6626154-1956_10_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Nuntius in Munchen

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich, nach schwerer Verwundung einigermaßen hergestellt, zu Herbstbeginn des Jahres 1916 mich wieder meinem Beruf widmen konnte, wurde ich der k. und k. österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in München zugeteilt. Mein Vorgesetzter, der Gesandte v. Velics, führte mich schon in den ersten Tagen zu den Persönlichkeiten, denen ich, dem diplomatischen Brauch gemäß, zunächst vorgestellt werden mußte: zu König Ludwig, zum bayrischen Ministerpräsidenten und zum Doyen des diplomatischen Korps, dem Pronuntius Kardinal Frühwirth, der aber schon im Begriff war, München zu verlassen, weil er an die römische Kurie berufen worden war.

Seinen Nachfolger, Erzbischof Eugenio Pacelli, lernte ich erst im folgenden Herbst kennen, da ich selbst ganz unerwartet zu aushilfsweiser Dienstleistung nach Bern beordert wurde, um einen erkrankten Kollegen zu vertreten. Dieses Intermezzo dauerte sechs Monate. Als ich nach meiner Rückkehr den neuen Nuntius das erste Mal sah, war es zwar nur eine stumme Begegnung, aber aus besonderen Gründen ist sie mir in voller, lebhafter Erinnerung geblieben, Aus einem Anlaß, der mir entfallen ist, war vom königlichen Hof ein feierlicher Gottesdienst in der Theatinerkirche angesagt worden, dem sämtliche Mitglieder des Königshauses, die Spitzen der Regierung und das diplomatische Korps beiwohnen sollten. Als ich, etwas früh an der Zeit, die noch ziemlieh leere Kirche betrat, hatte ich dennoch Mühe, den mir in einer der vorderen Bankreihen zugewiesenen Platz zu finden, denn ein Anblick, der sich mir alsbald bot, war so eindrucksvoll, daß ich die Augen nicht von der außergewöhnlichen Erscheinung wegwenden konnte, die ich in scharfem Profil vor mir sah. Es war der neue Nuntius, für den eine eigene Betbank im Presbyterium stand. Er kniete, die Ellbogen aufgestützt, die langen, schmalen Hände zum Gebet aneinander gelegt, die Augen schienen geschlossen. Die vornehme Erscheinung, die demütige Haltung, die markanten, durchgeistigten Züge — alles prägte sich mir so bedeutsam ein, daß ich noch am gleichen Tage dem mir eng befreundeten P. Robert v. Nostitz SJ., den ich auf der Straße traf, zurief: „Heute habe ich einen Papst gesehen!“ Er lächelte, besann sich einen Augenblick, dann sagte er: „Den nächsten nicht, aber den übernächsten“. Als diese Prophezeiung pünktlich eintraf, weilte mein Freund leider nicht mehr unter den Lebenden.

Kurze Zeit darnach wurde ich von meinem neuen Vorgesetzten — Herr v. Velics war inzwischen verstorben — anläßlich eines Besuchs beim Nuntius diesem vorgestellt. JVenn auch das Gespräch nur wenige Minuten währte, bereicherte und vertiefte sich doch der Eindruck, den ich schon vordem empfangen hatte, durch zwei neue Züge: einen feinen, sehr hellsichtigen Humor und ein ungemein gütiges Lächeln, das viel Verständnis für den Mitmenschen verriet. Das kurze Gespräch wurde in französischer Sprache geführt, da der Nuntius des Deutschen noch nicht mächtig war. Aber es hieß, daß er es lerne. Wie eifrig er dies getan haben muß, konnte ich schon ein halbes Jahr später überrascht feststellen: er sprach jetzt fließend deutsch.

Zur Vertiefung dieser Sprachkenntnis trug ein in München gewonnener persönlicher Freund, der damalige Pfarrprediger und spätere Kardinal Graf Konrad Preysing, viel bei. Dieser war ursprünglich Jurist und Diplomat gewesen, beherrschte das Französische und Englische in seltener Vollendung und hatte in Rom, der bayrischen Gesandtschaft zugeteilt, auch noch bedeutende Kenntnisse in der italienischen Sprache erworben. Das stark entwickelte Sprachentalent des Nuntius fand seinesgleichen in diesem nur um wenige Jahre jüngeren Freunde, der ihn allmählich immer öfter auf den Reisen nach Berlin begleitete, wo es viele Verhandlungen gab, ehe im Jahre 1925 die dortige Nuntiatur geschaffen wurde. Der polyglotte Pfarrprediger, bald schon Münchener Domkapitular, war stets in der Lage, auch den schwierigsten deutschen Satz unverzüglich in französischer, italienischer, gelegentlich auch in lateinischer Sprache synonym wiederzugeben. Daß der Nuntius aber auch jede Gelegenheit nutzte, sich im Deutschen zu vervollkommnen, erfuhr ich selbst, als ich ihm ein Exemplar meiner in München erschienenen Uebertragung der „Heiligen Hymnen“ von Alessandro Manzoni gewidmet hatte: ich erhielt von ihm einen Dankbrief, der in schwungvollen, tadellos gebauten deutschen Sätzen abgefaßt war. Da diese sich sehr vom üblichen Kanzleistil unterschieden, fragte ich den Domkapitular Preysing, wer denn jetzt Sekretärdienst beim Nuntius tue. Ich begriff nun, als er mir antwortete: „Die deutschen Briefe schreibt er immer selbst, um sich im Deutschen zu üben.“

Wie weit er darin schon vorgeschritten war, hatte ich bereits ein Jahr zuvor zu bemerken Gelegenheit gehabt. Münchner akademische Kreise planten einen Vortrag über Alessandro Manzoni, dessen Tod nun 50 Jahre zurücklag, und wandten sich deshalb an mich, weil sie erfahren hatten, daß ich eben mit jener Versübertragung beschäftigt war So stand ich eines Tages auf dem Podium, bereit, meinen Vortrag zu halten — aber wen sah ich in der ersten Reihe, unmittelbar vor mir? Da saßen nebeneinander Kardinal Faulhaber und Nuntius Pacelli. Man wird verstehen, daß mich diese zwei Charakterköpfe geradezu elektrisierten: der kluge, interessante Kopf des Kardinals, dem die so auffällig schräg nach aufwärts gewachsenen Brauen den Ausdruck gespanntester Aufmerksamkeit gaben, und der klassische, rassige Kopf des Nuntius, der, um jedes Wort zu verstehen, die Augen unverwandt auf den Redner heftete. Was galt mir der dichtgefüllte Saal? Ich wußte, daß ich mit jedem Satz immer nur diese zwei Zuhörer ansprach. Wie genau aber der Nuntius dem Vortrag folgte, erfuhr ich sehr bald: ich hatte, von der Vorgeschichte der italienischen Romantik ausgehend, den Dichterkreis der „Arcadia“ genannt, der sich in Rom um Königin Christine von Schweden gesammelt hatte, und bezeichnete diese als den ..männlich herben Typus der Konvertitin“. Der Nuntius hatte „derb“ verstanden und äußerte sich hernach abfällig über diesen Ausdruck, der durchaus nicht zutreffend sei. Doch hatten sowohl Kardinal Faulhaber wie Domkapitular Preysing das Wort richtig gehört und konnten sofort das Mißverständnis aufklären.

Wenn ich vorhin den feinen, hellsichtigen Humor Erzbischof Pacellis erwähnt habe, so fehlt uns heute der hier wichtigste Kranzeuge, der verstorbene Kardinal Preysing. Ich bin überzeugt, daß dieser kein Wort über seine Gespräche mit dem Nuntius aufgezeichnet hat, aber in jahrelangem vertrauten Verkehr mit diesem ergab sich hundertfach Gelegenheit auch zu unbeschwert leichter Unterhaltung, und Graf Preysing. der viel Humor hatte und ein erstaunliches Gedächtnis auch für kleine und kleinste Episoden, wenn sie nur irgendwie bezeichnend waren, wußte unter vier Augen so manches Erheiternde zu erzählen. Hier ein Beispiel: Der Nuntius hatte viele und lange Unterredungen mit dem bayrischen Ministerpräsidenten Held, ehe es im Jahre 1925 zum Abschluß des Konkordats kam., Eines Tages kam er hierbei auf das erste große Turnerfest seit Kriegsende zu sprechen, das soeben in München unter dem Zulauf Hunderttausender sehr festlich und laut begangen worden war, und meinte, daß gewisse Entgleisungen und die vielen Trunkenheitsexzesse, die bei dieser berauschenden und am späten Abend schon' recht berauschten Feier vorgekommen waren, einen nicht eben sehr günstigen optischen Eindruck auf die europäische Welt machen könnten. Der Ministerpräsident fuhr auf: ,.Exzellenz, man muß seine Kraft zeigen!“ Darauf der Nuntius, lächelnd und leise: „Pardon, man muß Kraft haben, nicht zeigen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung