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Renaissance des Wiener Möbels?

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Die Wiener Tischler haben, übrigens mit bemerkenswertem Mut zur Selbstkritik, eingesehen, daß zu viele schlechte und zu wenige gute Möbel erzeugt und — verkauft werden. Eines der ersten Ergebnisse dieser Einsicht ist eine kleine Ausstellung in den Verkaufsräumen der „Vereinigten Wiener Tischlerwerk-stätten-A.G.“ (Mariahilfer Straße 31), die dem Publikum an Hand einiger Zeichnungen und vieler Photographien den Unterschied zwischen wirklich zeitgemäßen und nur pseudomodernen, unpraktischen und kitschigen Einrichtungsstücken demonstrieren will. Die Lichtbilder stammen zumeist aus amerikanischen Zeitschriften; auf ihnen sind ausgerechnet jene Tische, Sessel und Polstermöbel zu sehen, die bei uns zwar den Stilnamen „Schwedische Möbel“ führen, in der übrigen Welt aber allgemein „Wiener Möbel“ heißen. Und mit Recht so heißen, denn ihre Formen kamen tatsächlich aus Wien; die „Wiener Werkstätten“, ihnen geistesverwandte Architekten und deren Epigonen haben diesen Möbelstil geschaffen, der sich durch elegante und noble Einfachheit, manchmal auch durch eine recht liebenswürdige Verspieltheit auszeichnete, überdies den beschränkten materiellen Verhältnissen des modernen Menschen angepaßt war und doch niemals vulgär wirkte. Dieser schöne und menschliche Wohnstil wurde leider später von einem anderen und weniger schönen — mit dem er von vornherein nur die Vorliebe für heimisches Material gemeinsam hatte — annektiert und zerstört: dem KdF-Stil, dessen schmiedeeiserner Rustizität — wer erinnert sich nicht mit Schaudern der neogermanischen Ausstattung offizieller Versammlungsräume? — die anmutige Bescheidenheit des Wiener Mobilars freilich nicht gewachsen war. Nun, dieser „arteigene“ Stil endete schließlich in den strengen Formen der Luftschutzbetten und des Behelfshausrats für Ausgebombte.

Aber nach dem Kriege trat prompt die Reaktion auf die Luftschutzbettenperiode ein: die Tischler klagen heute bitter, daß das Publikum fast ausschließlich dem pompösen Kitschmöbel zuneige, dem vielfach furnierten, polierten und abgerundeten, dem Mischprodukt von Filmmöbel und verrückt gewordenem Fabrikkubismus. Albträume des Tischlers, der ihretwegen nicht rationell arbeiten kann, Albträume der Hausfrauen, weil ein Kratzer, ein Daumenabdruck schon die hochglänzende Talmipracht ihres Kleiderkastens zerstört! Aber dennodi: diese Möbel, und fast nur sie, werden gekauft, in mühselig aufgebrachten und jeden Haushalt schwer belastenden Kleinraten gekauft. (Sie sind dank ihrer Kompliziertheit teuer. Aber noch teurer sind jetzt die einfachen und schönen Möbel, weil sie nicht in Serien produziert werden. Könnten sie allerdings in Serien produziert werden — sie wären sicherlich für viele erschwinglich.)

Es spricht für den gesunden Handwerksverstand der Wiener Tischler, daß ihnen diese Situation wenig gefällt. Sie machen sogar — wir kennen dafür keinen Präzedenzfall — das Publikum darauf aufmerksam, daß es beim Kauf solcher Möbel eine Art von „Hochstapelei“ begehe und verschweigen eigene Fehler keineswegs. Streben die Tischler also eine Renaissance des Wiener Möbels an, wollen sie die kaufende Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer solchen überzeugen? Es scheint so. Wo aber mit dieser Renaissance beginnen? Die winzige Ausstellung in der Mariahilfer Straße gibt darüber keine eindeutige Auskunft. Soll der Stil der Vorkriegszeit wieder aufgenommen werden? Oder sind die „konstruierten“ Möbel westlicher und ganz westlicher Innenarchitekten nachzuahmen, die bei aller Hypermodernität doch manche Vorteile aufweisen? Soll man beide Stile mischen? Oder ganz neue Wege suchen? Die Kaufkraft der Allgemeinheit ist — trotz ihrer „Hochstapeleien“ — geringer denn je, die Wohnungen sind nach dem zweiten Weltkrieg noch kleiner geworden. Raumsparende und Kombinationsmöbel, schreckliche Dinge an sich, werden noch lange Zeit erzeugt werden müssen. Und aus all dem ergibt sich fürs erste ein sehr unbefriedigender Schluß: Das neue „Wiener Möbel“ muß, soll es den Verhältnissen dieser Jahre entsprechen, noch einfacher, seine Herstellung noch billiger sein, es muß noch mehr an Raum sparen als das alte. Es soll zugleich den Ansprüchen eines guten Geschmacks genügen — den anders wird es niemals mehr jenseits der österreichischen Grenzen Beliebtheit und Käufer erlangen — und zugleich wieder dem Bedürfnis breiter Käuferschichten gemäß „nach etwas aussehen“. Und zudem noch solid und dauerhaft sein! Ein Forderungsprogramm, das dem besten Tischler Kopfzerbrechen verursachen dürfte, aber bei einigem guten Willen beider Teile, der Tischler und der Käufer, zu erfüllen sein wird. Voraussetzung freilich ist, daß die begonnene Aufklärung des Publikums fortgesetzt wird-, eine größere und nicht nur mit Photographien arbeitende Ausstellung zeitgerechter Möbel — sie ist bis jetzt in Wien nicht zu sehen gewesen — würde bei einiger Propaganda über Besuch und Erfolg nicht zu klagen haben. Denn in der Tat, man hat bei uns fast vergessen, wie ein schöner und zweckentsprechender Sessel aussehen soll. Also zeige man ihn uns!

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