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Das Ratsel der Tatermann-Nische

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Zwischen dem Bischofstor und einem Strebepfeiler der Nordwand des Stephansdomes in Wien ist ein Inschriftstein eingemauert, unter dem eine vergitterte, leere Mauernische auffällt. In der Nische sind Eisenteilcben an der Hinterwand zu sehen, die deutlich erkennen lassen, daß früher einmal daran etwas angebracht war. Glücklicherweise belehrt uns die noch gut erhaltene Inschrift, weldien Zweck die rätselhafte Nische hinter dem Eisengitter erfüllt hat:

+ ihr + Menschen alsambt + gelaubt + in got + ont + behalt + christi + gebot + das die + beiden + nicht + habent + getan . sie . paten . an . die . Taterman . die . sen . selb . habent . berait . da . von werdent . si . wol . geait . in . der . hell . feur . alle vrewt . ist . in tewel.

Die Insdirift vermeldet also, daß die Heiden nicht an Gott geglaubt haben, sondern die Tatermann verehrten, die sie selbst verfertigt haben. Darum wurden .sie auch bestraft im Höllenfeuer, so daß jede Freude bei ihnen erloschen ist.

Aus der Beschreibung von St. Stephan aus dem Jahre 1665 des Domherrn Testarello della Massa, der reinste Volksarchäologie betrieb, erfährt man, daß zu seinen Zeiten die Steinbilder in der Nische nicht mehr vorhanden waren. Der Chronist hatte auch keine Ahnung, daß die Inschrift zur Nische gehört und hält sich an die Volksüberlieferung, daß in der Nisdie die Heiligen Drei Könige gewesen seien. Später wurden aus den drei Königen drei Teufel, die eingefangen worden und hinter dem Gitter versteinert seien. Wahrscheinlich wurden die Sdiaufigultn schon in der Reformationszeit ausgestemmt. In der Überlieferung hat sich lediglich die Dreizahl der Figuren erhalten. Zur Dreizahl hat man übrigens aus dem Mittelalter Analogien, so unter andern in Bregenz, Millstatt, im Isonzotal und Preußen aus slawischer Zeit. Auf alle Fälle befanden sich, wie die Forschung ergeben hat, in der Nische bei St. Stephan tatsächlich drei heidnische Götzenbilder, die als abschreckende bildliche Darstellung zur lapidaren Warnung ihren Zweck erfüllten.

Weldie drei Gottheiten die drei Figuren in der Nische darstellten, erfahren wir aus der „österreichischen Chronik“ von Thomas Ebendorfer, der den Bau des Langhauses des Domes im 15. Jahrhundert miterlebt hat. Er berichtet von in Guntramsdorf aufgefundenen Mars- und Jupiterstatuetten, die wahrscheinlich aus Bronze waren und nach Wien gebradit wurden, wo sie zur Belehrung des Volkes über den heidnischen Wahn an der Stephanskirche hinter eisernen Gittern ausgestellt wurden. Durch diese Mitteilung ist daher das Rätsel der Tatermanninschrift eindeutig geklärt. Möglicherweise hat Ebendorfer die Inschrift verfaßt.

Die Ausstellung von Götzenbildern an oder um Kirchen, zum Zwecke, der Verspottung heidnischer Lehren war im Mittelalter allgemein üblich. Diese abschreckenden Bilder, zu denen man archäologisch auch die bekannten Judenspottbilder, Darstellungen der Synagoge, heidnischer Könige, die Allegorien der Laster usw. rechnen muß, wurden vom Volke verspottet und selbst gesteinigt. Wie zum Hohn wurden alte Götterbilder, römische Büsten, Altäre usw. in den Fundamenten der Kirche sowie über der Erde eingemauert und zum Teil auch sichtbar gemacht. Oft wurden derlei Spottbilder auf Steinbänken aufgestellt oder im Kirchhof in Ketten aufgehängt, wo sie sogar zur Zielscheibe der Steinwürfe der Wallfahrer dienten. Ein solches Kuriosum war unter andern der Venustorso zu St. Matthias bei Trier, der durch die Steinwürfe der Pilger ganz zerschlagen wurde. Damit wäre *clas Jupiterkegeln in Hildesheim zu erklären, das als Kegelspiel in manchen Klöstern fortbestanden hat, wie dies wahrscheinlich im Stifte von Klosterneuburg der Fall gewesen sein dürfte, wo alljährlich ein Preiskegeln stattfand. Da bei St. Stephan die drei Götter hinter Gittern angebracht wurden, ist anzunehmen, daß sie nur als abschreckendes Schauobjekt gedient haben, daher nicht gesteinigt wurden, was übrigens auch aus der Inschrift zu erkennen ist. Die Warnungstafel und die Nisdie gehören zu den größten Merkwürdigkeiten mittelalterlicher Kirdien-epigraphik, zumal die Inschrift ein Unikum sein dürfte und sowohl von christlicharchäologischer als sprachwissenschaftlicher Bedeutung ist.

Über die Etymologie des Wortes Tatermann ist schon viel herumgeraten worden. Tatermann war ein im Mittelalter geläufige Wort im deutschen Spradigebrauch für heidnische Götter, Teufel und Dämonengestalten überhaupt. Man findet das Wort in epischen Gedichten, in Chroniken und schließlich selbst auch in der Volksüberlieferung und besonders in der Sagenwelt, selbst bei den Slawen, bis auf den heutigen Tag erhalten. ■ Bekannt ist unter anderem, daß der Wassermann bei den Deutschen und Slawen Tatermann genannt wurde. Tatermann war vor allem eine Spottname für Heidengötter und für den Teufel, wie uns die berühmte Tater-manninsdirift auch beweist. Diese Bezeichnung für Heidengötter ist christlich-archäologisch einzig und allein von Tartaros, Tartarus, die Unterwelt, die Hölle, abzuleiten und diese Ableitung befriedigt auch die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Wortes vollkommen. Tatermahn ist eine Volksform für Tartarusmann, des ist Höllenmann, Teufel, heidnischer Gott, Dämon und dergleichen mehr. Tartarus wurde für Hölle im Mittelalter, wo mythologische Vorstellungen und Namen in Religion, Dichtung und Kunst noch vielfach Anwendung fanden und in der religiösen Allegorie sich besonderer Beliebtheit erfreuten, häufig benützt. Auch in der weltlichen Dichtung kommt das Wort Tatermann für Abgötter, Teufel, Wassergeister, Kobolde, Alraunen und dergleichen, kurz für Dämonen überhaupt häufig vor.

In der Erinnerung des Volkes lebt der Tatermann als Heidengott, Dämon fort, womit auch die volksmäßige Deutung rätselhafter Steinbilder an Kirchen und Burgen zu erklären ist. Tatern, tattern, dattern, erschrecken, zittern ist sinngemäß von Tatermann, also Tartarusmann abzuleiten und nicht umgekehrt. Dodermann, das ist der Totenmann, hat mit Tatermann weder sachlich nodi spradilich etwas zu tun. Sinngemäß wird Tatermann für Ironisierungen benützt, wie für die Strohpuppen auf den Feldern, für Theaterpuppen und sogar für zitternde Greise und Stotterer.

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