Ein Luxus, der nie wiederkehrt

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Die Dokumentation der Möbel in der Münchner Residenz geriet zu einem Standardwerk europäischer Handwerkskunst.

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Die Dokumentation der Möbel in der Münchner Residenz geriet zu einem Standardwerk europäischer Handwerkskunst.

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Wer gern die Höchstleistungen europäischer Möbelkunst bewundert, einen Luxus, den sich wohl nie wieder jemand wird leisten können - der weiß, wo er hingehen muß: In die Schauräume der kaiserlichen und königlichen Schlösser, in die zu Präsidentschaftskanzleien umfunktionierten Residenzen.

Dabei genießt München eine herausragende Stellung. Daher war die vom Siemens-Konzern gesponserte Forschung sowie die nun abgeschlossene, bei Prestel erschienene dreibändige Dokumentation über "Die Möbel der Residenz München" ein Projekt von internationaler Bedeutung. Damit liegt eine Publikation vor, die eine Sammlung von beispielhafter Geschlossenheit und die Entwicklung der Möbelkunst in vier Jahrhunderten dokumentiert, und zwar in Form eines Bestandskataloges, in dem jedes Stück wissenschaftlich interpretiert wird.

Besonders zu rühmen sind die technischen Angaben. Ein kleines Kabinettstück ist hier zum Beispiel der Absatz über die Sitzgarnitur aus dem Schreibkabinett der Königin Karoline. Sie steht für den um 1800 überall in Europa unternommenen Versuch, "den auf griechischen Vasenbildern überlieferten Klismos, einen Holz- oder Elfenbeinstuhl, der sich durch extrem gebogene Hölzer und Bretter auszeichnet, die ihrerseits die Beine, Lehnenstützen und Rückenlehne formen", mit modernen Schreinertechniken nachzubauen. Er mußte scheitern, da die verwendeten Bretter splitterten und brachen. Der Klismos war nämlich - ganz im Sinne eines Adolf Loos - unter Ausnützung der Belastbarkeit der krummen Äste und Stammteile des Olivenbaumes im höchsten Maß materialgerecht konstruiert. Daher wurde die Konstruktion entsprechend den modernen Materialien modifiziert - das Ergebnis war wiederum materialgerecht.

Der Wiener Hof, der durch die Militärausgaben mit chronischen Geldnöten kämpfte, ließ Möbel, wenn man um Neuanschaffungen schon nicht herumkam, von heimischen Handwerkern anfertigen. Die Wittelsbacher waren viel weniger mächtig und begütert, hatten aber kein Vielvölkerreich zu verteidigen und auch keinen von der habsburgfeindlichen französischen Politik in der Zeit der Türkenbedrohung herrührenden, tief ins 18. Jahrhundert hineinwirkenden subkutanen Groll auf Frankreich. Sie erkannten den außerordentlichen Rang der französischen Möbelkunst.

Der Münchner Bestand französischer Ebenistenmöbel ist durch seine Reichhaltigkeit, Qualität und Geschlossenheit singulär. Außerdem aber auch durch seinen Erhaltungszustand. Die Möbel wurden von Generation zu Generation mit solcher Sorgfalt gepflegt, daß die meisten kaum Spuren von Gebrauch oder Alterung des Materials zeigen. Nicht weniger wichtig als die Pflege durch die Hoftischler ist der Umstand, daß die Münchner Residenz jeweils von Mai bis September unbewohnt war. Die Möbel und Luster waren in dieser Zeit mit Schonbezügen aus Leinwand bedeckt und zum Schutz vor ihrem Hauptfeind, dem Sonnenlicht, wurden die Fensterläden verschlossen und die Vorhänge zugezogen. Ohnehin waren viele Repräsentationsräume als Kunstlichträume mit vielfältiger Spiegelung des Kerzenlichts konzipiert.

Die Bedeutung dieses Teils der Sammlung läßt es logisch erscheinen, daß die Publikation 1995 mit dem Band "Die französischen Möbel des 18. Jahrhunderts" begonnen wurde. Nur wenige verfügbare Werke in deutscher Sprache über diesen Höhepunkt der Möbelkunst schlechthin bieten einen vergleichbaren Informationsreichtum. Die höchsten Kosten verursachte übrigens, selbst bei besonders kostbar furnierten Stücken, nicht die Arbeit der Tischler, sondern die der Handwerker, welche die bronzenen, in höchst gesundheitsschädlichen Arbeitsgängen feuervergoldeten Dekorteile aus Bronze herstellten. Die höchste Wertschätzung genossen die aus fernöstlichen Vorbildern abgeleiteten Lackmöbel, die dem intimsten Wohnbereich der Hochgestellten vorbehalten blieben.

Großartig vertreten sind in München freilich auch die früheren und späteren Epochen. Herausragend sind zum Beispiel zwei um 1680 entstandene Kabinettschränke von Johann Georg Esser - Musterbeispiele für Einlegearbeiten unter verschwenderischem Einsatz des lange Zeit überaus beliebten roten Schildpatts. Im dritten Teil besticht - auch hier muß es heißen: unter vielem anderen - das Kapitel über die vom leitenden Architekten Leo von Klenze für den Königsbau entworfenen Möbel. Ein ganz wichtiger Beitrag zur Stilkunde des 19. Jahrhunderts - im Rahmen einer wissenschaftlichen, aber nicht nur für Wissenschaftler interessanten, faszinierenden Publikation, die etliche Superlative verdient.

Ornament war kein Verbrechen. Adolf Loos hat seinen berühmten Satz ja auch im Präsens formuliert. Zu Loos' Zeiten faszinierte er viele. Was aber die heutige Wiederkehr des Ornaments betrifft - die Begegnung mit dem Ornament in diesen drei Bänden ist umwerfend und kann alles, was heute als Ornament auftritt, wohl nur gründlich relativieren.

Die Möbel der Residenz München Herausgeber: Gerhard Hojer, Hans Ottomeyer I: Die französischen Möbel des 18. Jahrhunderts.

II: Die deutschen Möbel des 16. bis 18. Jahrhunderts.

III: Die Möbel des Empire, Biedermeier und Spätklassizismus. Autoren: Brigitte Langer, Hans Ottomeyer, Alexander Herzog von Württermberg u.a.

Prestel Verlag, München 1995 - 1997 328, 312 und 316 Seiten, reich illustriert, Ln., alle im Schmuckschuber: öS 4.365,

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