Die Kirche mit dem Kelch wird 90

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Zu Weihnachten 1919 wurden die ersten Gottesdienste der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche gefeiert. Die Kirche, der auch Staatspräsident Václav Klaus angehört, führt zwar den Reformator Jan Hus im Namen. Sie spaltete sich aber von den Katholiken ab.

In tschechischer Sprache gefeierte Gottesdienste zu Weihnachten 1919 waren das Vorspiel; am 8. Jänner 1920 wurde die Kirchengründung beschlossen und am 11. Jänner proklamiert; am 15. September schließlich wurde die Tschechoslowakische Kirche, wie sie zunächst hieß, staatlich anerkannt.

Anders als ihre heutige Bezeichnung vermuten lässt, ist die Tschechoslowakische Hussitische Kirche ein Kind der römisch-katholischen und nur indirekt eines der Reformation. Ein Großteil jener Christen, die ihre Geschichte direkt auf den Reformator Jan Hus zurückführen, hat sich 1918 zur Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder zusammengeschlossen. Die Wurzeln der Hussitischen Kirche hingegen liegen in der josefinischen Aufklärung. Was etwa der mit einem Lehrverbot belegte Priester Bernard Bolzano in der Studierstube ausgeheckt hatte, wurde in der Revolution von 1848 Gemeingut und der Ruf nach einer Demokratisierung der katholischen Kirche sollte nicht mehr verstummen.

Hus gegen Habsburg

Seit 1896 residierte der Bischof der altkatholischen Kirche von Österreich in Warnsdorf in Nordböhmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Revolte gegen Rom auf die Tschechen überspringen würde. Vor allem deren niederer Klerus litt darunter, dass die Kirche mit ihren habsburghörigen Hierarchen gegenüber der tschechischen Nationalbewegung ins Hintertreffen geriet.

In der Umbruchszeit von 1918 nutzten modernistische Theologen die Gunst der Stunde, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen, und sie ließen sich von ihrem Vorhaben weder vom Vatikan noch vom Hradschin abhalten. Der Zustrom zur neuen Kirche war beträchtlich: Auf Anhieb stellten sich ihr 120 katholische Priester zur Verfügung und bei der Volkszählung 1921 bekannten sich zu ihr 525.333 Bürger. Der Schock in der katholischen Kirchenleitung sitzt bis heute tief.

So wie die zahlreichen Kirchenbauten können auch die in sie integrierten Kolumbarien als Bekenntnis zur Moderne gelten, war die Feuerbestattung im alten Österreich doch verboten gewesen. Zu Lebzeiten sind die „Schwestern“ und „Brüder“ angehalten, am Leben ihres territorialen sbor nicht nur durch Mitfeier des Gottesdienstes und Empfang der sieben Sakramente, gemeinsames Bibelstudium und karitatives Engagement, sondern auch durch Mitbestimmung etwa bei der Pfarrerwahl teilzunehmen.

Die demokratische Struktur reicht bis an die Kirchenspitze: Das eigentliche Sagen hat der Zentralrat. Andererseits erinnert der Patriarchentitel daran, dass die Gründer der Kirche ursprünglich ein Patriarchat innerhalb der katholischen Kirche anstrebten.

Und auch Assoziationen mit der Orthodoxie sind berechtigt: Nachdem Rom den Sonderweg scharf verurteilt hatte, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung über die Frage der apostolischen Sukzession. Während die große Mehrheit diese für entbehrlich hielt, unterstellte sich die Minderheitsfraktion dem serbisch-orthodoxen Patriarchat. Ihr Anführer MatÇej Pavlík nahm als Bischof den Namen Gorazd an, gewährte 1942 den Heydrich-Attentätern Unterschlupf, wurde hingerichtet und 1987 von der tschechoslowakischen orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste sich die Tschechoslowakische Kirche vorübergehend in Böhmischmährische umbenennen. In den letzten Kriegstagen riefen Radiosendungen vom HusÚuv sbor in den Prager Weinbergen aus zum letzten Gefecht gegen die deutsche Besatzung auf und nach der Befreiung erreichte die Kirche mit 826.576 ihre höchste Mitgliederzahl. Zu großer Bautätigkeit kam es bis zur kommunistischen Machtergreifung nicht, dafür wurden nach dem Holocaust einige Synagogen und nach Vertreibung der Sudetendeutschen einige evangelische Kirchen adaptiert.

Diskussion um die Vergangenheit

Wie weit die Jüdische Gemeinde zur Überlassung der Synagogen genötigt wurde, ist heute ein Gegenstand von Diskussionen ebenso wie die Kollaboration mit dem KP-Regime, das den historischen Hussitismus massiv für seine Zwecke instrumentiert hatte. 1954 erreichte die Kirche mit 355 Gemeinden eine scheinbare letzte Blüte, doch die Daumenschrauben wurden auch ihr angelegt. Die Wende von 1989 stellte die Kirche, die sich seit 1971 Tschechoslowakische Hussitische Kirche nennt und die Staatsteilung von 1993 nicht mitvollziehen sollte, vor gewaltige Probleme. Ihr Aderlass war größer als jener der anderen Kirchen – 1991 bekannten sich nur 185.000 und 2001 gar nur mehr 99.000 Gläubige zu ihr.

Zwar ist die Kirche international und national Mitglied des Ökumenischen Rats der Kirchen, doch ist sie mit zumeist nicht denkmalgeschützten Kirchenbauten von manchen Geldströmen ausgeschlossen. Am Problem der Kirchenfinanzierung ist 2005 sogar ein Patriarch gescheitert, und kaum war TomáÇs Butta als Nachfolger installiert, sah sich dieser mit Missbrauchsvorwürfen gegen den Prager Bischof Karel Bican konfrontiert.

Doch es fehlt auch nicht an Hoffnungszeichen: Die Hussitisch-Theologische Fakultät an der Prager Universität ist seit 1994 mit der Katholischen und Evangelischen gleichberechtigt; mit Václav Klaus bekleidet ein Hussit das Amt des Präsidenten der Republik; die Person des Reformators Jan Hus steht nicht mehr als Zankapfel zwischen Hussiten und Katholiken; und die frühe Frauenfreundlichkeit sichert der Kirche neue Sympathien – schon seit 1947 gibt es Pfarrerinnen, 1999 wurde mit Jana ÇSilerová die erste Bischöfin geweiht.

Sollte in Tschechien die Kirchenfinanzierung nach italienischem Modell eingeführt werden, so ist es leicht vorstellbar, dass die Bürger der Hussitischen Kirche höhere Beiträge widmen als der noch immer unter dem Generalverdacht der Volksfremdheit stehenden katholischen. Denn die Hussitische Kirche spielt in Tschechien eine ähnliche Rolle wie die irische Sprachgruppe in Irland: So klein sie auch ist und so wenig man daran denkt, sich ihr anzuschließen, so sehr stiftet sie nationale Identität.

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