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Volkskunst um die Waldviertier Glashütte

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Das Waldviertel — das ist das stille Land hinterm Strom und dem Manhartsberg, das Land der dunklen Wälder, tiefeingeschnittener Flußtäler, der verträumten alten Städtchen, der Burgen und ehrwürdigen Stifte.

Wenige wissen, daß dieser anmutige Landstrich schon frühzeitig auch der Sitz einer blühenden Industrie war. Im 13. Jahrhundert war die Besiedlung des Waldviertels abgeschlossen und hatte fast die heutige Dichte erreicht. Es wurde die Sorge der Grundherren, verschiedene neue Erwerbsmöglichkeiten für die Bevölkerung in der Heimat zu suchen, deren karger Boden nicht mehr genügend Lebensmöglichkeit bot. Der große Holzüberschuß und die reichlichen Quarzvorkommen verschafften der Glasindustrie Eingang. Die Salzstraße durch den GfÖhler Wald und die Tatsache, daß sich die größten Glashüttengebiete längs der böhmischen Grenze befanden, deuten darauf hin, daß sie aus Böhmen kam, das seit dem 15. Jahrhundert als siegreicher Rivale der venetianischen Glaserzeugung auf dem Weltmarkt erschienen war. Die eingewanderten Glasbläser ließen sich in den weiten Wäldern der Gegend zwischen Karlstift und Litschau, im Weinsberger Wald und im GfÖhler Wald nieder.

In den Glashütten, die an der böhmischen Grenze nachweislich zuerst im Jahre 1601 auf dem Gute Reichenau am Freiwalde bei Groß-Pertholz errichtet wurden, erzeugte man nicht nur einfaches Tafelglas und Hohlglas, gegossene und geblasene Glasspiegel, sondern auch das sogenannte Überfangglas (gefärbtes Glas in ungefärbte Glasmasse getaucht oder umgekehrt) und das dunkle undurchsichtige Hyalitglas, dessen schöner Glanz und die Eigenschaft, daß es heiße Getränke, ohne zu springen, hält, diese Glasart besonders begehrenswert machten. Den meisten Glashütten waren Glasschleifereien angeschlossen, die im Leinsitztale als kleingewerbliche Betriebe und in der noch bestehenden Glasfabrik der Firma Stölzle in Nagelberg heute noch bestehen.

Da eine Glashütte etwa 5000 Raummeter Holz jährlich verbrauchte, wurde im Laufe der Jahre der Wald ringsum abgeschlagen und die Hütte ging nach und nach ihrer Heizquelle verlustig. Durchschnittlich hatte damals eine Glashütte eine Lebensdauer von 50 bis 60 Jahren. Dann zog sie auf die Wanderschaft nach anderen ungerodeten Gegenden mit tiefen Waldbeständen. Es geschah nicht selten, daß die bisherigen Hüttengebäude niedergebrannt und die umliegenden weiten Waldlichtungen wieder aufgeforstet wurden, öfter aber wurden auf den abgeforsteten Gebieten von den Gutsherren Gesinde und Holzarbeiter angesiedelt, denen die zurückgelassenen Hüttengebäude für Wohnung und Wirtschaft dienten. Einzelgehöfte und Weiler verdanken so der Glasindustrie ihre Entstehung, kleine Gemeinden ihren Auf-

schwung und spätere Bedeutung, viele Orte dieser „Glasgegenden“ gehen in ihrer Entstehung auf die Glaserzeugung zurück (Karlstift, Hirschenwies und andere).

Die Form der Streusiedlungen im Waldviertel wurde durch die Glasindustrie begünstigt; so enstanden die Einzelsiedlungen im Bezirke Weitra, die sich von Groß- Pertholz längs der böhmischen Grenze nach Norden erstrecken, die zerstreutliegenden Bauerngehöfte im Gmünder Bezirk, besonders um Langegg und Brand, und schließlich die ausgedehnten Streusiedlungen des Bezirkes Litschau. Auch für andere Glashüttengebiete, wie im Weinsberger Wald und im Gföhler Wald, wurde die Streusiedlung charakteristisch. Im Gföhler Wald ist sie so ausgeprägt wie selten in einer Gegend. In den ausgedehnten Wäldern liegen einsam die Bauernhäuser, die meist nach einer weniger entfernt liegenden Ortschaft unter dem Namen „Amt“ im Verwaltungs wege zu einer Gemeinde zusammengeschlossen wurden.

Die Glasbläserei gab auch in reichem Maße in der Volkskunst Anregung. Ihre Erzeugnisse wurden in den verschiedensten Formen, vielfach von Privatpersonen, die das Rohglas aus der Hütte bezogen, mehr oder weniger künstlerisch durch Schleifen, Gravieren und Bemalen umgestaltet. Durch Graveurarbeiten verzierte man gern Trinkgläser, die zumeist die sonderbarsten Formen von Hüten, Pistolen und Stiefeln erhielten. Neben diesen Formen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die noch heute erhalten sind, wurden in der Zeit von 1660 bis 1760 hier auch die großen Deckelpokale geschliffen, geschnitten und graviert. Ein schönes Beispiel Wald- viertler Glasschöpfungen jener Zeit ist ein kunstvolles Stengelglas von der Gföhler Gegend aus dem Jahre 1676, das mit dem Wappen des Propstes Ezechiel Vogel von Eisgarn geschmückt ist, der 1668 bis 1682 Pfarrer von Alt-Pölla war. Noch eine andere Form der Volkskunst entwickelte sich um das Erzeugnis der Waldviertier Glashütte. Bei dieser kauften die Bauern und Kleinhäusler das Abfall- und Bruchglas und bemalten es zur Winterszeit, um es dann auf den Markt zu bringen. Als sogenannte Hinterglasmalerei wurden diese Produkte einer primitiven, aber nicht geschmacklosen Volkskunst von Bildmandern in alle deutschen Lande getragen, ähnlich den „Sandlbildern“, den Hinterglasbildern des Mühlviertels, die in der Herstellungs- und Dar- stellungsart ganz den Wald viertlet Hinterglasmalereibildern gleichen. Allein in der Gegend um Rappottenstein hat der Wald- viertler Heimatforscher Propst Stephan Biedermann aus Eisgarn, 1915 als damaliger Kooperator in Rappottenstein bei einer über Anregung der Zentralkommission für Denkmalpflege durchgeführten Studie 200 verschiedene Hinterglasmalereibilder gefunden. Die Darstellungsverarbeiter verwenden mit Vorliebe religiöse Motive. Die Bilder zeigen eine erstaunliche Farbenfrische.

Die Glaserzeugnisse der Hütten, deren Gediegenheit und nicht selten hoher künstlerischer Wert, trugen einst den Ruf des Waldviertels in alle Gegenden der Welt. Auf den großen Handels- und Viertelausstellungen der Waldviertier Städte vor 1938, in denen gezeigt wurde, was da Waldviertel in wirtschaftlicher, gewerblicher und künstlerischer Hinsicht leisten kann, konnte sich auch die noch erhalten gebliebene Waldviertler Glasindustrie hervorragender Beachtung aller Kreise erfreuen.

Möge auch auf diesem Gebiete die Vergangenheit hoffnungsvoller Wegweiser und Ansporn in die Zukunft sein!

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