Christsein auf eigene Gefahr

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Wir brauchen ein selbstverantwortetes Christentum, das die gesellschaftlichen und die kirchlichen Risken nicht scheut.

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Wir brauchen ein selbstverantwortetes Christentum, das die gesellschaftlichen und die kirchlichen Risken nicht scheut.

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In den letzten zehn Jahren habe ich dreimal ernsthaft daran gedacht, meine Kirche zu verlassen: Als der Papst dem Massenmörder General Pinochet ein persönliches Hochzeitsgeschenk überreichen ließ, als ein Msgr. Cafarra ohne Widerspruch von höchster Stelle erklären konnte, AIDS-Infizierte dürften auch in der Ehe keine Kondome benutzen und ernsthafte Gerüchte dafür sprachen, die katholische Ablehnung der "künstlichen" Empfängnisregelung werde zum Dogma erhoben, und als ich einsehen mußte, daß die gegen Kardinal Groer erhobenen Vorwürfe des sexuellen Mißbrauchs Abhängiger glaubwürdig sind (mit "konservativen" Mitchristen und manchen Bischöfen verbindet mich die "Naivität", die es mich anfangs nicht glauben ließ) und seine Aufklärung der Vorfälle unterblieb.

Hätte ich mich angesichts dieser Tatsachen nicht gefragt, ob das noch dieselbe Kirche ist, in die ich hineingewachsen bin, würde sie mir nichts bedeuten und wäre auch meine Zugehörigkeit nichts wert. Zur Rechenschaft darüber, was mich in der katholischen Kirche hält, obwohl ich manche lehramtliche Verfügungen nicht teile und das derzeit praktizierte Hierarchie-Verständnis ablehne, gehört auch die Einsicht in die eigene psychische Disposition: Einem, der wichtige Kindheitsjahre zum Großteil in einem Pfarrhof verbracht und in einem Pfarrer seinen ersten Ersatz-Vater erlebt hat, fällt es nun einmal schwer, seine angestammte Kirche zu verlassen. Doch wenn es um die Verantwortung für die "Wahrheit" des eigenen Lebensentwurfes geht, reichen diese emotionalen Gründe allein nicht aus.

Die Möglichkeit, mich einer Schwester-Kirche anzuschließen, ist mir durch die Einsicht verbaut, daß die Zeit der Konversionen zwischen den Kirchen eigentlich vorbei sein sollte, und daß es unsinnig ist, sich einer Tradition anzuschließen, die man nur aus Büchern kennt. Auch ist mir die sakramentale Dimension meiner katholischen Tradition so wichtig, daß ich sie lieber in ein gemeinsames Christentum der Zukunft einbringen als über Bord werfen möchte. Nur ist diese Dimension derzeit durch Autorität "kontaminiert". Man müßte das Christentum ein Stück an jüdische Wurzeln heranführen und die sakramentale Dimension in die Häuser und Familien zurücktragen und sie aus der alleinigen Verfügung kirchlicher Macht befreien.

Es läge durchaus nahe, Christentum in intellektueller und auch lebensmäßiger Distanz zu den verfaßten Kirchen zu praktizieren. Jedesmal, wenn mich die Versuchung überkommt, mich in diesen luftleeren Raum zu begeben, halten mich entscheidende Einwände davon ab: In den letzten Jahren habe ich in Österreich mit erschreckender Deutlichkeit erlebt, daß fast nur noch die Kirchen verläßliche Träger und Vermittler von gesellschaftlicher Solidarität sind, während etwa Sozialdemokraten und Gewerkschaften, denen ich in dieser Hinsicht immer viel zugetraut habe, weitgehend versagt haben. Das heißt noch lange nicht, daß die Kirchen ein Monopol auf Solidarität, Menschlichkeit und Gerechtigkeit haben; aber ich glaube, daß man diese Werte nicht nur abstrakt und intellektuell vermitteln kann - vor allem nicht an die nächste Generation. Es braucht Riten und Symbole, die die gesellschaftliche Praxis natürlich nicht ersetzen, aber sie im Leben des einzelnen wie der Gemeinschaft tiefer und erlebbarer verankern, als rein rationale Appelle das vermögen. Die Kirchen haben in ihrer - unterschiedlich ausgeprägten - sakramentalen Dimension ein Reservoir, dessen Zusammenbrechen verheerende Folgen haben könnte. Wenn Demokratie sich nicht in Abstimmungsformalismen erschöpfen und der unbeschränkte Markt nicht zum immer härteren Kampfplatz der Erfolgreichen, Schönen und Fitten werden soll, braucht es Haltungen, die bis jetzt im Schatten des Christentums, glücklicherweise modifiziert durch ein wenig Aufklärung, überlebt haben.

Damit wir diese Basis nicht verspielen, braucht es ein Christentum, das die gesellschaftlichen und die kirchlichen Risiken nicht scheut. Diese nehmen derzeit im katholischen Bereich in schwindelerregendem Ausmaß zu. Wer sich von einem Papst, der "zur Verteidigung des Glaubens" wieder "gerechte Strafen" für abweichende Meinungen androht, nicht einschüchtern läßt, fühlt sich dennoch desavouiert vor den Menschen außerhalb der eigenen Kirche, mit denen er wichtige Anliegen und Werte teilt und verwirklichen will. Vielleicht braucht es mehr "Ökumene von unten", damit ein selbstverantwortetes Christentum nicht zu einer exotischen und wirkungslosen Minderheitsposition verkommt.

Angesichts einer Gesellschaft, die sich zwar zunehmend für Gott und Religion, aber immer weniger für kritische Unterscheidungen in diesem Bereich interessiert, und angesichts der kirchlichen Christentümer, die zu Ghetto-Milieus und Sondermentalitäten verkommen, deren Unterschiede - von außen gesehen - immer unverständlicher werden, ist ein "Christentum auf eigene Gefahr" eine zunehmend wichtige Herausforderung.

Der Autor ist Generalsekretär des Katholischen Akademikerverbandes Österreich und freier Publizist.Der Text ist ein Vorabdruck aus: Christsein auf eigene Gefahr. Porträts und Perspektiven Von Cornelius Hell, Druck- und Verlagshaus Thaur, Thaur - Wien - München 1999, 180 Seiten, öS 198,-.

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