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Arbeitsmigration 1964-2004: Ausstellungen und Bücher stellen die Sicht der Betroffenen dar und schreiben ein Kapitel Stadtgeschichte.

Nur wenige sind in der Stadt deren Vorfahren den Nachbarn bekannt sind; alte Familien gibt es kaum, Zuwanderer überwiegen." Das klingt wie die Horrorvision von Politikern, die auf der Klaviatur der Vorurteile geschickt zu spielen wissen. Doch es ist ein Zitat aus der "Historia Austrialis" des Enea Silvio Piccolomini von 1452/53. "Wien gehört längst nicht mehr den Wienern": Das ist keine Kampfansage von Helene Partik-Pablé; mit diesen Worten hat sich Friedrich Schlögl 1876 in seinem Buch "Wiener Luft" darüber beklagt, dass Wien Tausende "fremde" Arbeitskräfte für Tätigkeiten benötigt, die die "Einheimischen" nicht verrichten wollen. "Einheimische in der Minderheit: Weniger als die Hälfte der Einwohner Wiens sind in Wien geboren" - das ist kein Zitat, sondern die statistische Wahrheit von 1900: Am Ende dieses Jahres waren nur 46,6 Prozent der in Wien lebenden Menschen in Wien geboren. Damals war Wien eine multikulturelle europäische Großstadt. Und heute ist es das wieder. Die Anfänge davon liegen 40 Jahre zurück. Und nicht der Wunsch unendlich vieler Menschen, nach Wien zu kommen, stand am Anfang, sondern planmäßige österreichische Anwerbung aus der Türkei und aus Jugoslawien. Darüber kann man sich derzeit im Wien Museum am Karlsplatz ein Bild machen.

Am Anfang war Anwerbung

Von 1968 bis 1990 nannte man sie "Gastarbeiter" (vorher sagte man "Fremdarbeiter", seither spricht man von "Ausländern"); dass es einen Gast ausmacht, dass er nicht arbeiten muss, hat offenbar niemanden irritiert. Das Entscheidende war: Irgendwann geht der Gast wieder nach Hause. "Aber wenn wir wollen, schleichts euch wieder" - das schwang immer mit bei diesem aufgezwungenen Begriff, ist Wolfgang Kos überzeugt. Er hat diese von der "Initiative Minderheiten" vorbereitete Ausstellung in das Wien Museum geholt, dessen Direktion er im Vorjahr übernommen hat. Als Titel hat man das serbisch-kroatische Lehnwort "Gastarbajteri" gewählt: um zu irritieren und um ein Wort zu wählen, mit dem sich diese Menschen (ja, es waren nicht nur Männer, aber es ist wie immer: von der weiblichen Arbeitsmigration gibt es weniger Dokumente) selbst bezeichnet haben - in ihrer eigenen Sprache gab es kein entsprechendes. Und die Blickrichtung ist wichtig: Man wollte keine Ausstellung über Arbeitsemigrantinnen und -migranten machen, sondern sie selbst zu Wort kommen lassen. So entstand eine Ausstellung, die sie weder auf die Opferrolle reduziert noch als Pioniere der Multikulturalität heroisiert. Denn, so Wolfgang Kos: "Der Raum Stadt kennt keine für alle gültigen Geschichten."

Migranten kommen zu Wort

Vor 40 Jahren begann die Arbeitsemigration nach Österreich: mit einem Anwerbeabkommen mit der Türkei und der offiziellen Anwerbestelle der Bundeswirtschaftskammer in Istanbul im Jahr 1964; zwei Jahre später folgte das Anwerbeabkommen mit Jugoslawien. Beide Seiten gingen damals von einem befristeten Aufenthalt aus; für Österreich waren sie eine Art Verschubmasse, mit der man nach den Wirtschaftsrezessionen von 1975 und 1982 Arbeitslosigkeit exportieren konnte. Mittlerweile lebt schon die dritte Generation in Österreich, und unser Staatsbürgerschaftsgesetz sorgt dafür, dass hier weiterhin täglich "Fremde" geboren werden, die nirgendwo eine Heimat haben als in Österreich.

Gesetz produziert Fremde

In der Ausstellung des Wien Museums kommen vor allem Dokumente und Erfahrungen der ersten Generation zur Darstellung. Und elf Orte, an denen diese Erfahrungen stattgefunden haben. Ein herausragendes Beispiel ist das westanatolische Dorf Adatepe, von dessen 2.000 Einwohnern mehr als die Hälfte nach Wien und Umgebung ausgewandert sind. 1994 ist der erste Pensionist nach jahrzehntelanger Arbeit in Österreich nach Adatepe zurückgekehrt. So ging es in der Regel: Die erste Generation sparte für zu Hause, die zweite dachte an die Kinder hier und fuhr nur mehr für den Urlaub nach Hause, die Enkelgeneration ist in Österreich verwurzelt und kommt nicht einmal mehr in den Ferien in die Heimat der Großeltern.

Die elf Orte - darunter der Mexikoplatz, die Fremdenpolizei, ein Arbeiterwohnheim oder der neue islamische Friedhof in Wien - sind durch eine hochinformative Zeitschiene verbunden, die Daten und Fakten der Arbeitsemigration mit den markanten Ereignissen der Weltpolitik und den Zäsuren der österreichischen Zeitgeschichte verbindet. Ungarnaufstand, Niederschlagung des Prager Frühlings, oder der Krieg in Jugoslawien - alles hat Konsequenzen für das Verhältnis zwischen zugewanderten und einheimischen Österreichern. Die Zeitschiene leuchtet aber auch die Mikrostrukturen aus: erste türkische und serbokroatische Zeitschriften in Wien 1972, erste Formen von Selbstorganisation der Arbeitsmigranten (die ersten Arbeiter, die in den sechziger Jahren einen Streik versuchten, weil sie weniger Lohn erhielten als vereinbart, wurden in Schubhaft genommen). Und immer wieder, wie selbstverständliche Begleitmusik: Behördenwillkür. Die Bescheide der berüchtigten Magistratsabteilung 62, die bis 1999 für fremdenpolizeiliche Angelegenheiten zuständig war, sind eine traurige Fundgrube menschenfeindlicher Sprachmasken.

Wie spricht man über das Fremde und die Fremden? Klischees lauern allenthalben, auch dort, wo man sie überwinden will. In der multikulturellen Aufbruchsstimmung der beginnenden neunziger Jahre hat Lisl Ponger eine Weltreise unternommen, bei der sie Wien nicht verlassen hat. Von der Polisario-Bewegung der Westsahara über den Club kaukasischer Juden bis zur balinesischen Tanzstunde gibt es nichts, was sie auf ihrer Super-8 Kamera nicht festgehalten hätte. Gut zehn Jahre später ist ihr diese Fixierung zum Problem geworden: Auch sie legt das Fremde fest, reduziert individuelle Menschen auf Vertreter ihrer Minderheit. Außerdem, so Lisl Ponger: "Die Definition der Minderheitsösterreicher nur über ihre Kultur, ihre Folklore und ihr Essen genügt in einer Zeit verschärfter Asylgesetze und staatlich verordneter Deutschkurse nicht mehr."

Der subjektive Blick

Im Wien Museum sind daher nicht nur Standbilder aus dem Film von 1991 zu sehen, sondern auch der Filmessay "Phantom fremdes Wien", der mittlerweile auch beim Filmfest in Rotterdam und bei der Diagonale gezeigt wurde. Darin greift Lisl Ponger auf die Tagebücher von damals zurück und weist damit ihre Bilder als subjektive aus. "Was sehe ich eigentlich?", ist eine zentrale Selbstbefragung in ihrem Kommentar. Bilder und Tagebucheintragungen liegen auch als Buch in der Reihe "Europa erlesen" vor.

Da das Wien Museum erst im Jahr 2007 in der Lage sein wird, seine Schausammlung neu zu präsentieren, will Wolfgang Kos bis dahin auf spezifische Themen in "Interventionen" aufmerksam machen. Die erste davon, "Migrationsziel Wien", ist bis Ende Juni zu sehen und verlängert die Hauptausstellung zurück in die Stadtgeschichte und zeigt: Von den Experten des Dombaus bis zu den ungelernten Arbeitskräften der Ringstraße haben Arbeitsmigranten zu den wichtigsten Bauten Wiens beigetragen. Und als das Wachstum Wiens in den 1890er Jahren Versorgungsprobleme verursachte, sprangen bulgarische Gärtner ein (die ihre Melanzani allerdings noch nicht durchsetzen konnten). Schweizer Uhrmacher wie Rauchfangkehrer aus dem Tessin und der Lombardei gaben dem Wiener Handwerk entscheidende Impulse und jede neue Mode machte Spezialisten aus fremden Ländern notwendig; egal ob es sich um Perücken oder das Golfspielen handelte. Und bei der Gründung der Universität Wien stammten nur zwei Prozent ihrer Studenten aus der Stadt selbst.

Drei Generationen

Die zweite Generation der Arbeitsmigranten wächst zwischen den Kulturen auf. Viele haben ihr erstes türkisches Kinderbuch in der Bibliothek gelesen, weil es bei den Eltern keine Bücher gab, erzählt Alfred Pfoser, als Direktor für ein Ensemble kleiner Ausstellungen und Projekte in der neuen Hauptbücherei am Gürtel verantwortlich. Mehmet Emir hat dort die Fotos ausgestellt, die sein Vater nach Hause in das türkische Dorf geschickt hat. Als er selbst als Bauarbeiter nach Österreich kam, hat er mit der Kamera die harte Realität von Arbeit und Wohnsituation gesucht, die sein Vater verschwiegen hat.

Die Stadt kennt keine für alle gültigen Geschichten. In Wien war das noch nie so spannend zu sehen. Und die Begleitbücher sorgen dafür, dass es nicht so schnell wieder vergessen wird.

GASTARBAJTERI

40 Jahre Arbeitsmigration

Wien Museum Karlsplatz, 1040 Wien

Bis 12. 4. (Intervention "Migrationsziel Wien" bis 27. Juni) Di-So 9-18 Uhr

GASTARBAJTERI. Medien und Migration Hauptbücherei am Gürtel,

Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien

Bis 11. 4. Mo-Fr 11-19, Sa 10-14 Uhr

GASTARBAJTERI. 40 Jahre Arbeitsmigration. Hrsg. von Hakan Gürses,

Cornelia Kogoj und Sylvia Mattl.

Mandelbaum Verlag, Wien 2004,

205 Seiten, geb., e 17,90

PHANTOM FREMDES WIEN

Von Lisl Ponger. Wieser Verlag, Klagenfurt, Neuauflage 2004, 200 Seiten, geb., e 13,40

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