Erzählen Tote über das Leben?

19451960198020002020

"Körperwelten": Nicht nur Anatomie, sondern Vermittlung eines falschen Menschenbildes.

19451960198020002020

"Körperwelten": Nicht nur Anatomie, sondern Vermittlung eines falschen Menschenbildes.

Werbung
Werbung
Werbung

Fast 400.000 Besucher bei einer Ausstellung - wen das nicht überzeugt! Ein Anatomie-Unterricht für den kleinen Mann, liest man. Selbst das Fersenbein der heiligen Hildegard sei schon "plastiniert" worden (Seite 3). Fast eine Heiligsprechung des Anliegens. Darf man da noch etwas einwenden - noch dazu vom "grünen Tisch"?

Der Verdacht, daß die Ausstellung mehr will, als nur Wissen zu vermitteln, erwacht, wenn man im "extrablatt Körperwelten, Juli 1999" liest, es gehe darum, das "Körperschauprivileg der Ärzte und das Beerdigungsmonopol der Kirche" zu brechen. Hört, hört! Entrechtete Laien aller Völker, endlich kommt Ihr zu Eurem Recht! Jetzt werdet Ihr Euer "schönes inneres Gesicht" sehen und endlich, "was wir sind, erkennen ..., was wir einmal nicht mehr sind."

Also doch nicht nur Anatomie, sondern auch Weltanschauung. Und zwar kräftige, durch Mißdeutung des menschlichen Körpers, der in keiner Weise an die einmalige Person erinnert, die er einmal war. Man verzichtet nicht ausnahmsweise auf die Beerdigung, damit junge Ärzte die Heilkunst erlernen (seinen Leichnam der Anatomie zur Verfügung zu stellen, hat ja einen altruistischen Charakter). Nein, die Toten der "Körperwelten" - das ist Exhibitionismus pur, Spekulieren mit dem Nervenkitzel, den echte Tote vermitteln. Einer Gesellschaft, die im Internet und im Fernsehen alles schon virtuell konsumiert hat und mit virtuellem Tod übersättigt ist, wird nun Echtes vorgesetzt.

Das Echte macht die "Faszination" aus - wie auch die Plakate betonen. Echte Tote, Muskeln, die Beine bewegt, Nieren, die Blut gereinigt, Nerven, die Impulse weitergeleitet haben. Der Betrachter blickt in Augen, die einmal sahen - und auch heute diesen Eindruck vermitteln. Man sieht die Arme eines Schachspielers, die Muskeln eines Speerwerfers, blickt in die Intimität der Beziehung einer Mutter mit ihrem ungeborenen Kind. Die Mutter spürte die Bewegungen dieses Kindes, freute sich auf seine Geburt. Jetzt sind Hunderttausende Österreicher live - pardon, dead- dabei. Faszination des Echten.

Eines der Exponate hält seine eigene Haut empor. Das gleiche Motiv wie in der Sixtina in Rom: Einer der Heiligen streckt Christus beim Jüngsten Gericht die ihm während seines Martyriums abgezogene Haut entgegen, Zeugnis seiner Treue. Na also, nichts Neues unter der Sonne! Genau das macht aber den Unterschied aus: Was ein Künstler an die Wand malt, ist etwas anderes, als wenn ein Toter selbst seine Haut zu Markte trägt.

Man muß sich nur an die Gefühle erinnern, die man am Totenbett eines nahe Verwandten empfindet. Welcher Mann wünschte sich, daß seine verstorbene Frau, sein Vater plastiniert würden? Der Tote hat eine Würde, die gewahrt werden will. Es gab Zeiten, da blieb man vor Leichenzügen stehen, betete für den Verstorbenen. Wievielen Schaulustigen in Wien wird wohl die Idee gekommen sein, für diese Toten zu beten, deren Faszination gerade ihre Pseudolebendigkeit ist?

Wahrscheinlich wurde so manchem Betrachter bewußt, welches Wunderwerk der menschliche Organismus darstellt, daß da ein Schöpfer dahinterstecken könnte, daß dieses Wunderwerk nicht Ergebnis des blinden Zufalls sein kann. Hoffen wir es. Aber wer kommt bei dieser Exposition von Muskeln, Sehnen, Nerven und Innereien auf die Idee, daß hier mehr als ein gut konzipierter Organismus vor ihm steht, nämlich eine Person mit unfaßbarer Würde?

Der Mensch hat nämlich nicht nur einen Leib, besitzt ihn nicht wie ein Ding, über das man einfach verfügt. Er ist leiblich. Im Tod legt nicht der Personenkern den Leib ab, der dann im Grab vermodert und den man ebenso gut plastinieren kann. Vielmehr ist er eine Einheit von Leib und Geistseele, die im Tod auf schmerzliche Art zerreißt, bei der Auferstehung von den Toten aber wunderbar wiederhergestellt wird. Daher auch die Würde des Leibes, die diese pietätlose Ausstellung mißachtet und zerstört.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung