Genüßliches Waten im Fettnapf

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"Nachspiel" von Anne Meara in der Josefstadt: Helmut Griem inszenierte das nächste Nichts von Stück dieser Festwochen.

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"Nachspiel" von Anne Meara in der Josefstadt: Helmut Griem inszenierte das nächste Nichts von Stück dieser Festwochen.

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Arme Betreiber und Bedienstete der Wiener Theaterbüfetts! Arme Bürger, die ihr Eure für die Wiener Festwochen erworbenen Fetzen ausführen wolltet! Die Autoren haben sich gegen Euch verschworen! Ein Kurzstück ohne die geliebte Theaterpause nach dem anderen! Einem Stündchen in Taboris "Purgatorium" im Akademietheater und einem kaum längeren, zwar gut ausgeleuchteten, ansonsten aber dunkel raunenden Nichts von Botho Strauss im Rabenhof folgte nun im Theater in der Josefstadt ein "Nachspiel", das nicht nur so heißt, sondern auch eines ist. Schon wieder ein Nichts von Stück, das trotz nur eineinhalb Stunden Spieldauer mühsam über die Runde kommt. Im konkreten Fall tut es dies mit Anstand, aber nur dank einer exzellenten Besetzung.

Wer schon einmal erlebt hat, wie sich Freunde, mit denen er essen ging, so richtig danebenbenahmen - und wer hätte das nicht -, der wird das Theater in der Josefstadt nach diesem Stück aber immerhin mit freundlicheren Gefühlen für besagte Freunde verlassen. Verglichen mit dem, was man da gesehen hat, sind sie doch Gold. Auch dies kann der therapeutische, nebbich kathartische Effekt eines Theaterabends sein. Im konkreten Falle ist es auch schon dessen größter Gewinn. Um ihn zu ernten, gehe man folgendermaßen vor: Man ignoriere den mystizistischen Schmus, mit dem die Autorin Anne Meara offenbar ihren dünnen Einfall aufladen wollte. Er fällt einem sowieso erst am Ende auf, es sei denn, man habe sich unvorsichtigerweise vorher über das Stück informiert. Man nehme dieses nicht als mühsames, quälendes Bilanzziehen dreier offenbar soeben verstorbener Ehepaare in einem Zwischenreich (schon wieder so ein Purgatorium), vergesse, daß der geheimnisvolle Kellner (Eddie Jordan) Raziel heißt und daß der Taxifahrer, der sie hergebracht hat, eine Art Fährmann für Stadtneurotiker war, sondern betrachte sie einfach als solche.

Also als normale Verrückte, als sonst ganz nette Leute, die nicht über den Fluß Lethe geschwommen sind, sondern den Fluß der Worte nicht mehr halten können, sobald sie einen hinter die Binde gegossen haben, was sie unaufhörlich tun, und die einem mit ihren Bekenntnissen ziemlich auf die Nerven gehen können. Joachim Bißmeier gibt dem Phil das Flair eines zergrübelten Schriftstellers, der die Welt nicht mehr versteht und seine Kinder noch nie verstehen wollte, aber doch sehr unterhaltsam sein kann, wenn er will, und wenn ihm Ingrid Andree mit kleinen Kabinettstücken von Altersbosheit assistiert, steht für den Rezensenten fest: Mit diesen beiden überstünde man einen Abend im Restaurant immer noch eher als mit dem Schauspieler (Eugen Stark) und seiner Schreckschraube.

Das Rezept ist simpel: Man lasse die Figuren in jedes mögliche Fettnäpfchen latschen und darinnen genüßlich waten, lasse sie alles sagen, was man nicht hören möchte, und man lasse eine Schreckschraube von keinem Thema heruntersteigen, mit dem sie die anderen nerven kann. In letzterer Rolle ist Marianne Nentwich geradezu schaurigschön, wenn sie die Arme in die Luft wirft und das Gespräch über ein Theaterstück zur existentiellen Auseinandersetzung macht, ihrer armen Freundin Renee das Braterl mit Schilderungen der Vorgänge im Schlachthof vermiest und von jeder Peinlichkeit nur abläßt, um sich auf die nächste zu stürzen. Monica Bleibtreu und Alfred Reiterer schlagen ein paar besonders hohe Wellen im Fettnapf. Regisseur Helmut Griem läßt alles ein bißchen zu sehr ausspielen.

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