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Bahnbrecher osterreichischer Technik

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Aus einer 1818 im Laboratorium des Professors des Wiener Polytechnischen Instituts für spezielle Chemie, Paul Traugott-Meiß-ner, zufällig sich ergebenden Begegnung entwickelte sich zwischen Hugo Altgraf S a 1 m-Reifferscheidt-Krautheim (1776 bis 1836) und dem um zwölf J'ahre jüngeren Karl Ludwig Freiherrn von Reichenbach (1788—1869) eine Zusammenarbeit, die für die Entwicklung des Eisenwesens, des Maschinenbaues und der chemischen Industrie in Böhmen bedeutsam werden sollte. , Hugo Altgraf Salm-Reifferscheidt-Kraut-heim, in Wien am 1. April 1776 geboren, hatte sich an der Universität dem Studium der Rechte gewidmet, aber nebenbei Chemie getrieben und sich auf den Gebieten des Berg-und Hüttenwesens und in anderen „gemeinnütziges Fächern“ über den Durchschnitt hinausgehende Kenntnisse erworben. Er folgte in seiner Ausbildung dieser Richtung, da zum Besitz seiner Familie auf den mährischen Gütern, namentlich im nördlich von Brünn gelegenen B 1 a n s k o bedeutende „i n d u-strielle Etablissements“ gehörten, die er später einmal zu verwalten gedachte.

Bevor der junge Kavalier, der an den technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften seiner Zeit lebhaften Anteil nahm, dazu kam, seine industriefördernden Maßnahmen in die Tat umzusetzen, spielte ein militärisches Intermezzo: Bei Ausbruch des Krieges zwischen Österreich und Frankreich 1796 schloß sich Altgraf Salm mit vielen seiner hochadeligen Freunde einem auf seine Anregung gebildeten freiwilligen Jägerkorps an und zog mit diesem nach Italien. Hier wurde er, als seine Truppe an dem Versuch, Mantua zu entsetzen, teilnahm, gefangengenommen, bald aber von General Napoleon Bonaparte, dem er vorgeführt worden war und auf den er, als einen naturwissenschaftlich Interessierten, großen Eindruck machte, „ranzioniert“, und konnte 1797 als freier Mann nach der Heimat zurückkehren. Auch in weiterer Folge blieb Napoleon dem Altgrafen Salm stets gewogen und versuchte es später sogar, jedoch vergeblich, ihn gelegentlich für eine Verlegung seiner Tätigkeit nach Frankreich zu gewinnen.

Inzwischen hatte Altgraf Salm tiefes Interesse am Mesmerismus genommen. Der seinerzeit berühmt gewordene Arzt Franz Anton Mesmer (1734—1815), auf dessen Theorien der Name dieser Heilmethode zurückging, hatte, bevor er in Paris der vielumworbene Modearzt wurde, von 1766 bis 1778 in Wien in seinem von prächtigen Gärten umgebenen Hause auf der „Landstraße“ gelebt, dessen 'Gründe Graf Rasumovsky später in seinen Besitz einbezog. Nun war er, nach dem großen, 1784 in Paris gegen ihn losgebrochenen Skandal, dem ein Kampf folgte, der sich bis 1792 hinzog, durch die französische Revolution um $ein Vermögen gebracht worden. Er hatte Paris fluchtartig verlassen müssen und war — nach einem kurzen 1793 zwangsweise abgebrochenen Aufenthalt in dem einst für ihn so gastlichen Wien — für die große Welt in die Vergessenheit Untergetaucht. Mesmer lebte nun, von niemand beachtet, als Thurgauer „Kantönli-arzt“ im damals winzigen Schweizer Städtchen Frauenfeld. 1812 aber übersiedelte er, 78 Jahre alt, nachdem ihm Frankreich als Ersatz für seine Verluste eine Rente zugestanden hatte, gleichsam als in ein letztes Refugium in das romantische Meersburg am Bodensee, wo er am 5. März 1814 starb. Aber obwohl Mesmer, als Altgraf Salm sich für seine Heilmethode interessierte, verschollen war, ja totgesagt wurde, lebte der „Mesmerismus ohne Mesmer“ weiter, und allenthalben, so insbesondere in Straßburg, München und Berlin v/urden durch seine Schüler „magnetisdie Kuren“ gemacht. Zu diesen Ärzten reiste nun Salm, nachdem durch den Vertrag von Campo-Formio im Oktober 1797 wiederum Frieden geworden war; es scheint aber, daß der Altgraf rasch alles Interesse an den magnetischen Heilmethoden verloren hatte; denn schon auf einer Reise, die er, während der zweite Koalitionskrieg 1799 bis 1802 noch im Gange war, 1801 nach England unternahm, hatte er sich ganz den Naturwissenschaften im eigentlichsten Sinne des Wortes und dem Studium der industriellen Verfahren zugewandt.

Von dieser Reise brachte Salm unter anderem das Geheimnis mit, Tuche und Leder wasserdicht zu machen. Auch gelang es ihm, richtige Zeichnungen der Maschinen der englischen Schafwollindustrie, von Filtriermaschinen und die Kenntnis wichtiger, aber geheimgehaltener Handwerks- und Fabriksvorteile zu erwerben und nach seiner Rückkehr in die Heimat der österreichischen Manufaktur und dem österreichischen Fabrikswesen dienstbar zu machen. Es ist naheliegend, daß Altgraf Salm, die neuerworbenen Kenntnisse auch in den seiner Familie gehörenden Fabriken auszuwerten trachtete. So nahm nun Blansko den Bau von Textilmaschinen auf; insbesondere waren es Schafwolle-Spinnmaschinen, die hier zum erstenmal in der Habsburgermonarchie erzeugt wurden. Bis dahin hatte allein Franz Leiten-berger in seiner hauptsädilich mit der Herstellung von bedrucktem Katun beschäftigten, in Kosmanos an der Iser bei Jung-bunzlau gelegenen Fabrik, die von Graf Bolza 1764 gegründet und dann in den Besitz der Familie Leitenberger übergegangen war, gelegentlich für eigenen und fremden Bedarf Spinnereimasdiinen — jedoch nur solche für die Verarbeitung von Baumwolle — erzeugt.

Altgraf Hugo Salm hatte die Führung der zum Familienbesitz gehörenden Fabriken schon seit der Jahrhundertwende in Händen. 1811 übernahm er die Verwaltung des gesamten Familienbesitzes. 1810 hatte er es erreicht, daß Blansko ein besonderes Privileg zur Erzeugung von Eisengußwaren erteilt wurde. Er schuf sofort die für die neue Fertigung notwendigen Einrichtungen, die nicht nur Kommerzguß, sondern auch Kunstguß umfaßten. Man erzählte sich damals, daß der Altgraf persönlich mit Schürze und Streichblech die Arbeiter unterrichtete und formen lehrte.

Als Maschinendirektor hatte er inzwischen den fähigen und kenntnisreichen Johann Arzberger nach Blansko berufen. Mit diesem und dem ebenfalls in seinen Diensten stehenden Mechaniker Götze schuf er in Daubrowitz eine neue mechanische Werkstatte, die als „Compagniegeschäft“ betrieben, nach den Anfangsbuchstaben der Namen de-g, Teilnehmer die Firmenbezeichnung „Sag“ führte. Seit 1807 stand auch der am 24. August 1750 in Unlingen in Schwaben geborene Andreas Winzler, der vor 1778 nach Znaim übersiedelt war und sich dort mit Salpetererzeugung und später auch mit Holz-verkohlung und mit der Gewinnung von Leuchtgas beschäftigte, in Salms Diensten. In Blansko, wo Winzler sich nicht dauernd aufhielt, errichtete dieser — der nicht, wie es manchesmal geschieht, mit dem englischen Pionier der Gasbeleuchtung Winsor verwechselt werden darf — einen Holzverkohlungsofen. In diesem konnten nicht weniger als 80 Klafter Holz, unter gleichzeitiger Gewinnung der Nebenprodukte und bei Verwendung des anfallenden Gases, in einer Charge verkohlt werden. Allerdings konnte man mit diesem Verkohlungsofen keine endgültig befriedigenden Ergebnisse erzielen, wie sie bald darauf Reichenbach zu sichern verstand. Winzler blieb trotz seiner Arbeiten für Blansko in Znaim, bis er 1812 nach Wien kam und die von ihm erfundene, mit trockener Destillation von Holz arbeitende „Thermo-lampe“ und seinen „Universal-Leucht-Heiz-Kodi-Sud-Destillier- und Sparofen“ zu vertreiben begann; er gelangte aber nur zu bescheidenen Erfolgen.

Diese blieben auf dem Gebiete der Holz-verkohlung dem in diesem Fach gewissermaßen als Winzlers Nachfolger zu betrachtenden Karl Ludwig Freiherrn von Reichenbach vorbehalten. Dieser hatte aber auch andererseits den 1816 als Professor des Maschinenbaues an das Polytechnische Institut nach Wien abgegangenen Arzberger auf maschinenbaulichem Gebiet zu ersetzen. Dies gelang Reichenbach, da er auch auf diesem Gebiete beachtenswerte Kenntnisse besaß. Reichenbach, der 1821 endgültig in den Dienst der Salmschen Industrien trat, kam am' 12. Februar 1788 in Stuttgart zur Welt. Sowohl sein Urgroßvater, als auch sein Großvater waren Ärzte; sein Vater Ludwig von Reichenbach (1757—1835) war Bibliothekar und Archivar der Stadt Stuttgart. Karl Ludwig von Reichenbach studierte in Tübingen die Rechte und beschäftigte sich nebenbei eingehend mit naturwissenschaftlichen Fächern und technischen Problemen, Fachgebiete, die bald das Hauptfeld seiner

Betätigung werden sollten. Bevor er nach östereich kam, hatte er schon in Villingen ein Eisenwerk gegründet und im badischen Hausach die ersten, nach von ihm selbst erdachtem System arbeitenden Holzverkohlungs-ofen errichtet.

Reichenbach rief, nachdem er 1821 auf Grund einer ihm erteilten Generalvollmacht die Leitung der Blanskoer Eisenwerke übernommen hatte, für diese beim damaligen Stand der Technik als großartig zu bezeichnende Schöpfungen ins Leben, die einerseits auf chemischem, und zwar hauptsächlich auf dem Gebiet der Holzverkohlung, andererseits aber auf maschinenbaulichem, gußtechnischem und bergbaulichem Gebiet lagen.

Reichenbachs wichtigste Aufgabe in Blansko bestand zunächst darin, hier die Holzverkohlung auf das von ihm entwickelte Verfahren umzustellen und die Ausbeute zu vermehren. Sein Verfahren bestand in der Hauptsache darin, das Holz im Innern eines gemauerten Ofenraumes, der von Heizrohren durchzogen war, zur trockenen Destillation zu bringen, Dabei ergab sich ein weitaus günstigerer Wirkungsgrad der Erzeugung von Holzkohle als bei den bis dahin üblichen Verfahren, und die Möglichkeit, die Nebenprodukte der Verkohlung aufzufangen und gewinnbringend zu verwerten. Um sich klarzumachen, was dies für die damalige Zeit bedeutete, muß man daran erinnert werden, daß fast bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts alle metallurgischen Verfahren auf der Verwendung von Holzkohle beruhten. Daher war insbesondere das Eisenwesen jener Zeit in hohem Grade von Rücksichten auf den Brennstoff Holz beherrscht, dessen Bestände ein immer ungünstiger werdendes Verhältnis zwischen verfügbarer Brennstoffmenge und dem wachsenden Umfang der von der Wirtschaft geforderten Eisenerzeugung bedingten. Wenn es auch mit der Zeit gelang, für diese Zwecke Holzkohle durch fossilen Brennstoff zu ersetzen, so stand dieser gerade in Österreich zumeist nur in der Form von schwer verkoksbarer Braunkohle zur Verfügung. Es ist daher begreiflich, daß die Eisenindustrie' und die Gewerke jeden Versuch, den Wirkungsgrad der Holzverkohlung zu verbessern, begrüßten. Und Reichenbachs Verfahren bedeutete tatsächlich auf diesem Gebiete einen großen Schritt' nach vorwärts, woraus sich dessen Bedeutung im Rahmen der Zeit ergibt. Denn neben der besseren Ausbeute an Holzkohle verband sich bei seiner Anwendung auch noch die Möglichkeit der Gewinnung von Holzessig, Teer, Essigsäure und einer Menge anderer wertvoller Nebenprodukte.

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