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Straßen und rote Spitzdächer

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Über Gebirge und Ebenen, Meeresufer und Flußläufe wurden die Straßenverbindungen von den Hauptatädten des spätrömischen Reiches Rom, Konstantinopel“ und Ahtiochia — zu den Legionslagern im Mutterland und in den Provinzen, zu den Handelszentren und Flottenstützpunkten an der Adria und im Mittelmeer, zu den Heilbädern am Meer und in den Alpenländern, auf dem Balkan und in Gallien in der kürzesten Geraden gezogen. In klassischer Einfachheit wurde die sonst monoton wirkende Aneinanderreihung der 3300 Straßenstationen durch über 500 farbige Vignetten aufgelok-kert. Legionslager werden durch zwei von roten Spitzdächern gekrönte Türme, größere Städte durch einen von Türmen bewehrten gelben Mauerring, Thermen durch quadratische gelbe Hallen um ein blaues

Schwimmbecken charakterisiert. Die undurchdringlichen Wälder an der Donau und am Rhein'Ufid dfe Gebirgszüge des Appenins und der Alpen werden v il lorlläüfenden Ketten grauer, gelber oder roter Bogen gekennzeichnet. Nur die kaiserlichen Residenzstädte, Rom, Konstantinopel und Antiochia, sind aus der Fülle der einordnenden Sigel herausgehoben und durch thronende Figuren, die entweder als Herrschergestalten oder als Tychen, personifizierte Stadtgöttinnen, gedeutet werden, versinnbildlicht.

Keine Kunde bringt die Tabula Peutingeriana über die Barbarenländer rechts des Rheins und nördlich der Donau, die nur summarisch als Land der Sueben, der Alemannen, der Markomannen, Quaden und Sarmaten eingetragen sind. Die Karte beschließt ihre Wege mit den Legionslagern am linken Ufer des Rheins: Veteribus (= Castra Vetera, Xanten) oder Agrippina (= Colonia Agrippina, Köln); von Mogontiaco (Mainz) führen sie entlang zum rätischen Limes und dessen Legionslagern, wie Regino (= Castra Regina, Regensburg) nach Boloduro (= Boio-durum, am südlichen Donauufer gegenüber von Passau). (Die Ortsnamen sind stes im Ablativ eingetragen und stellen häufig eine spätantike Verballhornung des klassischen Namens oder auch nur eine Verschreibung des Kopisten dar.)

An Blaboriaoo (= Lauriacum, Lorch) und Commagenis (= Tulln), dem norischen, und an Vindobona und Carnunto, dem pannonischen Limes, vorbei, gelangt man auf der als Obere Donaustraße bezeichneten Fernverbindung bis an das Schwarze Meer. Nichts überliefert die Tabula in diesen Abschnitten von Städten und Straßen, Dörfern und Heiligtümern jenseits der zivilisierten Welt. Denn noch um 400 nach Christi lebten die Stämme und Völker im heutigen Deutschland, in der Tschechoslowakei, in den Karpathenländern oder den russischen Steppen, von niemandem zur Kenntnis genommen, ein geschichtsloses Dasein. Erst als die germanischen, sarmati-schen und später hunnischen Scharen, von Beute- oder Abenteuerlust getrieben, an den Pforten des Imperiums erschienen, wurden sie zu Machtfaktoren, mit denen die Kaiser rechnen mußten und die die Chronisten verzeichneten.

Auf den Segmenten 3 und 4 der Tabula Peutingeriana werden die Straßenverbindungen, aber auch die größeren Städte und Stationen, die Legionslager und Kastelle der Provinzen Rätien, Noricum ripense (= Uf ernoricum) und mediterraneum (= Binnennoricum) und Pannonia, superior (= Oberpannonien) wiedergegeben. Das heutige Österreich liegt auf dem Gebiet dieser Provinze*03 Mafßomannen und Quaden werden die nördlich der deutschen und österreichischen Donaustrecke lebenden Völkerschaften genannt, Sarmaten ihre östlichen Nachbarn im jenseits der Donau liegenden Teil Ungarns.

Unter den größeren Städten Österreichs, die auf römische, vielleicht aber auch vorrömische Gründungen zurückgehen, finden wir Brigantio (Bregenz), Juvavo (Salzburg), Ovi-lia (— Ovilava, Wels) und Vindobona, aber auch die heute als besiedeltes Territorium eine geringere Rolle spielenden Stätten von Blabo-riaco (= Lauriacum, Lorch), Viruno (“ = Virinum, Zollfeld in Kärnten) oder Carnunto, einst vielleicht die mächtigste unter den aufgezählten Städten, in der sogar römische Kaiser weilten. Von Carnuntum aus leitete Marc Aurel den Krieg gegen die Markomannen, Quaden und Sarmaten, und in Carnuntum traf Dio-cletian 308 mit seinen Mitkaisern zusammen.

Von Aquileia, der nach Rom bedeutendsten Reichsfeste und Handelsstadt, ist eine nord-südliche Hauptverbindung durch das Taglia-mento-Tal (hier Tiliabinte flumen) über Ad Silanos (Karfreit) und drei Stationen, deren Namen ausgefallen oder im Lauf der Jahrhunderte verblaßt sind, Tasinemeto, Saloca — beide Orte müssen am nördlichen Ufer des Wörther Sees gesucht werden — nach Virunum angegeben. Von hier nimmt die Straße ihren weiteren Verlauf über Matucaio (Treibach-Althofen?) und das zweimal mit XIII römischen Meilen Entfernung eingetragene Noreia — der noch immer nicht wiederentdeckten Hauptstadt des norischen Königreiches —, um über zum Beispiel Gabromagi (Windischgarsten) und Tutatione (Klausen im Steyrtal) und eine Zwischenstation, Ovilia, schließlich Blaboriaco, das Standlager der zweiten italienischen Legion, zu erreichen.

Die Donauuferstraße verbindet die Legionslager und Kastelle von Boloduro, Marianino (noch nicht identifiziert), Blaboriaco, Elegio (Strengberg?), Ad Ponte Ises (Ybbs), Arelape (Pöchlarn), Namare (Melk), Trigisamo (Traismauer), Piro Torto (Zwebendorf), Comagenis, Citium (Zeisel-mauer?), Vindobona, Äquinoctio (Fischamend) mit Carnunto. (Diese Aufzählung entspricht der konventionellen Gleichsetzung römischer Ortsnamen mit modernen, die zum Teil bereits auf humanistische oder barockzeitliche Gelehrte zurückzu-verfolgen sind, und vermeidet es, auf divergierende Identifikationen näher einzugehen.) Mit 28 milia passum ist die Entfernung Vindobona—Carnuntum und mit insgesamt 96 jene von Vindobona nach Lauriacum bemessen. Da die den geographischen Gegebenheiten entsprechende direkte Entfernung Wien— Enns—Lorch etwa 170 Kilometer beträgt, müssen in der Tabula einige Stations- und Meilenangaben innerhalb dieser Strecke ausgefallen sein.

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