Flur geführte Stück ist nur rund einen Kilometer lang — die Zu- und Abfahrten wirken ebenso störend als Riegel wie eine Autobahn.

• Die offene Baugrube beeinträchtigt die ganze Innenstadt — für acht bis zehn Jahre. Umfahrungen sind notwendig — erhebliche Geschäftsschädigungen dürften eintreten und Regreßforderungen bewirken, so daß die Gesamtkosten völlig unübersehbar werden.

• Das Wasserschutzgebiet wird durchfahren — ausfließendes öl gefährdet die Gesundheit der Bregenzer Bevölkerung und darüber hinaus die des gesamten Raumes Stuttgart.

• Das Verkehrsbündel von Autobahn und Eisenbahn außerhalb der Unterflur verschandelt weithin sichtbar das Ufer des Bodensees.

• Das Gelände des Klosters Meh-rerau mit dem Gymnasium wird von der Autobahn in unmittelbarer Nähe der Gebäude angeschnitten und die Ruhe dieses Klosters empfindlich gestört.

• Abfahrten unmittelbar hinter dem Festspielgelände stören die Festspielaufführungen derart, daß Aufführungen unmöglich sein dürften.

• Das Nebeneinander von Autobahn und Eisenbahn hat verkehrstechnische Nachteile (Irritierung der Verkehrsteilnehmer). Die Autobahn am Wasser ist im Winter äußerst bedenklich. Zweifellos sind auch Tunnellösungen nicht billig, aber die Schwierigkeiten sind nur technischer Art. Die Technik des Tunnelbaues hat immerhin im letzten Jahrzehnt riesige Fortschritte gemacht — ein Tunnel kann vor allem ziemlich genau kalkuliert werden.

• Die Demolierung zahlreicher Wohnhäuser, Abfindung und Umsiedlung von Einwohnern erzeugt Kosten und Unruhe in der Bevölkerung.

• Bregenz, in einem Engpaß zwischen Pfänder und Bodensee gelegen, kann sich nur nach der Seeseite hin ausdehnen — diese Möglichkeit wird ihr durch das Projekt der A 4 genommen.

Das alles sind Argumente, die von der Landesregierung vielleicht aus gewissen Prestigegründen unbeachtet bleiben — und in der Broschüre verschwiegen wurden. Schwerwiegender scheint noch das Abwerten der Volksmeinung und der Volksabstimmung, wenn in der Broschüre beklagt wird, „daß die öffentliche Meinung sich einer Frage bemächtigt, die besser Sache der Fachleute geblieben wäre“.

Wenn das von politischer Seite in einem Land geäußert wird, das eine der ältesten demokratischen Traditionen in Österreich hat, dann tauchen Zweifel darüber auf, ob das Verfahren wohl wirklich im Sinne einer demokratischen Handhabung verläuft und diese Zweifel an der Autobahnentscheidung von Bregenz hegen leider nicht nur Bürger des Landes Vorarlberg. Eine nochmalige — mit Zeitverlust verbundene — Überprüfung scheint eher tragbar als ein weiterer Verlust von Vertrauen in den demokratischen Charakter unserer Verwaltungsverfahren!

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