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DER UNGLÄUBIGE THOMAS IN ROM

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Zwei Jahre vor seinem Tod, vom 20. bis 30. April 1953, weilte Thomas Mann, der damals im 78. Lebensjahr stand, zum letztenmal in Rom. Anlaß dieser Reise war sein Wunsch, der Academia Nazionale dei Lincei für die Verleihung des Antonio-Feltrinelli-Preises zu danken. Die Akademie gab, ebenso wie die beiden Verleger Thomas Manns, Giulio Einaudi (der Sohn des italienischen Staatspräsidenten Luigi Einaudi) und Mondadori, zu seinen Ehren festliche Empfänge. Der Adressat des ersten der hier abgedruckten Briefe, die aus dem bei S. Fischer erschienenen Band „Briefe 1948 bis 1955“ stammen, ist der bekannte Professor für Archäologie und Generaldirektor der „Antichitta e belle Arte“. Gottfried Bermann-Fischer, der Nachfolger und Schwiegersohn von S. Fischer, ist der deutsche Verleger des Gesamtwerkes von Thomas Mann.

An Ranuccio Bianchi Bandinelli

Erlenbach-Zürich, 3. Mai 1953

Lieber Professor Bandinelli,

nach Hause zurückgekehrt, möchte ich Ihnen noch einmal — es drängt mich dazu — für die Liebenswürdigkeit danken, mit der Sie, unter Aufopferung Ihrer Zeit, an unserem römischen Aufenthalt teiinahmen.

Es waren überschwenglich reiche, von Eindrücken überfüllte Tage, an die ich mit Ergriffenheit zurückdenke und von denen ich, ungeachtet all meiner Ermüdbarkeit, die oft gewiß leidig zu Tage trat, eine tiefe seelische Erbauung davongetragen habe. Nicht dankbar genug kann ich sein für den fast stürmisch ehren- und sympathievollen Empfang, der mir zuteil wurde, und ich wollte, Sie machten sich überall und bei jedem zum Dolmetsch dieses Gefühls. Ich muß fürchten, durch persönliche Unergiebigkeit, eine im Konventionellen steckenbleibende, nervös beklommene Höflichkeit, enttäuscht zu haben. Nur zu bewußt bin ich mir meiner gesellschaftlichen Unzulänglichkeit, die ich dank völliger Benommenheit durch die Größe der Eindrücke, die in der gewaltigen Stadt meine Empfänglichkeit bestürmten, wunderlich genug offenbart haben mag. Diese Plätze, Kirchen, Brunnen, Obelisken, Säulenordnungen, dies In- und Nebeneinander der Jahrhunderte, des Antiken und Früh- und Hochchristlichen, diese Überfülle von Kunstschöpfungen sinnlicher und mystischer Frömmigkeit und Genialität — wie im Traum, einem Traum von Größe, nahm ich das alles auf, und wie ein sehr starker, ins Gemüt dringender Traum wirkt und lebt es in mir fort. Der Ungläubige und Erbe protestantiischer Kultur beugte ohne die leiseste innere Hemmung das Knie vor Pius XII. und küßte den Ring des Fischers, denn es war kein Mensch und Politiker, vor dem ich kniete, sondern ein weißes Idol, das, umgeben vom gemessensten geistlich-höfischen Zeremoniell, zwei Jahrtausende abendländischer Geschichte sanft und ein wenig leidend vergegenwärtigta...

Auf Wiedersehen! Ihr ergebener

Zeigen wir doch nicht immer mit unseren Fingern auf den Glanz des päpstlichen Hofes, sondern zeigen wir doch endlich mit unseren Fingern auf unsere eigenen Eitelkeiten, und beginnen wir, diese abzubauen und zu überwinden. Und seien wir eines eingedenk: daß dieser byzantinische Prunk des päpstlichen Hofes solange bleiben wird, solange Wir die byzantinischen Sehnsüchte der eigenen Seele nicht überwunden haben.

An Gottfried Bermann-Fischer

Erlenbach-Zürich, 27. Mai 1953

Dieber Dr. Bermann,

recht vielen Dank für Ihren Brief. Wie gern höre ich, daß unser neuer Band Ihnen Freude macht! Es war doch keine •schlechte Idee. Ich merke auch, daß die Sammlung viele Freunde hat.

Eine gute Idee war offenbar auch Ihre Mexikoreise. Aus jedem Ihrer Worte spricht die Bereicherung, die Sie erfahren haben. Ein ähnliches, und doch wieder ganz anderes Erlebnis war für mich unsere Romfahrt, und müde und matt wie ich mich oft fühle, habe ich mich der jugendlichen Empfänglichkeit gefreut, die ich bei solcher Gelegenheit denn doch noch aufbringe. Ich war ergriffen von der Jahrtausendperspektive, die sich da auftut, und bekräftigt durch Sie in meinem europäischen Selbstbewußtsein. Ach. im Gefühl seiner alten Würde und historischen Geprüftheit sollte der Erdteil sich finden und den Kopf höher tragen, statt in Servildtät zu ersterben vor Geld und dämlicher Macht.

Den Papst zu besuchen, wenn ich schon einmal in Rom wäre, hatte ich mir gleich vorgenommen, und obwohl die •Frist zur Erlangung einer Audienz sehr knapp war, ließ sie sich merkwürdigerweise, mit Hilfe der Akademie und eines •Herrn vom „Osservatore Romano“, in wendigen Tagen arrangieren. Es war, nach langsamem Vorrücken durch die Vorzimmer ein Gespräch unter vier Augen von einer kleinen Viertelstunde und für mich doch ein merkwürdiger und rührender Debeneaugenblick, vor der weißen Gestalt zu stehen, die so vieles vergegenwärtigt. Er war äußersf herzlich, sah aber noch recht müde aus von der Virusinfektion, die er ungefähr um dieselbe Zeit wie ich durchgemacht hat. „Die Krankheit“, sagte er, „nun gut. Aber die Kur! Die geht einem nach.“ Er spricht sehr gut deutsch., und ich hatte den Eindruck, daß er sich mit größtem Vergnügen an die Zeit seiner Nuntiatur in Deutschland erinnert, die offenbar beste Lebenszeit für ihn war. Vor der Wartburg hatte der Bürgermeister von Eisenach mir 1949 erzählt, er habe mit Kardinal Pacelli an derselben Stelle gestanden, und der habe an dem Gemäuer hinaufgetolickt und gesagt: „Das ist eine gesegnete Burg!“ Was doch für einen katholischen Kirchenfürsten ein bemerkenswerter Ausspruch ist. Daran erinnerte ich ihn und •sagte, das Wort hätte mir darum solchen Eindruck gemacht, weil es zeige, wie doch die homdnes religiosi im Grunde eines Sinnes seien und das Konfessionelle schließlich keine so •große Rolle spiele. Er stimmte dem lebhaft zu, und die „Einheit der religiösen Weit“ baidėte eigentlich den Kern des Gesprächs. Zum Zeichen, daß es ein Ende haben muß (es warten ja so viele), schenkt er einem eine kleine silberne Medaille mit seinem Bildnis zum Andenken, und man beugt noch einmal das Knie, was mir sehr leicht und natürlich vonstatten ging. Ich denke gern und mit einer gewissen Weichheit an das Vorkommnis zurück.

Ihr Thomas Mau

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